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Gesetzlich betreute Menschen ignoriert und diskriminiert: Ärzte respektieren Einwilligungsfähigkeit nicht!

Viele Ärzte und Kliniken übergehen gesetzlich betreute Menschen und ignorieren deren Fähigkeit, selbst über medizinische Behandlungen zu entscheiden. Warum diese Diskriminierung im Gesundheitswesen ein Tabuthema ist und wie Betroffene sich wehren können, zeigt dieser Artikel auf Bürger & Geld, dem Nachrichtenmagazin des Vereins Für soziales Leben e.V.!

Verweigertes Selbstbestimmungsrecht: Wie Ärzte gesetzlich betreuten Menschen die Einwilligung absprechen!

Diskriminierung im Arztzimmer und in der Klinik: Wenn Betreuung als Entmündigung verstanden wird

In Deutschland leben über 1,3 Millionen Menschen unter gesetzlicher Betreuung. Sie benötigen Unterstützung, um bestimmte Angelegenheiten zu regeln – etwa bei Finanzen, Behördenpost oder medizinischen Fragen. Doch in vielen Arztpraxen und Kliniken werden Betreute so behandelt, als seien sie völlig entmündigt. Ihnen wird die Fähigkeit abgesprochen, selbst in medizinische Maßnahmen einzuwilligen. Es wird sofort der gesetzliche Betreuer kontaktiert und hinzugebeten. Dieses Verhalten ist nicht nur rechtlich fragwürdig, sondern verletzt auch Grundrechte auf Selbstbestimmung, Menschenwürde und Gleichbehandlung.

Was bedeutet „Einwilligungsfähigkeit“ eigentlich?

Nach deutschem Recht (§ 630d BGB) darf ein ärztlicher Eingriff nur mit wirksamer Einwilligung des Patienten erfolgen. Einwilligungsfähig ist, wer Art, Bedeutung und Folgen der Maßnahme versteht und selbstbestimmt entscheiden kann – unabhängig davon, ob eine gesetzliche Betreuung besteht.
Betreuung bedeutet also nicht automatisch, dass jemand nicht einwilligungsfähig ist. Trotzdem erleben viele Betroffene, dass Ärzte reflexartig den gesetzlichen Betreuer anrufen, statt das Gespräch mit dem Patienten selbst zu führen.

Zwischen Bevormundung und Misstrauen

Zahlreiche Erfahrungsberichte zeigen ein Muster: Menschen mit gesetzlichen Betreuern berichten von Ärzten, die sie nicht ernst nehmen. Typische Situationen sind:

  • Ärztinnen sprechen ausschließlich mit dem Betreuer, nicht mit dem Patienten.
  • Einwilligungsformulare werden dem Betreuer vorgelegt, obwohl der Patient geistig fähig wäre, selbst zu unterschreiben.
  • Medizinische Aufklärungsgespräche finden ohne Beteiligung der betroffenen Person oder nur unter Beteiligung des gesetzlichen Betreuers statt.

Diese Praxis basiert oft auf Unsicherheit oder Vorurteilen. Viele Ärzte verwechseln „Betreuung“ mit „Geschäftsunfähigkeit“ bzw. “Einwilligungsunfähigkeit” – obwohl dies rechtlich völlig verschiedene Dinge sind.

Rechtliche Lage: Selbstbestimmung bleibt unberührt

Das Betreuungsrecht wurde 2023 reformiert, um die Selbstbestimmung Betroffener zu stärken. Der Grundsatz lautet: Betreuer sollen unterstützen, nicht bestimmen. Selbst bei komplexen medizinischen Entscheidungen ist zuerst zu prüfen, ob der Mensch die Tragweite versteht. Nur wenn dies eindeutig nicht der Fall ist, darf der Betreuer stellvertretend einwilligen.
Ignoriert ein Arzt die Einwilligungsfähigkeit, verletzt er nicht nur das Selbstbestimmungsrecht, sondern riskiert auch rechtliche Konsequenzen – etwa im Rahmen der ärztlichen Aufklärungspflicht (§ 630e BGB).

Stimmen aus der Praxis

Betroffene schildern häufig, wie verletzend es ist, wenn ihre Meinung übergangen wird. Eine Patientin mit gesetzlicher Betreuung berichtet: „Ich kann ganz klar sagen, welche Behandlung ich möchte. Trotzdem hat der Arzt direkt meinen Betreuer angerufen, ohne mich zu fragen. Ich fühlte mich wie ein Kind. Ich möchte zudem nicht in Gegenwart meines Betreuers entscheiden!“
Solche Erlebnisse sind nicht nur diskriminierend, sie führen zu Vertrauensverlust. Menschen mit Betreuung meiden dann oft Arzttermine – aus Angst, wieder nicht ernst genommen zu werden.

Der Redaktion liegen weiter Beschwerden vor, die auch eine namhafte Uni-Klinik betreffen!

Ethik und Verantwortung im ärztlichen Alltag

Ärzte stehen im Spannungsfeld zwischen Fürsorge und Selbstbestimmung. Doch das ärztliche Ethos verpflichtet sie, den Willen des Patienten zu achten. Die Bundesärztekammer betont regelmäßig: Auch ein gesetzlich betreuter Mensch hat das Recht, über seinen Körper selbst zu entscheiden, solange er die medizinische Situation nachvollziehen kann.
Eine gute Praxis zeichnet sich dadurch aus, dass das medizinische Personal das Gespräch geduldig führt, Informationen einfach erklärt und Verständnisfragen ernst nimmt. Und zwar zunächst ausschließlich allein mit dem gesetzlich betreuten Menschen, ohne Anwesenheit des Betreuers! Stellt sich dann die Einwilligungsunfähigkeit heraus – und nur dann! – ist der gesetzliche Betreuer zu kontaktieren!

