Frage zum verwertbaren Vermögen bei lebenslangem Wohnrecht

  • Hallo zusammen,

    ich bin Ende 50, alleinstehend (Kinder sind erwachsen und leben nicht mehr bei mir) und seit vielen Jahren Freiberuflerin im Homeoffice. Ich habe nie sehr viel verdient, konnte keine Rücklagen bilden, kam aber immer irgendwie zurecht. Durch die KI geht unsere Branche nun den Bach runter und ich bekomme immer weniger Aufträge. Darum habe ich mich heute beim Jobcenter vorsorglich schon einmal bezüglich Aufstocken informiert. Man sagte mir, dass ich selbst bei 0,0 Einkommen keinen Anspruch auf Bürgergeld habe. Ich mache mir gerade richtig Sorgen, zumal ich gesundheitlich auch nicht mehr die Fitteste bin und nicht jede andere Tätigkeit ausüben könnte.

    Folgenden Sachverhalt habe ich auf die Frage nach meinem Vermögen wahrheitsgemäß dargelegt:

    Meine Eltern besitzen ein Zweifamilienhaus: In der oberen Etage wohnen sie selbst, in der unteren meine Schwester mit Familie. Als meine Schwester vor einigen Jahren anbauen wollte, wurde ihr die untere Wohnung überschrieben und mir die obere Wohnung. Meine Eltern haben sich notariell für die obere (nun meine) Wohnung ein lebenslanges mietfreies Wohnrecht eingeräumt. Ich habe dadurch also derzeit keine finanziellen Vorteile. Dennoch wird diese Wohnung vom Jobcenter als verwertbares Vermögen angesehen, und ich bekomme kein Bürgergeld. Ist das tatsächlich so richtig? Wäre ich erst gezwungen, die Wohnung zu verkaufen? Die Verkaufschancen wären unter diesen Umständen doch ohnehin sehr schlecht. Mir würde von dem Verkaufserlös ohnehin nicht viel bleiben. Mein damaliger Mann und ich haben vor 25 Jahren selbst ein kleines Eigenheim gebaut. Kurz danach verließ er mich und unsere Kinder und verschwand mit einer anderen Frau. Unser Haus wurde zwangsversteigert, es blieben hohe Schulden und ich zahle im Rahmen meiner Möglichkeiten seit Jahren monatlich einen festen Betrag ab. Der Verkaufserlös aus der elterlichen Wohnung würde dann doch ohnehin mit den noch vorhanden Schulden verrechnet und es bliebe - wenn überhaupt - nur wenig übrig.

    Was wäre, wenn ich die elterliche Wohnung auf meine eigenen Kinder oder an einen anderen Verwandten (Nichte oder Neffen) überschreibe? Ich kann doch im Ernstfall nicht ganz ohne Unterstützung leben, vor allem, wenn ich aufgrund meines Alters oder krankheitsbedingt vorübergehend bzw. längerfristig mal nicht mehr arbeiten kann.

    Für Antworten und Tipps bedanke ich mich ganz herzlich!

  • Hallo,


    das ist natürlich alles schwierig zu beurteilen, ich würde einen kompletten Antrag stellen. Der Verkehrswert der Wohnung inklusive des Wohnrechts Deiner Eltern muss festgestellt werden. Dieser müsste mit Deinen Schulden gegen gerechnet werden und dann ergibt sich ein Betrag, der entweder über oder unter der Freigrenze liegt.

    Nehmen wir mal an, er läge über der Freigrenze, dann könnte Dir darlehensweise Bürgergeld gewährt werden.

    Überschrieben hilft nur dann was, wenn bei Antragstellung nach der Überschreibung mehr als 10 Jahre vergangen sind und man Dir nicht nachweisen kann, dass Du dich vermögenslos machen wolltest. Ist also nicht zu empfehlen.

    Das alles ist spekulativ und ich gehe mal davon aus, dass Du in keine Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung eingezahlt hast und auch sonst keine Altersvorsorge hast?

    Nach der Antragstellung und der Entscheidung weißt Du mehr. Danach steht Dir auch der Rechtsweg offen, über Widerspruch und ggfs. Klage.

    Von was für einem Einkommen lebst Du derzeit und was sind Deine Fixkosten?

    Wenn das Leben Dir in den Allerwertesten tritt - nutze den Schwung um Vorwärts zu kommen

  • Hallo und vielen Dank für die ausführliche Antwort!

