Sachverhalt: Ein Anspruch auf Mehrbedarf bei Wiedereingliederung
Im zugrundeliegenden Sachverhalt lebte der Kläger mit seiner Familie in einer Bedarfsgemeinschaft und war nach einer stationären medizinischen Reha aufgrund einer fortgeschrittenen Niereninsuffizienz mit anschließender Dialyse stufenweise wiedereingegliedert. Während dieser Wiedereingliederung erhielt er Übergangsgeld, jedoch keine Zahlungen vom Arbeitgeber. Das zuständige Jobcenter berücksichtigte bestimmte Pauschalen und Kosten (Versicherung, Fahrkosten), aber nicht den Erwerbstätigenfreibetrag oder die Werbungskostenpauschale.
Vorinstanzen und Klageweg
Das Sozialgericht und das Landessozialgericht wiesen die Klage zunächst ab. Sie argumentierten, dass es sich beim Übergangsgeld um eine Entgeltersatzleistung handle, von der kein Erwerbstätigenfreibetrag abzusetzen sei, da keine echte Arbeitsleistung im Sinne eines klassischen Arbeitsverhältnisses erbracht wurde. Die Kläger legten Revision beim Bundessozialgericht ein und forderten höhere Leistungen unter Berücksichtigung des Erwerbstätigenfreibetrags.
Entscheidungsgründe: Mehrbedarf für Wiedereingliederung wird anerkannt
Das BSG gab den Klägern Recht. Es stellte fest, dass zwar kein Erwerbstätigkeitsfreibetrag auf das Übergangsgeld anzuwenden sei, jedoch ein Anspruch auf Mehrbedarf bei Behinderung nach § 21 Abs. 4 SGB II besteht. Die stufenweise Wiedereingliederung nach § 28 SGB IX – auch wenn durch medizinische Gründe und außerhalb eines klassischen Arbeitsverhältnisses vollzogen – ist als „sonstige Hilfe zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben“ anzusehen und löst damit einen Mehrbedarf von 35 % des Regelbedarfs aus.
Bedeutung der Teilhabemaßnahme – Träger unerheblich
Das Bundessozialgericht hat klargestellt, dass auch Leistungen zur stufenweisen Wiedereingliederung Maßnahmen sind, die dazu dienen, behinderten Menschen die Eingliederung in das Arbeitsleben zu ermöglichen.
Es kommt nicht darauf an, wer Träger der Maßnahme ist – entscheidend ist die tatsächliche Durchführung der Eingliederungsmaßnahme.
Unerheblich für den Mehrbedarf nach § 21 Abs. 4 SGB II ist somit, dass die Leistungsbewilligung auf einem Bescheid des Jobcenters beruht. Ausreichend ist, dass eine in der Regelung bezeichnete Eingliederungsmaßnahme tatsächlich durchgeführt wird, unabhängig davon, wer Träger der Maßnahme und Leistung ist.
Keine echte Erwerbstätigkeit – Konsequenzen für das Übergangsgeld
Ein zentrales Argument des Gerichts: Das Übergangsgeld ist keine Bezahlung für eine klassische „wirtschaftlich verwertbare Leistung“, sondern ein Entgeltersatz, vergleichbar mit Krankengeld. Daher wird kein Erwerbstätigenfreibetrag abgezogen. Stattdessen greift der Mehrbedarf, wenn der gesundheitliche und behinderungsbedingte Zustand eine Wiedereingliederung erforderlich macht.
Anerkannte Höhe des Mehrbedarfs
Der Mehrbedarf bei Behinderung während der stufenweisen Wiedereingliederung wird mit 35% des Regelbedarfs angesetzt. Im konkreten Fall entsprach dies 123,55 Euro für den Kläger.
Auswirkungen und Kostenentscheidung
Das Urteil hebt die Bedeutung von Teilhabeleistungen für behinderte Menschen hervor und stellt klar, dass betroffene Personen während solcher Maßnahmen finanziell besser gestellt werden sollen. Die Kosten des Verfahrens für alle Rechtszüge müssen vom Beklagten (Jobcenter) getragen werden.
Fazit: Mehrbedarf bei Behinderung bei Wiedereingliederung
Das BSG-Urteil vom 5. Juli 2017 schafft Rechtssicherheit für behinderte Menschen in der Grundsicherung, die sich nach einer Reha stufenweise wieder ins Arbeitsleben eingliedern. Der Anspruch auf Mehrbedarf steht ihnen auch dann zu, wenn keine klassische Arbeitsleistung erbracht wird, sobald eine Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben tatsächlich durchgeführt wird, egal, wer Träger der Maßnahme ist.
Quelle
Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 5. Juli 2017 (Az. B 14 AS 27/16 R)