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Beweislastumkehr beim Bürgergeld – Was bedeutet das für die Neue Grundsicherung 2026?

Die Diskussion rund um das Bürgergeld ist im Jahr 2025 aktueller denn je. Besonders CDU-Politiker fordern eine fundamentale Änderung: die sogenannte Beweislastumkehr. Was genau ist darunter zu verstehen, warum wird das Thema jetzt so intensiv diskutiert, und welche Folgen könnte eine solche Reform für Millionen Bürgergeld-Empfänger haben? Dieser Artikel auf Bürger & Geld, dem Nachrichtenmagazin des Vereins Für soziales Leben e.V., gibt einen detaillierten Überblick und erklärt die Hintergründe, Motive sowie mögliche Folgen dieser politischen Forderung.

Bürgergeld und Nachweispflichten: Der aktuelle Stand

Das Bürgergeld hat im Jahr 2023 das bisherige Hartz-IV-System abgelöst und steht mittlerweile im Zentrum der politischen und gesellschaftlichen Kontroversen. Rund 5,5 Millionen Menschen erhalten Bürgergeld, die meisten sind laut Statistik im erwerbsfähigen Alter. Die Regelungen zur Anspruchsberechtigung sind dabei klar: Bürgergeld bekommt nur, wer nachweisen kann, dass er hilfebedürftig ist (§ 7 SGB II), seinen Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten kann (§ 9 SGB II), und alle relevanten Tatsachen vollständig dokumentiert (§ 60 SGB I). Die Verantwortung für die Mitwirkung – also das Beibringen von Nachweisen – liegt bislang beim Antragsteller.

Was bedeutet die Beweislastumkehr beim Bürgergeld?

Unter Beweislastumkehr wird verstanden, dass die Verantwortung für den Nachweis der Bedürftigkeit künftig nicht mehr, wie bisher, hauptsächlich beim Antragsteller liegt. Stattdessen soll der Empfänger fortwährend und lückenlos beweisen, dass er weiterhin zur Zielgruppe des Bürgergelds gehört – und das Jobcenter muss weniger aktiv nachforschen. Die CDU fordert, dass diese Beweislast vom Amt auf die Empfänger verlagert wird: Jeder Bürgergeldbezieher müsste dann regelmäßig und umfassend seine Bedürftigkeit, Bewerbungsbemühungen, Terminwahrnehmungen sowie seine Vermögens- und Lebenssituation nachweisen.

Wortwörtlich heißt das: Der Nachweis, nicht arbeitsfähig oder hilfebedürftig zu sein, wird zur permanenten Verpflichtung – ein dauerhafter „Test auf Armut und Arbeitsbereitschaft“.

Die Motive der CDU – Warum jetzt?

Hinter der Forderung steht der Wunsch nach einem „Paradigmenwechsel“. Die CDU sieht im aktuellen System zu wenige Anreize für Empfänger, aktiv aus dem Bürgergeld herauszukommen. Viele Spitzenpolitiker der Union wie Carsten Linnemann und Michael Kretschmer begründen die Beweislastumkehr damit, dass zu viele Menschen aus ihrer Sicht das Bürgergeld beziehen, ohne ausreichend Bemühungen um Eigenständigkeit zu zeigen. Der Wirtschaftsrat der CDU erklärt, eine strengere Kontrolle sei notwendig, um Missbrauch zu verhindern und den Sozialstaat zu sichern. Besonders die hohe Zahl der Menschen, die trotz Erwerbsfähigkeit Bürgergeld beziehen, sorgt für politischen Druck. Gleichzeitig steigen die Kosten für die Grundsicherung rapide: Für 2026 wird ein Betrag von über 49 Milliarden Euro veranschlagt.

Was würde die Beweislastumkehr konkret bedeuten?

Im Falle einer gesetzlichen Umsetzung gäbe es massive Veränderungen:

  • Jede Zahlung wäre an monatliche Nachweise gebunden (Kontoauszüge, Mietdaten, Bewerbungsunterlagen).
  • Digitale Nachweispflichten: Dokumente müssten aktiv hochgeladen und Fristen penibel eingehalten werden.
  • Bei fehlender Dokumentation oder ungeklärten Vermögensverhältnissen drohen automatische Leistungskürzungen oder sogar Stopp der Auszahlung.
  • Bewerbungsbemühungen und andere Mitwirkungsleistungen müssten regelmäßig und aktiv nachgewiesen werden.

Dies würde bedeuten: Der Bezug von Bürgergeld entwickelt sich zu einem kontinuierlichen Dokumentationsprozess, bei dem das Risiko für Leistungslücken und Sanktionen deutlich steigt – existenzbedrohende Situationen für viele Betroffene könnten die Folge sein.

Aktuelle rechtliche und politische Ausgangslage

Nach aktueller Rechtslage gilt:

  • Wer einen Antrag auf Bürgergeld stellt, muss seine Hilfebedürftigkeit nachweisen.
  • Das Jobcenter hat die objektive Beweislast im Hinblick auf die Ablehnung von Leistungen, die Mitwirkungspflicht bleibt aber beim Bürger.
  • Bei fehlender Mitwirkung oder nicht aufklärbarer Vermögenslage trägt der Antragsteller das Risiko einer Ablehnung oder Kürzung der Leistung, wie aktuelle Urteile des LSG Hessen und des Bundessozialgerichts bestätigen (Az. L 9 AS 209/24 u. B 4 AS 24/25 B).