    Doch, ich zahle regulär in die Kranken- und auch in die Rentenversicherung ein. Ich bin über die KSK (Künstlersozialkasse) versichert, da mein Job zu den publizierenden Tätigkeiten zählt, das heißt, ich trage den normalen KV- und RV-Anteil, den auch angestellte Arbeitnehmer leisten, und der eigentliche Arbeitgeber-Anteil wird von der KSK getragen. In die Arbeitslosenversicherung zahle ich jedoch nicht ein.

    Mein Einkommen schwankt je nach Auftragslage zwischen 1000,- und 1150,- EUR brutto, mit Tendenz abwärts eben wegen der immer schlechter werdenden Auftragslage. Ich lebe in einer 2er-WG, mein Mietanteil beträgt warm 310,- Euro. Wie gesagt, im Moment komme ich noch einigermaßen klar, deswegen hatte ich mich bisher auch nur vorsorglich beim Jobcenter erkundigt.

    Und angenommen, ich kann mich mit zusätzlichen Jobs noch eine Weile über Wasser halten, kann aber irgendwann gesundheitlich nicht mehr (bin wie gesagt Ende 50 und habe schon mehrere größere OPs hinter mir und auch andere gesundheitliche Baustellen), was passiert denn dann? Ich werde ja nicht von heute auf morgen in Erwerbsminderungsrente gehen können, und die Wohnung wird sich ja in Anbetracht der Umstände (lebenslanges Wohnrecht) ohnehin kaum verkaufen lassen. Dann bleibt tatsächlich nur Bürgergeld auf Darlehensbasis, das ich aber zurückzahlen muss?

  • Nachtrag: Ich hätte noch eine Frage. Ich habe mir mal den notariellen Übertragungsvertrag für die Wohnung angesehen, und darin steht: "Die Erschienenen X (meine Eltern) behalten sich das Recht vor, auf Kosten der Erschienenen Y (ich) das Übergabeobjekt zurückfordern zu können, wenn die Erschienene Y (ich) zu Lebzeiten mindestens eines Elternteils ohne deren Zustimmung das Objekt veräußert, es belastet, Zwangsvollstreckungsmaßnahmen eingeleitet werden oder ein Insolvenzverfahren eingeleitet wird."

    Würde das nun etwas ändern, da mein Vermögen ja zu Lebzeiten meiner Eltern tatsächlich in keiner Form verwertet werden kann?

  • Nach dem notariellen Vertrag wollte ich gerade fragen. Das ist also ein sehr wichtiger Hinweis!

    Die Wohnung, die in Deinem Eigentum steht und mit einem Wohnungsrecht (vermutlich nach § 1093 BGB) für Deine Eltern belastet ist, dürfte als Vermögenswert unverwertbar im Sinne der Vorschriften über das Vermögen nach dem SGB II sein.

    Das liegt daran, dass ausweislich des Zitats aus dem notariellen Vertrag Gegenstand des Vertrags sehr wahrscheinlich eine sogenannte aufschiebend bedingte Rückauflassungsvormerkung ist. Um zu verhindern, dass beschenkte Kinder im Falle der eigenen Bedürftigkeit genötigt werden können, die Immobilie verwerten zu müssen, baut jeder gute Notar so etwas in Überlassungsverträge ein und sorgt zusätzlich dafür, dass die Rückauflassungsvormerkung in der 2. Abteilung des Grundbuches eingetragen wird.

    Bei einer Rückauflassungsvormerkung handelt es sich um einen schuldrechtlichen Anspruch darauf, dass eine Weiterveräußerung nur mit Zustimmung des ehemaligen Eigentümers erfolgen darf oder dass bei Nichterfüllung bestimmter Auflagen das Grundstück an den bisherigen Eigentümer zurück übertragen wird. Eine Rückauflassungsvormerkung dient also dem Schutz des ehemaligen Eigentümers einer Immobilie oder Grundstücks vor ungewollter Weiterveräußerung durch den neuen Eigentümer.

    Immobilien, die mit einem Nießbrauch und einer Rückübertragungsklausel auf den früheren Eigentümer im Fall des Vermögenszugriffs belastet sind, sind unverwertbar (Geiger in LPK-SGB XII, 13. Aufl., Rz. 19 zu § 90 SGB XII m.w.N). Das gilt vorliegend auch für das Wohnungsrecht und auch im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II.

    Nach der Grundsatzregelung in § 12 Abs. 1 SGB II sind zwar alle verwertbaren Vermögensgegenstände vorbehaltlich des Satzes 2 als Vermögen zu berücksichtigen, in Deinem Falle dürfte es aber an der Verwertbarkeit aufgrund der sehr wahrscheinlich vereinbarten Rückauflassungsvormerkung mangeln.

