Sachverhalt: Streit um zusätzliche Kindererziehungszeiten
Im Mittelpunkt des Urteils des Bundessozialgerichts stand das Anliegen einer Mutter, die für ihr einziges, im Mai 1979 geborenes Kind ab dem 01.11.2014 eine höhere Altersrente beantragte. Nach Gesetzesänderung zum 1.7.2014 wurden für vor 1992 geborene Kinder statt bisher 12 nunmehr 24 Kalendermonate Kindererziehungszeiten (KEZ) anerkannt. Die Klägerin forderte darüber hinaus weitere 12 Monate (insgesamt also 36 Monate), um mit Müttern gleichgestellt zu sein, die nach 1992 geborene Kinder erzogen haben und für diese drei Jahre KEZ erhalten.
Ihre Argumentation: Die langfristige Differenzierung zwischen Müttern vor und nach 1992 geborener Kinder verletze das verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot und das Gebot der Familienförderung.
Der Weg durch die Instanzen
Die Deutsche Rentenversicherung Nordbayern lehnte eine Berücksichtigung weiterer KEZ zunächst ab. Widerspruch, Klage vor dem Sozialgericht und Berufung vor dem Landessozialgericht blieben erfolglos. Die Gerichte folgten der Argumentation, dass eine weitergehende Gleichstellung nach geltendem Recht nicht geboten sei und die Gesetzesreformen schrittweise erfolgt sind.
Mit der Revision wollte die Klägerin das Bundessozialgericht dazu bewegen, das geltende Recht verfassungsrechtlich zu prüfen und den bestehenden Unterschied als ungerecht und unbegründet aufzuheben.
Kernpunkte der BSG-Entscheidung
Das BSG wies die Revision zurück und bestätigte die Urteile der Vorinstanzen. Die Richter sahen keine Pflicht zur weiteren Gleichstellung und damit auch keinen Anspruch auf zusätzliche KEZ für vor 1992 geborene Kinder.
1. Kein Anspruch aus einfachem Recht
Das Gericht bestätigt: Nach § 249 SGB VI gilt für vor 1992 geborene Kinder ein Anspruch auf maximal 24 Monate KEZ. Die Auslegung des Gesetzes biete keine Grundlage für eine weitergehende Gleichstellung, wie sie für nach 1992 geborene Kinder vorgesehen ist. Eine über den Wortlaut hinausgehende erweiternde Auslegung des Gesetzes sei nicht zulässig und entspreche auch nicht der Gesetzesbegründung.
2. Keine Verfassungswidrigkeit beim Stichtag
Die zentrale Frage war die Zulässigkeit der besonderen Behandlung unterschiedlicher Kinderjahrgänge. Das BSG beruft sich auf den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und das Familienförderungsgebot (Art. 6 Abs. 1 GG). Der Gesetzgeber dürfe schrittweise Reformen durchführen und müsse dabei auch finanzielle und demografische Aspekte berücksichtigen. Ein stufenweiser Anpassungsprozess mit Stichtagen sei rechtlich zulässig, sofern sachliche Gründe vorliegen – etwa die massive Kostensteigerung, die durch eine vollständige Gleichstellung verursacht würde.
Die Richter argumentieren, dass der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Familienlastenausgleichs einen breiten Spielraum habe. Dieser schließe die Berücksichtigung systemischer und finanzieller Belange ausdrücklich ein.
3. Schutz und Förderdimension des Art. 6 Abs. 1 GG
Das BSG hebt hervor, dass der Umfang der Familienförderung und des Ausgleichs für Kindererziehungszeiten einen weiten Gestaltungsspielraum für den Gesetzgeber eröffnet. Zwar bestehe grundsätzlich ein Auftrag zum Abbau von Nachteilen für Erziehende, doch das Grundgesetz fordere keine vollständige Gleichstellung mit jedem Reformschritt.
