Für soziales Leben e. V.

gemeinnützig & unabhängig

Stand:

Autor:

Schwerbehindertenausweis: Urteil – Befristung bleibt auch bei GdB 100 möglich

Das Thüringer Landessozialgericht hat in einem richtungweisenden Urteil entschieden: Ein Schwerbehindertenausweis wird auch bei einem GdB von 100 nicht generell unbefristet erteilt. Das Urteil betrifft zahlreiche Menschen mit vollständiger Behinderung und klärt die Voraussetzungen und die Praxis bei der Ausweisbefristung. Welche Kriterien gelten? Welche Rechte haben Antragsteller? Hier auf Bürger & Geld, dem Nachrichtenmagazin des Vereins Für soziales Leben e.V., die Hintergründe und Folgen im Detail!

Unbefristeter Schwerbehindertenausweis auch bei GdB 100 nicht garantiert – der Sachverhalt

Im Zentrum des vom Landessozialgericht zu entscheidenden Falles stand eine Frau, der nach zahlreichen schweren gesundheitlichen Einschränkungen ein GdB von 100 zuerkannt wurde. Sie beantragte einen unbefristeten Schwerbehindertenausweis, da ihre Behinderungen als dauerhaft galten. Die zuständige Behörde genehmigte jedoch nur einen befristeten Ausweis – mit dem Verweis darauf, dass auch bei hoher Behinderung die Möglichkeit einer zukünftigen Verbesserung des Gesundheitszustands geprüft werden müsse.

Die Antragstellerin klagte vor dem Sozialgericht, da sie sich durch die wiederholten Befristungen und die damit verbundenen Arztbesuche und Nachweise unnötig belastet fühlte.

Die Entscheidungsgründe des Thüringer LSG

Das Landessozialgericht hat seine Entscheidung ausführlich begründet. Im Urteil stellt das Gericht klar, dass ein GdB von 100 nicht automatisch einen unbefristeten Schwerbehindertenausweis nach sich zieht:

Kein Automatismus bei Unbefristung des Schwerbehindertenausweises

Das Gericht stellte mit seinem Urteil fest, dass auch bei einem GdB von 100 keine automatische unbefristete Ausstellung des Schwerbehindertenausweises besteht. Vielmehr muss die Behörde im Einzelfall prüfen, ob tatsächlich eine „dauerhafte und irreversible Behinderung“ vorliegt. -Thüringer Landessozialgericht, Urteil unter dem Az: L 5 SB 1259/19 – Quelle: openjur.de

Möglichkeit gesundheitlicher Verbesserung

Die Richter verwiesen auf die Versorgungsmedizin-Verordnung: Befristungen sind rechtmäßig, solange aus fachärztlicher Sicht nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine Besserung des Gesundheitszustands eintritt – selbst bei schweren chronischen Erkrankungen. Erst wenn ärztliche Stellungnahmen eindeutig eine dauerhafte Einschränkung belegen, kann eine Unbefristung erteilt werden.

Schutz vor Bürokratie – aber auch vor Missbrauch

Das Gericht würdigte das Anliegen der Klägerin nach weniger Bürokratie, betonte aber den Grundsatz: Eine periodische Überprüfung dient der Rechtssicherheit und dem Schutz vor zu lange fortbestehenden, nicht angepassten Ausweisen.

Anspruch auf rechtliche Prüfung und Anhörung

Die Entscheidung betont das Recht des Antragstellers auf individuelle Prüfung und ärztliches Gehör. Nur bei vollständiger Aktenlage – inklusive aktueller Fachgutachten – ist eine begründete Befristung zulässig.

Bedeutung des Urteils für die Praxis

  • Befristung bleibt zulässig: Auch höchste Behinderungsgrade führen nicht automatisch zur unbefristeten Erteilung.
  • Wiederholte Nachweise erforderlich: Antragsteller müssen im Zweifel regelmäßig aktuelle ärztliche Bescheinigungen vorlegen.
  • Rechtsmittel möglich: Wer glaubt, dass die Befristung ungerechtfertigt ist, kann Widerspruch einlegen und im Zweifel klagen – mit Hinweis auf den Einzelfall und medizinische Gutachten.
  • Mehr Transparenz durch Einzelfallprüfung: Die Entscheidung rückt die individuelle Einschätzung von Ärzten und Gutachtern in den Mittelpunkt und schützt sowohl Betroffene als auch Behörden vor pauschalen Feststellungen.

Fazit: Rechte und Pflichten bei der Befristung des Schwerbehindertenausweises

Das Urteil des Thüringer LSG sorgt für mehr Klarheit im Umgang mit der Ausstellung von Schwerbehindertenausweisen – auch bei schwersten Behinderungen. Antragsteller sollten aktuelle medizinische Unterlagen vorlegen und rechtzeitig prüfen lassen, ob eine Unbefristung möglich ist. Behördliche Entscheidungen müssen gut begründet, transparent und individuell erfolgen. Für Menschen mit Behinderung und deren Angehörige bedeutet dies mehr Rechtssicherheit und Handlungsoptionen.


Redakteur

  • Peter Kosick

    Jurist und Redakteur

    Peter Kosick hat an der Universität Münster Rechtswissenschaften studiert und beide juristische Staatsexamen in Nordrhein-Westfalen mit Erfolg abgelegt. Er arbeitet als freiberuflicher Jurist, ist Autor verschiedener Publikationen und hält Vorträge im Bereich Arbeits- und Sozialrecht. Seit mehr als 30 Jahren engagiert er sich im sozialen Bereich und ist seit der Gründung des Vereins "Für soziales Leben e.V." dort Mitglied. Peter Kosick arbeitet in der Online Redaktion des Vereins und ist der CvD. Seinen Artikeln sieht man an, dass sie sich auf ein fundiertes juristisches Fachwissen gründen. Peter hat ebenfalls ein Herz für die Natur, ist gern "draußen" und setzt sich für den Schutz der Umwelt ein. Seine Arbeit im Redaktionsteam von buerger-geld.org gibt ihm das Gefühl,  etwas Gutes für das Gemeinwohl zu tun.

    Alle Beiträge ansehen Peter Kosick

Hinweis zur Redaktion und zum Faktencheck
Die Redaktion von Bürger & Geld prüft sämtliche Artikel vor Veröffentlichung sorgfältig nach aktuellen gesetzlichen Grundlagen, offiziellen Statistiken und seriösen Quellen wie Bundesministerien, Sozialverbänden und wissenschaftlichen Studien. Unser Redaktionsteam besteht aus erfahrenen Fachautorinnen für Sozialpolitik, die alle Inhalte regelmäßig überarbeiten und aktualisieren. Jeder Text durchläuft einen strukturierten Faktencheck-Prozess sowie eine redaktionelle Qualitätssicherung, um höchste Genauigkeit und Transparenz zu gewährleisten. Bei allen wesentlichen Aussagen werden Primärquellen direkt im Fließtext verlinkt. Die Unabhängigkeit von Werbung und Drittinteressen sichert neutralen Journalismus – zum Schutz unserer Leserinnen und zur Förderung der öffentlichen Meinungsbildung.


Verantwortlich für die Inhalte auf dieser Seite: Redaktion des Vereins Für soziales Leben e. V. – Ihre Experten rund um Soziale Sicherheit und Altersvorsorge.