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Schwerbehinderung und Grundsicherung: angemessene Wohung darf größer und teurer sein als üblich! Wann?!

Wer eine Schwerbehinderung hat, kann bei der Grundsicherung Anspruch auf eine größere Wohnung geltend machen – oft bis zu 15 m² mehr. Wann das Amt diese Mehrfläche genehmigen muss und wie Gerichte dazu entschieden haben, erfährst du hier in unserem Artikel auf Bürger & Geld, dem Nachrichtenmagazin des Vereins Für soziales Leben e.V.!

Bei Schwerbehinderung gelten andere Angemessenheitsrichtlinien in der Grundsicherung

Eine Schwerbehinderung kann in der Grundsicherung (sowohl Grundsicherung im Alter als auch Grundsicherung für Arbeitsuchende (Bürgergeld)) dazu führen, dass das Amt eine größere Wohnung als üblich als „angemessen“ anerkennen muss. Betroffene haben spezielle Rechte auf mehr Wohnfläche, sofern sie auf besondere Hilfsmittel angewiesen sind oder gesundheitliche Gründe vorliegen. Nachfolgend wird erläutert, wann und wie das Amt bei schwerbehinderten Menschen eine größere Wohnung genehmigen kann bzw. muss.

Wohnungsgröße und Schwerbehinderung

Für Bezieher der Grundsicherung gelten grundsätzlich Wohnflächenrichtwerte, die sich nach der Haushaltsgröße richten:

  • 1 Person: 45–50 m²
  • 2 Personen: 60 m²
  • Jede weitere Person: +15 m²

Bei schwerbehinderten Menschen werden diese Grenzen erweitert, wenn die Behinderung zu einem nachweisbaren Mehrbedarf führt. Besonders anerkannt sind:

  • Menschen im Rollstuhl
  • Menschen mit dem Merkzeichen „aG“ (außergewöhnliche Gehbehinderung)
  • Sehbehinderte oder blinde Menschen (Merkzeichen „Bl“)
  • Menschen mit Pflegegrad 4 und höher

Mehrbedarf: Bis zu 15 m² zusätzlich

Die Behörden erkennen in vielen Fällen einen Mehrbedarf von bis zu 15 m² Wohnfläche pro schwerbehinderter Person an. Die zusätzliche Fläche kann vor allem dann bewilligt werden, wenn:

  • der Rollstuhl oder andere Mobilitätshilfen Platz beansprucht
  • pflegende Angehörige dauerhaft wohnen und einen separaten Schlafraum benötigen.
  • der Wohnraum barrierefrei gestaltet und mit Hilfsmitteln ausgestattet sein muss.

Wichtig: Nachweis und Antragstellung!

Damit das Sozialamt eine größere Wohnung genehmigt, ist ein Nachweis über die Schwerbehinderung und den konkreten Mehrbedarf erforderlich:

  • Vorlage des Schwerbehindertenausweises mit entsprechenden Merkzeichen oder Pflegegradnachweis
  • Ärztliches Attest oder Bescheinigung über die Notwendigkeit barrierefreien oder erweiterten Wohnraums
  • Genaue Dokumentation, warum die normale Wohnungsgröße nicht ausreicht (z. B. Platzbedarf für Rollstuhl, Hilfsmittel, Pflegedienst)

Empfohlen wird, vor Abschluss eines Mietvertrages mit dem Amt zu sprechen und eine schriftliche Zusicherung einzuholen. Im Zweifel hilft ein Widerspruch gegen eine abgelehnte Kostenübernahme.

Miete und Kostenübernahme

Die Wohnung darf nicht „unverhältnismäßig“ teuer sein; die Kommune legt Obergrenzen für die Miete fest – auch bei erweitertem Wohnraum für Schwerbehinderte. In Großstädten werden höhere Kosten als auf dem Land akzeptiert, aber die Bedingungen müssen immer im Einzel- oder Härtefall geprüft werden.

Besonderheiten bei Eigenheim

Besonders bei schwerbehinderten Menschen wird häufig das Eigenheim oder eine Eigentumswohnung toleriert, wenn der Wohnraumbedarf nachvollziehbar ist und die Kosten angemessen bleiben. Die Kommunen prüfen dies individuell und übernehmen in der Regel Kosten wie Grundsteuer, Versicherung und nötige Reparaturen

Gerichtsurteile zum Anspruch auf größere Wohnung bei Schwerbehinderung

Es gibt mehrere Gerichtsurteile, die den Anspruch auf eine größere oder teurere Wohnung für schwerbehinderte Menschen im Rahmen der Grundsicherung bestätigen – insbesondere bei nachgewiesenem Mehrbedarf oder Zugangshemmnissen zum Wohnungsmarkt.