4. Keine Pflicht zur vollständigen rückwirkenden Gleichstellung
Das Gericht akzeptiert ausdrücklich die Beibehaltung des Stichtags 01.01.1992. Dieser sei historisch und systematisch begründet und bereits vom Bundesverfassungsgericht bestätigt worden. Die Tatsache, dass Familienpolitik auch auf andere Rechtsgebiete ausgeweitet wurde, rechtfertige eine beschränkte Nachbesserung im Rentenrecht und beuge neuen finanziellen Ungleichgewichten vor.
Die Entscheidungsgründe im Wortlaut
Das Urteil umfasst zahlreiche Verweise auf die verfassungsrechtliche Rechtsprechung zur Familienförderung und Gleichbehandlung. Gesetzesänderungen dürfen schrittweise erfolgen, um finanzielle Risiken für die Sozialversicherung steuerbar zu halten.
Der Gesetzgeber werde dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts gerecht, indem er mit jeder Reform die Benachteiligungen von Familien tatsächlich verringere. Die in den Jahren 2015 bis 2025 durch die Ausweitung von Kindererziehungszeiten entstandenen Mehrausgaben (jährlich ca. 6,6 Milliarden Euro) rechtfertigten, die weitere Gleichstellung zurückzustellen. Die Klägerin könne aus dem Sozialstaatsgebot und dem Familienförderungsgebot keinen Anspruch auf weitergehende rückwirkende Gleichstellung ableiten, solange Reformschritte systematisch und sachlich begründet würden.
Mütterrente 3 kommt!
Das Urteil des BSG war bindend für alle Eltern von vor 1992 geborenen Kindern, die bislang keine vollständige Gleichstellung nach der „Mütterrente “ oder weiteren rentenpolitischen Reformen beanspruchen konnten. Das Urteil ist jetzt jedoch überholt! Der Gesetzgeber hat im Jahr 2025 die Ungleichbehandlung mit einer Reform und der Einführung der Mütterrente 3 beendet. Einzelheiten zur Mütterrente 3 hier: Mütterrente 3
Ansprüche auf zusätzliche Kindererziehungszeiten werden im Rentenantrag geprüft.
FAQ: Die wichtigsten Fragen rund um das Urteil
Wer ist von der Entscheidung betroffen?
Alle Eltern mit vor 1992 geborenen Kindern, deren Rente nach dem 1.7.2014 neu beantragt wurde und die weitergehende Anerkennung von Erziehungszeiten verlangen.
Warum wurde die Revision abgewiesen?
Das geltende Rentenrecht sieht für den betroffenen Personenkreis maximal 24 Monate Kindererziehungszeiten vor; eine weitergehende Gleichstellung ist nach Auffassung des BSG mit der Verfassung vereinbar.
Kann das Urteil noch angegriffen werden?
Eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ist zwar grundsätzlich möglich, die Erfolgsaussichten sind aber nach der ausführlichen Begründung des BSG gering. Außerdem: das Zeitfenster ist verstrichen.
Welche Rolle spielen Kosten und Finanzierbarkeit?
Das BSG betont die immense finanzielle Belastung, die eine rückwirkende und vollständige Gleichstellung mit sich bringen würde und sieht darin einen legitimen Grund für den Gesetzgeber, schrittweise zu reformieren.
Gilt der Stichtag 1.1.1992 weiterhin?
Nein. Die Bundesregierung hat die sog. Mütterrente 3 auf den Weg gebracht. Danach werden Eltern nicht mehr hinsichtlich der Geburtsjahrgänge ihrer Kinder unterschiedlich behandelt!
Fazit zum Urteil des Bundessozialgerichts
Das Urteil B 13 R 34/17 R setzte einen wichtigen hergebrachten Maßstab für die Gestaltung von sozialrechtlichen Reformprozessen und Familienlastenausgleich auf gesetzlicher Ebene. Es bestätigt den weiten gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum und unterstreicht die hohen Hürden für verfassungsrechtliche Einwände gegen sozialpolitische Stichtagsregelungen.
Um die Ungleichbehandlung hinsichtlich der Kindererziehungszeiten zu beenden, hat die Bundesregierung die Mütterrente 3 auf den Weg gebracht. So werden die Nachteile für Eltern älterer Jahrgänge künftig ausgeglichen werden. Einzelheiten hier: Mütterrente 3 – wann sie kommt!


