Unbefristeter Schwerbehindertenausweis auch bei GdB 100 nicht garantiert – der Sachverhalt
Im Zentrum des vom Landessozialgericht zu entscheidenden Falles stand eine Frau, der nach zahlreichen schweren gesundheitlichen Einschränkungen ein GdB von 100 zuerkannt wurde. Sie beantragte einen unbefristeten Schwerbehindertenausweis, da ihre Behinderungen als dauerhaft galten. Die zuständige Behörde genehmigte jedoch nur einen befristeten Ausweis – mit dem Verweis darauf, dass auch bei hoher Behinderung die Möglichkeit einer zukünftigen Verbesserung des Gesundheitszustands geprüft werden müsse.
Die Antragstellerin klagte vor dem Sozialgericht, da sie sich durch die wiederholten Befristungen und die damit verbundenen Arztbesuche und Nachweise unnötig belastet fühlte.
Die Entscheidungsgründe des Thüringer LSG
Das Landessozialgericht hat seine Entscheidung ausführlich begründet. Im Urteil stellt das Gericht klar, dass ein GdB von 100 nicht automatisch einen unbefristeten Schwerbehindertenausweis nach sich zieht:
Kein Automatismus bei Unbefristung des Schwerbehindertenausweises
Das Gericht stellte mit seinem Urteil fest, dass auch bei einem GdB von 100 keine automatische unbefristete Ausstellung des Schwerbehindertenausweises besteht. Vielmehr muss die Behörde im Einzelfall prüfen, ob tatsächlich eine „dauerhafte und irreversible Behinderung“ vorliegt. -Thüringer Landessozialgericht, Urteil unter dem Az: L 5 SB 1259/19 – Quelle: openjur.de
Möglichkeit gesundheitlicher Verbesserung
Die Richter verwiesen auf die Versorgungsmedizin-Verordnung: Befristungen sind rechtmäßig, solange aus fachärztlicher Sicht nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine Besserung des Gesundheitszustands eintritt – selbst bei schweren chronischen Erkrankungen. Erst wenn ärztliche Stellungnahmen eindeutig eine dauerhafte Einschränkung belegen, kann eine Unbefristung erteilt werden.
Schutz vor Bürokratie – aber auch vor Missbrauch
Das Gericht würdigte das Anliegen der Klägerin nach weniger Bürokratie, betonte aber den Grundsatz: Eine periodische Überprüfung dient der Rechtssicherheit und dem Schutz vor zu lange fortbestehenden, nicht angepassten Ausweisen.
Anspruch auf rechtliche Prüfung und Anhörung
Die Entscheidung betont das Recht des Antragstellers auf individuelle Prüfung und ärztliches Gehör. Nur bei vollständiger Aktenlage – inklusive aktueller Fachgutachten – ist eine begründete Befristung zulässig.
Bedeutung des Urteils für die Praxis
- Befristung bleibt zulässig: Auch höchste Behinderungsgrade führen nicht automatisch zur unbefristeten Erteilung.
- Wiederholte Nachweise erforderlich: Antragsteller müssen im Zweifel regelmäßig aktuelle ärztliche Bescheinigungen vorlegen.
- Rechtsmittel möglich: Wer glaubt, dass die Befristung ungerechtfertigt ist, kann Widerspruch einlegen und im Zweifel klagen – mit Hinweis auf den Einzelfall und medizinische Gutachten.
- Mehr Transparenz durch Einzelfallprüfung: Die Entscheidung rückt die individuelle Einschätzung von Ärzten und Gutachtern in den Mittelpunkt und schützt sowohl Betroffene als auch Behörden vor pauschalen Feststellungen.
Fazit: Rechte und Pflichten bei der Befristung des Schwerbehindertenausweises
Das Urteil des Thüringer LSG sorgt für mehr Klarheit im Umgang mit der Ausstellung von Schwerbehindertenausweisen – auch bei schwersten Behinderungen. Antragsteller sollten aktuelle medizinische Unterlagen vorlegen und rechtzeitig prüfen lassen, ob eine Unbefristung möglich ist. Behördliche Entscheidungen müssen gut begründet, transparent und individuell erfolgen. Für Menschen mit Behinderung und deren Angehörige bedeutet dies mehr Rechtssicherheit und Handlungsoptionen.