Die CDU sieht sich durch diese Rechtsprechung bestätigt und plant eine gesetzliche Beweislastumkehr – die Reform soll 2026 kommen. Eine Sozialstaatskommission ist bereits eingesetzt. Die Neue Grundsicherung soll 2026 eingeführt werden.

Kritik und Befürchtungen

Während die CDU die Beweislastumkehr als Mittel gegen Missbrauch und sicherere Steuerung der Sozialleistungen ansieht, warnen Sozialverbände, so auch der Verein Für soziales Leben e.V., und Juristen vor negativen Folgen:

  • Empfänger werden unter Generalverdacht gestellt und mit fortwährender Bürokratie belastet.
  • Existenzbedrohende Leistungslücken sind bei den Schwächsten der Gesellschaft zu befürchten (Obdachlose, psychisch Erkrankte, Alleinerziehende).
  • Eine massive Klagewelle gegen Sperr- und Kürzungsbescheide ist wahrscheinlich, die Sozialgerichte könnten überfordert werden.
  • Die Gefahr besteht, dass viele, die berechtigt wären, aus Angst vor Fehlern oder fehlender digitaler Ausstattung keinen Antrag mehr stellen oder durch das Raster fallen..

Tabelle: Alt vs. Neu – Nachweispflichten Bürgergeld im Vergleich

MerkmalAktuelles Bürgergeld (2025)CDU-Forderung Beweislastumkehr
BeweislastJobcenter prüft Ablehnung; Mitwirkung durch Antragsteller Empfänger muss Bedürftigkeit regelmäßig und lückenlos beweisen
NachweispflichtenEinmalig beim Antrag, dann bei Änderungen Fortlaufend, monatlich, aktiv
Risiko bei UnklarheitLeistungen können versagt/kürzt werden Leistungen werden automatisch eingestellt
DokumentationsaufwandMittel bis hochSehr hoch, digitale Nachweise und Fristen

FAQ zur Beweislastumkehr

Was ist die Beweislastumkehr beim Bürgergeld?

Die verpflichtende, fortlaufende Nachweispflicht der Bedürftigkeit für Empfänger, nicht mehr vorrangig das Jobcenter prüft.

Wieso fordert die CDU solch eine Änderung?

Um Arbeitsanreize zu stärken, Missbrauch einzudämmen und die Kosten des Sozialstaats zu senken.

Welche Folgen hätte das für Bürgergeld-Bezieher?

Mehr Nachweispflichten, Gefahr der Leistungslücke, zunehmende Bürokratie und höheres Risiko für Sanktionen bei Fristversäumnis.

Wann könnte die Beweislastumkehr umgesetzt werden?

Die Beweislastumkehr könnte Anfang 2026 kommen. Dann soll die Neue Grundsicherung das Bürgergeld ersetzen.


Fazit zur Beweislastumkehr beim Bürgergeld

Die Beweislastumkehr bewerten wir negativ: Sie bringt Bürokratie, Angst und keine Verbesserungen.

Redakteure

  • ik

    Sozialrechtsexperte und Redakteur

    Ingo Kosick ist ein renommierter Experte im Bereich des Sozialrechts in Deutschland. Er engagiert sich seit über 30 Jahren in diesem Feld und hat sich als führende Autorität etabliert. Als Vorsitzender des Vereins Für soziales Leben e.V., der 2005 in Lüdinghausen gegründet wurde, setzt er sich für die Unterstützung von Menschen ein, die von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen sind. Der Verein bietet über das Internet Informationen, Beratung und Unterstützung für sozial benachteiligte Menschen an. Ingo Kosick ist zudem ein zentraler Autor und Redakteur auf der Plattform buerger-geld.org, die sich auf Themen wie Bürgergeld, Sozialleistungen, Rente und Kindergrundsicherung spezialisiert hat. Seine Artikel bieten fundierte Analysen und rechtlich aufgearbeitete Informationen, die Menschen in schwierigen Lebenssituationen unterstützen sollen. Durch seine langjährige Erfahrung und sein Engagement hat Ingo Kosick maßgeblich dazu beigetragen, dass sozial benachteiligte Menschen in Deutschland besser informiert und unterstützt werden können.

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  • Peter Kosick
    Experte:

    Jurist und Redakteur

    Peter Kosick hat an der Universität Münster Rechtswissenschaften studiert und beide juristische Staatsexamen in Nordrhein-Westfalen mit Erfolg abgelegt. Er arbeitet als freiberuflicher Jurist, ist Autor verschiedener Publikationen und hält Vorträge im Bereich Arbeits- und Sozialrecht. Seit mehr als 30 Jahren engagiert er sich im sozialen Bereich und ist seit der Gründung des Vereins "Für soziales Leben e.V." dort Mitglied. Peter Kosick arbeitet in der Online Redaktion des Vereins und ist der CvD. Seinen Artikeln sieht man an, dass sie sich auf ein fundiertes juristisches Fachwissen gründen. Peter hat ebenfalls ein Herz für die Natur, ist gern "draußen" und setzt sich für den Schutz der Umwelt ein. Seine Arbeit im Redaktionsteam von buerger-geld.org gibt ihm das Gefühl,  etwas Gutes für das Gemeinwohl zu tun.

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