Für soziales Leben e. V.

gemeinnützig & unabhängig

Stand:

Autor: Experte:

Wer eine Schwerbehinderung (GdB 50+) hat, ist oft erwerbsgemindert: Steigt jetzt auch die Erwerbsminderungsrente?

Millionen Menschen in Deutschland leben mit einer Schwerbehinderung (GdB ab 50). Häufig geht dies mit gesundheitlichen Einschränkungen einher, die auch ihre Erwerbsfähigkeit betreffen. Viele Betroffene beziehen eine Erwerbsminderungsrente. Doch wichtig ist: Die Rentenerhöhungen ab 2024 richten sich nicht nach dem Grad der Behinderung, sondern nach dem Rentenbeginn. Bürger & Geld, das Nachrichtenmagazin des Vereins Für soziales Leben e. V., erklärt, wer jetzt wirklich profitiert – mit Verweis auf die relevanten Paragrafen im Sozialgesetzbuch.

Schwerbehinderung (GdB 50+) – rechtliche Grundlagen und Bedeutung

  • Definition (§ 2 Abs. 2 SGB IX): Menschen sind schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 festgestellt wird.
  • Feststellung: Zuständig sind die Versorgungsämter bzw. Landesämter für Soziales.
  • Rechte: Anspruch auf Nachteilsausgleiche, wie:
    • Steuerfreibeträge (§ 33b EStG)
    • Zusatzurlaub von 5 Tagen (§ 208 Abs. 1 SGB IX)
    • Besonderer Kündigungsschutz (§ 168 SGB IX)

👉 Wichtig: Der GdB beeinflusst nicht die Höhe der Rente. Er ist nur ein Status, der Nachteilsausgleiche im Arbeitsleben und Alltag sichert.

Erwerbsminderungsrente – Anspruch nach SGB VI

Die gesetzliche Erwerbsminderungsrente ist in § 43 SGB VI geregelt:

  • Volle Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 2 SGB VI): Wenn die Leistungsfähigkeit auf weniger als drei Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes absinkt.
  • Teilweise Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 SGB VI): Wenn drei bis unter sechs Stunden tägliche Arbeit möglich sind.

Voraussetzungen (nach SGB VI):

  • Fünf Jahre Mindestversicherungszeit (§ 50 Abs. 1 SGB VI)
  • Drei Jahre Pflichtbeiträge in den letzten fünf Jahren
  • Ärztliche Begutachtung durch den Rentenversicherungsträger

Hier sieht man: Das Feststellungsverfahren der DRV ist unabhängig vom GdB-Bescheid. Zwar kann ein hoher GdB ein starkes Indiz für gesundheitliche Einschränkungen sein, doch die Rentenversicherung trifft ihre Entscheidung auf Basis eigener medizinischer Gutachten.

Politische Reformen – rechtliche Anpassungen seit 2014

Die Erwerbsminderungsrente wurde mehrfach reformiert, um die Benachteiligung gegenüber Altersrentnern auszugleichen:

  • 2014 Reform: Erste Verlängerung der Zurechnungszeit (§ 59 SGB VI) – Hochrechnung der Versicherungszeiten zur Verbesserung der Rente.
  • 2019 Rentenpaket: Weitere Ausdehnung der Zurechnungszeiten bis zur Regelaltersgrenze (§ 59 Abs. 1 SGB VI).
  • 2024 Leistungsverbesserungsgesetz: Einführung zusätzlicher Zuschläge für Bestandsrentner, geregelt in den §§ 307b und 307d SGB VI.

Zuschlagsregelung 2024 – Paragraphenbezug

Seit Juli 2024 gilt eine neue Zuschlagsregelung:

  • § 307b SGB VI: Zuschläge für Erwerbsminderungsrenten mit Rentenbeginn zwischen dem 1. Januar 2001 und dem 31. Dezember 2018 (bis zu 7,5%).
  • § 307d SGB VI: Zuschläge für Renten mit Beginn zwischen 2019 und 2023 (bis zu 4,5%).

👉 Klarstellung: Diese Zuschläge gelten für alle EM-Renten in den genannten Zeiträumen, unabhängig vom Grad der Behinderung.

Rechenbeispiele mit Bezug auf Recht

Beispiel 1: Volle Erwerbsminderung, Rente seit 2010 (§ 43 Abs. 2 SGB VI, Zuschlag nach § 307b SGB VI)

  • Rente bisher: 950 €
  • Zuschlag: +7,5%
  • Neue Rente: 1.021,25 €

Beispiel 2: Volle Erwerbsminderung, Rente seit 2021 (§ 43 Abs. 2 i.V.m. § 307d SGB VI)

  • Rente bisher: 1.150 €
  • Zuschlag: +4,5%
  • Neue Rente: 1.201,75 €

Unterschied Schwerbehinderung ≠ Erwerbsminderung

Noch einmal deutlich:

  • GdB (SGB IX): Feststellung von gesundheitlichen Einschränkungen und Anspruch auf Nachteilsausgleiche.
  • EM-Rente (SGB VI): Anspruch auf Rentenzahlungen bei eingeschränkter Erwerbsfähigkeit.
  • Überschneidung: Viele mit GdB 50+ erfüllen die Kriterien für volle oder teilweise Erwerbsminderung – aber beide Systeme sind rechtlich komplett unterschiedlich verankert.