Die Entscheidungen der Gerichte betonen, dass die abstrakten Grenzen regionaler Miet- und Wohnungsgrößenkonzepte nicht starr sind. Bei nachgewiesenen behinderungsbedingten Mehrbedarfen können sowohl höhere Mieten als auch größere Wohnflächen übernommen werden, sofern im Einzelfall eine eingeschränkte Teilhabe oder erhebliche Zugangshemmnisse bestehen. Nachfolgend haben wir beispielhaft einige Urteile herausgesucht:

Bundessozialgericht: Urteil B 8 SO 7/21 R

Das Bundessozialgericht (BSG) hat explizit entschieden, dass die Leistungsbehörden die „relevanten Besonderheiten des Einzelfalls“ berücksichtigen müssen. Liegen besondere Einschränkungen durch eine Schwerbehinderung vor, können auch größere oder teurere Wohnungen im Rahmen des § 35 Abs. 2 SGB XII als angemessen gelten. Dabei sind sowohl der konkrete Wohnungsbedarf als auch Schwierigkeiten auf dem Wohnungsmarkt für Menschen mit Behinderung zu beachten.

LSG Urteil zur Angemessenheit von barrierefreiem Wohnraum

Das Landessozialgericht Baden-Württemberg, Az. L 2 SO 2864/21, entschied, dass ein Grundsicherungsträger in einem Einzelfall eine 60 m² große Wohnung für einen schwerbehinderten, auf Pflege angewiesenen Mann als angemessen akzeptieren muss, obwohl laut Amt eigentlich nur 45 m² vorgesehen sind. Die besondere Wohnsituation (Rollstuhl, Pflegekraft, Gehstützen) rechtfertigt einen erhöhten Wohnbedarf.

SG Mannheim: Vollständige Kostenübernahme trotz Überschreitung der Mietobergrenze

Das Sozialgericht Mannheim entschied, dass bei stark erschwertem Zugang zum Wohnungsmarkt und fehlender Unterstützung durch das Amt auch die vollständige Kostenübernahme einer „zu teuren“ Wohnung erfolgen muss. Im konkreten Fall lebte eine gehbehinderte Person in einer 62 m² Wohnung mit höherer Miete, trotzdem wurde die volle Kostenübernahme angeordnet. Sozialgericht Mannheim, Gerichtsbescheid, Az: S 2O 184/18.

Beratung und Rechtsschutz

Stellt sich das Sozialamt quer, sollten Betroffene sich bei speziellen Beratungsstellen, Sozialverbänden oder spezialisierten Anwälten Unterstützung holen. Im Ablehnungsfall kann ein Widerspruch oder eine Klage beim Sozialgericht sinnvoll sein.

Zusammenfassung: Schwerbehinderung rechtfertigt oft größere Wohnung

Wer nachweislich aufgrund einer Schwerbehinderung auf mehr Wohnraum angewiesen ist, hat Anspruch auf eine größere Wohnung im Rahmen der Grundsicherung. Eine zusätzliche Wohnfläche von bis zu 15 m² wird meist akzeptiert, wenn die besondere Situation begründet und nachgewiesen wird. Die endgültige Entscheidung liegt beim Amt, sollte aber immer transparent und nachvollziehbar erfolgen. Gegen eine ablehnende Entscheidung ist Widerspruch und Klage möglich!

Redakteure

  • ik

    Sozialrechtsexperte und Redakteur

    Ingo Kosick ist ein renommierter Experte im Bereich des Sozialrechts in Deutschland. Er engagiert sich seit über 30 Jahren in diesem Feld und hat sich als führende Autorität etabliert. Als Vorsitzender des Vereins Für soziales Leben e.V., der 2005 in Lüdinghausen gegründet wurde, setzt er sich für die Unterstützung von Menschen ein, die von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen sind. Der Verein bietet über das Internet Informationen, Beratung und Unterstützung für sozial benachteiligte Menschen an. Ingo Kosick ist zudem ein zentraler Autor und Redakteur auf der Plattform buerger-geld.org, die sich auf Themen wie Bürgergeld, Sozialleistungen, Rente und Kindergrundsicherung spezialisiert hat. Seine Artikel bieten fundierte Analysen und rechtlich aufgearbeitete Informationen, die Menschen in schwierigen Lebenssituationen unterstützen sollen. Durch seine langjährige Erfahrung und sein Engagement hat Ingo Kosick maßgeblich dazu beigetragen, dass sozial benachteiligte Menschen in Deutschland besser informiert und unterstützt werden können.

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  • Peter Kosick
    Experte:

    Jurist und Redakteur

    Peter Kosick hat an der Universität Münster Rechtswissenschaften studiert und beide juristische Staatsexamen in Nordrhein-Westfalen mit Erfolg abgelegt. Er arbeitet als freiberuflicher Jurist, ist Autor verschiedener Publikationen und hält Vorträge im Bereich Arbeits- und Sozialrecht. Seit mehr als 30 Jahren engagiert er sich im sozialen Bereich und ist seit der Gründung des Vereins "Für soziales Leben e.V." dort Mitglied. Peter Kosick arbeitet in der Online Redaktion des Vereins und ist der CvD. Seinen Artikeln sieht man an, dass sie sich auf ein fundiertes juristisches Fachwissen gründen. Peter hat ebenfalls ein Herz für die Natur, ist gern "draußen" und setzt sich für den Schutz der Umwelt ein. Seine Arbeit im Redaktionsteam von buerger-geld.org gibt ihm das Gefühl,  etwas Gutes für das Gemeinwohl zu tun.

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