    Schau mal nach, ob im Vertrag auch ausdrücklich von der Rückauflassungsvormerkung die Rede ist und ob das im Grundbuch eingetragen ist. Falls ja, war die Auskunft des Jobcenters nicht zutreffend.

    „Truth is the first casualty in war” - Ethel Annakin

  • Hallo Dari,

    das kann ich Dir tatsächlich nicht beantworten, soweit reichen meine Kenntnisse im Privat- und Vertragsrecht nicht. Wenn es soweit ist, solltest Du einen Antrag auf Bürgergeld stellen (Du könntest auch nun schon Anspruch haben). Im Antrag müssen Deine kompletten Einkommens- und Vermögensverhältnisse offen gelegt werden. Dort legst Du natürlich auch den besagten Vertrag vor. Meines Erachtens wird dadurch die Unverwertbarkeit Deines Vermögens, jedenfalls zu Lebzeiten Deiner Eltern, dokumentiert. Aber, wie gesagt, ich bin keine Fachfrau in dem Thema.

    Wenn aber alle Unterlagen vorgelegt wurden, muss das Jobcenter ja eine Entscheidung treffen, ob du einen Anspruch auf Bürgergeld hast oder vielleicht auch auf darlehensweise Gewährung (24 Abs 5 SGB II). Die Rückzahlung wäre von vielen Faktoren abhängig, dass kann hier im Einzelnen nicht geklärt werden. Einen Rechtsweg gibt es nach der Entscheidung ja auch noch.

    Wenn das Leben Dir in den Allerwertesten tritt - nutze den Schwung um Vorwärts zu kommen

  • Edit: Meine Antwort ist stehen geblieben, ich hatte sie nicht versendet - daher war sie vor der Antwort von Luca verfasst. Danke Luca!

    Wenn das Leben Dir in den Allerwertesten tritt - nutze den Schwung um Vorwärts zu kommen

    • Neu
    • Offizieller Beitrag

    Dieser müsste mit Deinen Schulden gegen gerechnet werden

    Äh, nein? Wie kommst du darauf? Das ist doch schon lange höchstrichterlich entschieden, dass es keine Saldierung von Aktiva und Passiva bei Vermögen gibt:

    B 4 AS 28/09 R | Sozialgerichtsbarkeit Bundesrepublik Deutschland

    Zitat

    Vermögen iS von § 12 SGB II sind nicht die Bilanz aus aktiven und passiven Vermögenswerten, sondern die vorhandenen aktiven Vermögenswerte (vgl zur Alhi: BSG, Urteil vom 2.11.2000 - B 11 AL 35/00 R - BSGE 87, 143, 145 = SozR 3-4220 § 6 Nr 8; zu § 88 BSHG: BVerwG, Beschluss vom 3.12.1991 - 5 B 61/90 = Buchholz 436.0 zu § 88 BSHG Nr 22 S 14). Alle aktiven Vermögenswerte müssen grundsätzlich zur Sicherung des Lebensunterhaltes eingesetzt werden (§§ 9 Abs 1 Nr 2, 12 Abs 1 SGB II). Deshalb erfordert auch die Bedürftigkeitsprüfung im SGB II keine Saldierung aller Aktiva und Passiva.


    Ansonsten sehe ich es wie Luca. Mit der Klausel im Vertrag ist eine Verwertung nicht möglich.

    Es ist nicht nötig (und noch dazu regelwidrig!), mir eine PN zu schreiben, weil eine Verwarnung erfolgte, ein Beitrag oder Thread gelöscht oder ein Thread geschlossen wurde. Wenn dies geschah, hatte es einen entsprechenden Grund. Ich verweise insoweit auf die Regeln des Forums: Forenregeln.

  • Äh, nein? Wie kommst du darauf? Das ist doch schon lange höchstrichterlich entschieden, dass es keine Saldierung von Aktiva und Passiva bei Vermögen gibt:

    B 4 AS 28/09 R | Sozialgerichtsbarkeit Bundesrepublik Deutschland

    Wenn der Wert der Wohnung, sagen wir mal 100.000 Euro ist, und die Hypothek 80.000 Euro, dann.... (alles bezogen auf die Wohnung) so meinte ich das. Sorry, war nicht gut ausgedrückt. Ich meinte nicht die Privatschulden der Foristin.

    Wenn das Leben Dir in den Allerwertesten tritt - nutze den Schwung um Vorwärts zu kommen

  • Ich bedanke mich ganz herzlich für die Mühe und die vielen Infos! Ich bin jetzt auf jeden Fall schlauer. Ich werde berichten, was es gegeben hat!

    Liebe Grüße