Barrieren im System: Bürokratie statt Menschlichkeit

Neben Unwissen spielt Zeitmangel eine große Rolle. Viele Praxen sind überlastet, Kommunikation mit Betreuern kostet zusätzliche Zeit. Deshalb wird oft vorschnell entschieden, die Betroffenen „nicht zu überfordern“ – ein vermeintlich pragmatischer, tatsächlich aber diskriminierender, rechtlich unzulässiger Ansatz.
Auch Krankenhäuser haben selten Schulungsprogramme, um Einwilligungsfähigkeit korrekt zu beurteilen. Dabei könnten klare Leitlinien und Fortbildungen helfen, solche Fehler zu vermeiden.

Forderung nach Sensibilisierung und klarer Gesetzesanwendung

Verbände wie der Deutsche Behindertenrat und die Bundesarbeitsgemeinschaft der gesetzlichen Betreuer fordern seit Jahren verpflichtende Schulungen für medizinisches Personal. Die zentrale Botschaft: Betreuung ist Unterstützung, keine Entmündigung.
Das Bundesministerium der Justiz sieht ebenfalls Handlungsbedarf und prüft, ob eine verpflichtende Dokumentation der Einwilligungsprüfung eingeführt werden kann – ähnlich wie bei Aufklärungsgesprächen.

Was Betroffene tun können

Wer das Gefühl hat, seine Einwilligungsfähigkeit werde missachtet, sollte:

  • auf das eigene Selbstbestimmungsrecht hinweisen (§ 630d BGB),
  • eine zweite ärztliche Meinung einholen,
  • den Betreuer um Unterstützung bitten, das Selbstbestimmungsrecht durchzusetzen,
  • im Extremfall Beschwerde bei der Ärztekammer einreichen oder sich an eine Patientenberatungsstelle wenden.

Fazit: Gesetzlich betreut heißt nicht unfähig

Die Diskriminierung gesetzlich betreuter Menschen in Arztpraxen und Kliniken ist ein ernstes gesellschaftliches Problem. Sie ergibt sich aus mangelnder Aufklärung, fehlender Schulung und überholten Denkmustern. Wer Betreuung mit Entmündigung verwechselt, verletzt die Würde des Menschen – und stellt sich gegen das Betreuungsrecht, das genau das Gegenteil bewirken soll: mehr Selbstbestimmung, mehr Teilhabe, mehr Gleichberechtigung.

Selbstbestimmung ist kein Privileg, sondern ein Recht – und dieses Recht gilt für alle.

Information des Bundesjustizministeriums

Bundesministerium der Justiz: Dos and don’ts für Ärztinnen und Ärzte

Redakteure

  • ik

    Sozialrechtsexperte und Redakteur

    Ingo Kosick ist ein renommierter Experte im Bereich des Sozialrechts in Deutschland. Er engagiert sich seit über 30 Jahren in diesem Feld und hat sich als führende Autorität etabliert. Als Vorsitzender des Vereins Für soziales Leben e.V., der 2005 in Lüdinghausen gegründet wurde, setzt er sich für die Unterstützung von Menschen ein, die von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen sind. Der Verein bietet über das Internet Informationen, Beratung und Unterstützung für sozial benachteiligte Menschen an. Ingo Kosick ist zudem ein zentraler Autor und Redakteur auf der Plattform buerger-geld.org, die sich auf Themen wie Bürgergeld, Sozialleistungen, Rente und Kindergrundsicherung spezialisiert hat. Seine Artikel bieten fundierte Analysen und rechtlich aufgearbeitete Informationen, die Menschen in schwierigen Lebenssituationen unterstützen sollen. Durch seine langjährige Erfahrung und sein Engagement hat Ingo Kosick maßgeblich dazu beigetragen, dass sozial benachteiligte Menschen in Deutschland besser informiert und unterstützt werden können.

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  • Peter Kosick
    Experte:

    Jurist und Redakteur

    Peter Kosick hat an der Universität Münster Rechtswissenschaften studiert und beide juristische Staatsexamen in Nordrhein-Westfalen mit Erfolg abgelegt. Er arbeitet als freiberuflicher Jurist, ist Autor verschiedener Publikationen und hält Vorträge im Bereich Arbeits- und Sozialrecht. Seit mehr als 30 Jahren engagiert er sich im sozialen Bereich und ist seit der Gründung des Vereins "Für soziales Leben e.V." dort Mitglied. Peter Kosick arbeitet in der Online Redaktion des Vereins und ist der CvD. Seinen Artikeln sieht man an, dass sie sich auf ein fundiertes juristisches Fachwissen gründen. Peter hat ebenfalls ein Herz für die Natur, ist gern "draußen" und setzt sich für den Schutz der Umwelt ein. Seine Arbeit im Redaktionsteam von buerger-geld.org gibt ihm das Gefühl,  etwas Gutes für das Gemeinwohl zu tun.

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