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Schwerbehinderung: Urteil zur GdB – und Merkzeichen – Vergabe

Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat sich im Urteil Az. L 13 SB 122/12 intensiv mit dem Grad der Behinderung und den Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens „G“ auseinandergesetzt. Welche medizinischen und rechtlichen Kriterien sind für die Anerkennung entscheidend – und was müssen Antragsteller beachten, wenn sie ihren GdB erhöhen oder ein Merkzeichen beantragen möchten? Der folgende Artikel auf Bürger & Geld, dem Nachrichtenmagazin des Vereins Für soziales Leben e.V., beleuchtet die wesentlichen Aspekte und praktischen Folgen des richtungsweisenden Urteils für Betroffene.

Ein Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen (Az. L 13 SB 122/12) hat besondere Relevanz für die Bewertung des Grades der Behinderung (GdB) und die Vergabe von Merkzeichen nach dem Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) und der Versorgungsmedizinischen Grundsätze. Es definiert wesentliche Maßstäbe, an denen die Entscheidungspraxis bundesweit ausgerichtet wird. Aus diesem Grunde möchten wir es Ihnen, liebe Leser, hier auf Bürger & Geld vorstellen.

Gegenstand des Verfahrens

Der Kläger, geboren 1950, war als schwerbehinderter Mensch mit einem GdB von 50 anerkannt. Er begehrte eine Höherstufung auf mindestens 60 sowie die Zuerkennung des Merkzeichens „G“ (erhebliche Gehbehinderung). Seine gesundheitlichen Einschränkungen umfassten unter anderem eine Nierenfunktionsstörung, chronische entzündlich-rheumatische Erkrankungen (Polymyalgia rheumatica), Herzrhythmusstörungen und weitere Beschwerden.

Die zuständige Behörde und im Folgenden die Gerichte bewerteten die medizinischen Gutachten und die tatsächlichen Auswirkungen auf die Lebensführung des Klägers. Der Kläger argumentierte, dass die Summe der Krankheiten eine stärkere Beeinträchtigung verursachen müsse, als sie im GdB zum Ausdruck kommt.

Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und damit die Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt.

Maßstäbe für die Bemessung des GdB

Wesentliche rechtliche Grundlage ist § 69 SGB IX in Verbindung mit den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VMG). Danach ist für die Erhöhung des GdB nicht allein das Vorliegen einer neuen Diagnose entscheidend, sondern eine tatsächliche und deutliche Verschlechterung des Gesundheitszustands – und dies muss objektiv, das heißt medizinisch nachvollziehbar, feststellbar sein.

Wichtige Aspekte:

  • Einzelne Krankheiten werden mit einem individuellen Einzel-GdB bewertet.
  • Für die Anhebung des Gesamt-GdB ist ausschlaggebend, ob die Funktionsbeeinträchtigung im Alltag tatsächlich relevant zugenommen hat.
  • Das Hinzutreten einer weiteren Erkrankung mit Einzel-GdB von 10 wirkt sich regelmäßig nicht auf den Gesamt-GdB aus (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 17.04.2013 – B 9 SB 3/12 R).

Medizinische Bewertung der Einschränkungen

Im konkreten Fall wurde wie folgt geurteilt:

  • Nierenfunktion: Die Einschränkung war nur mäßig ausgeprägt (Kreatininwerte im mittleren Bereich) – GdB von 40, keine Anhebung zu rechtfertigen.
  • Rheuma (Polymyalgia rheumatica): Keine aktiven Entzündungen, Therapieerfolge, keine schweren Einschränkungen im Alltag – Einzel-GdB 20 bis 30 reicht nicht aus für eine höhere Gesamtwertung.
  • Herzrhythmusstörungen: Trotz diagnostiziertem Vorhofflimmern zeigte der Belastungstest eine gute Leistungsfähigkeit; keine spürbaren Einschränkungen im Alltag – Einzel-GdB unterhalb relevanter Schwelle.

Vergabe von Merkzeichen „G“

Nach der Versorgungsmedizinischen Verordnung erfordert das Merkzeichen „G“ eine erhebliche Beeinträchtigung der Gehfähigkeit: Betroffene müssen nachweislich nicht in der Lage sein, etwa 2 Kilometer in 30 Minuten zu Fuß zurückzulegen. Subjektive Beschwerden und moderate Einschränkungen, die medizinisch nicht belastbar belegt sind, führen nicht zur Zuerkennung. Der Kläger konnte nach den Gutachten die geforderte Wegstrecke bewältigen.

Juristische und praktische Kernaussagen des Urteils

  • Diagnose und Grad der Behinderung: Ein höherer GdB wird nur anerkannt, wenn der objektive Funktionsverlust und die gesundheitlichen Einschränkungen nachweislich zugenommen haben. Die reine Existenz weiterer Diagnosen reicht nicht – maßgeblich ist die praktische Auswirkung auf die Teilhabefähigkeit.
  • Gutachten sind entscheidend: Die Gerichte stützen ihre Entscheidung auf aktuelle, nachvollziehbare medizinische Gutachten und bildgebende Verfahren. Subjektive Beschwerden oder gering ausgeprägte Einschränkungen haben keine rechtliche Relevanz für die Erhöhung.
  • Merkzeichen „G“: Die Vergabe unterliegt strengen Voraussetzungen – die Erheblichkeit der Gehbehinderung muss eindeutig medizinisch belegt sein (v.a. durch die Unfähigkeit, zwei Kilometer in 30 Minuten zu bewältigen). Das Gericht lehnt die Vergabe bei fehlender objektiver Beeinträchtigung ab.
  • Recht auf Überprüfung: Das Verfahren zeigt, wie Betroffene ihren GdB überprüfen und ggf. erhöhen lassen können. Es macht aber deutlich, dass eine erfolgreiche Anhebung intensive medizinische und sachliche Vorbereitung erfordert.

Zusammenfassung: Voraussetzungen für einen GdB

Das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen (Az. L 13 SB 122/12) gibt klare rechtliche Linien für alle Antragsteller vor:

  • Wer eine GdB-Erhöhung oder ein Merkzeichen beantragen möchte, braucht gut dokumentierte medizinische Befunde, die tatsächliche und erhebliche Funktionsverluste belegen.
  • Diagnosen allein sind nicht ausschlaggebend – die Auswirkungen auf das Alltagsleben sind bei der sozialrechtlichen Bewertung entscheidend.

Quelle

https://landessozialgericht.niedersachsen.de/download/218724

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