FAQ – juristisch fundiert erklärt

Bekomme ich automatisch EM-Rente, wenn mein GdB bei 50 liegt?

Nein. Der GdB wird nach SGB IX festgestellt, die EM-Rente nach SGB VI. Beide Verfahren sind getrennt.

Gilt die Zuschlagsregelung 2024 auch für Menschen ohne Schwerbehindertenausweis?

a. Der Zuschlag hängt nur vom Rentenbeginn gemäß § 307b/d SGB VI ab.

Muss man die Zuschläge beantragen?

Nein. Die Umsetzung erfolgt automatisch durch die Deutsche Rentenversicherung (§ 115 SGB VI – Rentenanpassung).

Kann ein hoher GdB die EM-Rente erleichtern?

Er wirkt sich nicht direkt auf die Höhe aus. Aber im DRV-Verfahren können ärztliche Befunde, die Grundlage für den GdB sind, auch in die Begutachtung einfließen.

Fazit: Stärkung der EM-Rente, aber keine Erhöhung durch GdB

  • Der GdB nach SGB IX bringt Nachteilsausgleiche im Alltag, aber keinen Rentenzuschlag.
  • Die Erwerbsminderungsrente nach SGB VI wurde durch Reformen verbessert – mit Zuschlägen von bis zu 7,5% für Bestandsrentner.
  • Ab 2024 profitieren Millionen Menschen.
  • Dennoch bleibt eine große Herausforderung: Viele EM-Rentner leben weiterhin auf Grundsicherungsniveau (§ 41 SGB XII i.V.m. § 19 Abs. 2 SGB XII).

Damit ist klar: Eine Schwerbehinderung erleichtert Rentenansprüche indirekt, aber die Rentenerhöhung 2024 beruht ausschließlich auf den neuen Zuschlagsregelungen in § 307b/d SGB VI, unabhängig vom GdB.

Redakteure

  • Peter Kosick

    Jurist und Redakteur

    Peter Kosick hat an der Universität Münster Rechtswissenschaften studiert und beide juristische Staatsexamen in Nordrhein-Westfalen mit Erfolg abgelegt. Er arbeitet als freiberuflicher Jurist, ist Autor verschiedener Publikationen und hält Vorträge im Bereich Arbeits- und Sozialrecht. Seit mehr als 30 Jahren engagiert er sich im sozialen Bereich und ist seit der Gründung des Vereins "Für soziales Leben e.V." dort Mitglied. Peter Kosick arbeitet in der Online Redaktion des Vereins und ist der CvD. Seinen Artikeln sieht man an, dass sie sich auf ein fundiertes juristisches Fachwissen gründen. Peter hat ebenfalls ein Herz für die Natur, ist gern "draußen" und setzt sich für den Schutz der Umwelt ein. Seine Arbeit im Redaktionsteam von buerger-geld.org gibt ihm das Gefühl,  etwas Gutes für das Gemeinwohl zu tun.

    Alle Beiträge ansehen Peter Kosick
  • ik
    Experte:

    Sozialrechtsexperte und Redakteur

    Ingo Kosick ist ein renommierter Experte im Bereich des Sozialrechts in Deutschland. Er engagiert sich seit über 30 Jahren in diesem Feld und hat sich als führende Autorität etabliert. Als Vorsitzender des Vereins Für soziales Leben e.V., der 2005 in Lüdinghausen gegründet wurde, setzt er sich für die Unterstützung von Menschen ein, die von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen sind. Der Verein bietet über das Internet Informationen, Beratung und Unterstützung für sozial benachteiligte Menschen an. Ingo Kosick ist zudem ein zentraler Autor und Redakteur auf der Plattform buerger-geld.org, die sich auf Themen wie Bürgergeld, Sozialleistungen, Rente und Kindergrundsicherung spezialisiert hat. Seine Artikel bieten fundierte Analysen und rechtlich aufgearbeitete Informationen, die Menschen in schwierigen Lebenssituationen unterstützen sollen. Durch seine langjährige Erfahrung und sein Engagement hat Ingo Kosick maßgeblich dazu beigetragen, dass sozial benachteiligte Menschen in Deutschland besser informiert und unterstützt werden können.

    Alle Beiträge ansehen Ingo Kosick

Hinweis zur Redaktion und zum Faktencheck
Die Redaktion von Bürger & Geld prüft sämtliche Artikel vor Veröffentlichung sorgfältig nach aktuellen gesetzlichen Grundlagen, offiziellen Statistiken und seriösen Quellen wie Bundesministerien, Sozialverbänden und wissenschaftlichen Studien. Unser Redaktionsteam besteht aus erfahrenen Fachautorinnen für Sozialpolitik, die alle Inhalte regelmäßig überarbeiten und aktualisieren. Jeder Text durchläuft einen strukturierten Faktencheck-Prozess sowie eine redaktionelle Qualitätssicherung, um höchste Genauigkeit und Transparenz zu gewährleisten. Bei allen wesentlichen Aussagen werden Primärquellen direkt im Fließtext verlinkt. Die Unabhängigkeit von Werbung und Drittinteressen sichert neutralen Journalismus – zum Schutz unserer Leserinnen und zur Förderung der öffentlichen Meinungsbildung.


Verantwortlich für die Inhalte auf dieser Seite: Redaktion des Vereins Für soziales Leben e. V. – Ihre Experten rund um Soziale Sicherheit und Altersvorsorge.