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Bundesarbeitsgericht: Wann Arbeitgeber Betriebsrenten nicht an die Inflation anpassen müssen!

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) 3 AZR 24/25 vom 28. Oktober 2025 hat das Betriebsrentenrecht in Deutschland nachhaltig geprägt. Das Gericht klärte, dass Arbeitgeber Betriebsrenten nicht automatisch an die Inflation oder einen Kaufkraftverlust anpassen müssen, wenn die wirtschaftliche Lage des Unternehmens dies objektiv nicht zulässt. Im folgenden Artikel auf Bürger & Geld, dem Nachrichtenmagazin des Vereins Für soziales Leben e.V., werden der Sachverhalt, die Argumentation und die Entscheidungsgründe des BAG ausführlich dargestellt – mit besonderem Bezug auf die Auswirkungen und die praktische Bedeutung für Millionen Rentner.

Sachverhalt: Anpassungsstichtag und wirtschaftliche Lage

Im Zentrum des Falles stand ein ehemaliger Mitarbeiter der Commerzbank AG, der seit Juli 2007 eine Betriebsrente erhielt. Die Commerzbank überprüfte gemäß § 16 Absatz 1 Betriebsrentengesetz (BetrAVG) turnusmäßig alle drei Jahre die Notwendigkeit einer Anpassung der Betriebsrente an die Preisentwicklung („Kaufkraftverlust“, meist gemessen am Verbraucherpreisindex). Während es in den Jahren 2010 und 2013 wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten keine Rentenerhöhung gab, fanden 2016 und 2019 Anpassungen statt (zuletzt auf 1.728 Euro brutto monatlich). Am Stichtag 1. Juli 2022 entschied die Bank, die Betriebsrente erneut nicht voll an die Inflation anzupassen und argumentierte mit einer unzureichenden Eigenkapitalverzinsung für die Geschäftsjahre 2019 bis 2021. Der Rentner erhielt stattdessen eine freiwillige Erhöhung um 2%, also rund 1.763 Euro brutto.

Der Kläger begehrte eine vollständige Inflationsanpassung auf ca. 1.962 Euro brutto und argumentierte, dass die wirtschaftliche Lage der Bank eine Anpassung zulasse. Insbesondere berief er sich darauf, dass sich die Bank bei ihrer Prüfung nicht allein auf die drei vorangegangenen Geschäftsjahre eines Pandemie-Sonderzeitraums stützen dürfe, sondern die absehbare wirtschaftliche Erholung direkt nach dem Stichtag mitberücksichtigen hätte müssen.

Gang durch die Instanzen

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht Düsseldorf wiesen die Klage ab und folgten dem Standpunkt der Commerzbank, dass die Anpassungsentscheidung am Stichtag “billigem Ermessen” entsprach, weil die wirtschaftliche Situation – gemessen an Eigenkapitalrendite und Gewinnen – eine Erhöhung nicht zwingend erforderte.

Der Kläger legte Revision zum Bundesarbeitsgericht ein und argumentierte insbesondere, dass

  • die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage nicht auf einen Pandemie-Zeitraum verengt werden dürfe.
  • die positive wirtschaftliche Entwicklung nach dem Stichtag absehbar gewesen sei.

Entscheidungsgründe des Bundesarbeitsgerichts

Das BAG bestätigte die Urteile der Vorinstanzen und wies die Revision ab. Die zentralen Punkte der Entscheidung sind:

1. Maßgeblich ist die wirtschaftliche Lage am Anpassungsstichtag

Das Gericht unterstreicht, dass Arbeitgeber alle drei Jahre nach billigem Ermessen prüfen müssen, ob die Betriebsrenten angepasst werden können. Entscheidendes Kriterium ist dabei die „wirtschaftliche Lage des Unternehmens“ zum Anpassungsstichtag – spätere positive Entwicklungen oder Gewinne sind für die Anpassung nicht relevant.

2. Kein Automatismus: Anpassung nur bei wirtschaftlicher Möglichkeit

Eine automatische Anpassung der Betriebsrenten an die Inflation ist nicht geschuldet. Das BAG betont, die wirtschaftliche Belastbarkeit des Trägers (Eigenkapitalrendite, Wirtschaftslage, Verschuldung) ist vorrangig. Wenn eine ausreichende Eigenkapitalverzinsung und stabile Gewinne fehlen, darf der Arbeitgeber auf eine Anpassung verzichten.

3. Weitreichender Ermessensspielraum der Unternehmen

Das Gericht räumt den Unternehmen einen weiten Ermessensspielraum ein. Die Prüfung muss transparent, nachvollziehbar und mit realistischen Kennzahlen erfolgen – aber sie ist nicht auf künftige oder hypothetische Geschäftsentwicklungen auszurichten. Im vorliegenden Fall lag keine Ermessensüberschreitung vor und die freiwillige Erhöhung um 2% zeigte, dass die Rentnerinteressen zumindest teilweise berücksichtigt wurden.

4. Keine rückwirkende Anpassung bei nachträglicher Unternehmensentwicklung

Der Kläger argumentierte, dass absehbare Er Verbesserungen der Geschäftsentwicklung nach dem Stichtag hätten berücksichtigt werden müssen. Das BAG weist dies klar zurück: Maßgeblich ist ausschließlich die zum Anpassungsstichtag vorhandene Lage – spätere Gewinne zählen nicht rückwirkend.

Bedeutung und Auswirkungen

Das Urteil kann als Grundsatzentscheidung zur Praxis der Betriebsrentenanpassung gewertet werden und hat weitreichende Auswirkungen:

  • Rechtssicherheit für Arbeitgeber: Unternehmen müssen Betriebsrenten nicht zwingend an die Inflation anpassen, wenn objektive Kennzahlen dagegen sprechen.
  • Grenzen des Rentenschutzes: Betriebsrentner können keinen vollen Inflationsausgleich verlangen. Die Absicherung durch das Betriebsrentengesetz ist an die wirtschaftliche Stabilität des Arbeitgebers gekoppelt.
  • Klarheit für Betriebsräte und Arbeitnehmer: Die Entscheidung sorgt für Transparenz und Verlässlichkeit in der Anpassungspraxis.

Praktische Hinweise zur Betriebsrentenanpassung nach dem BAG-Urteil

  • Rentner sollten regelmäßig Nachweise und Prüfungsberichte zur wirtschaftlichen Lage des Versorgungsträgers anfordern.
  • Bei ausgebliebener Anpassung ist stets zu prüfen, ob der Arbeitgeber seine Wirtschaftslage nachvollziehbar und mit branchengerechten Kennzahlen dokumentiert hat.
  • Der Anpassungszeitraum umfasst die letzten drei Jahre vor dem jeweiligen Stichtag.​
  • Freiwillige Erhöhungen sind zulässig – verpflichtende Anpassungen nur bei entsprechender wirtschaftlicher Möglichkeit.

FAQ zum Grundsatzurteil zur Betriebsrente und ihre Anpassung

Muss mein Arbeitgeber die Betriebsrente an die Inflation anpassen?

Nein. Die Anpassungspflicht besteht nur bei wirtschaftlicher Möglichkeit und entsprechender Eigenkapitalrendite. Automatische Anpassungen an den Kaufkraftverlust sind durch das BAG-Urteil ausgeschlossen.

Was zählt für die wirtschaftliche Lage?

Entscheidend sind objektive Kennzahlen wie Gewinne, Eigenkapitalverzinsung, Liquidität und Verschuldungsgrad des Unternehmens – und zwar im Prüfungszeitraum vor dem Anpassungsstichtag.

Kann ich Anpassungen für vergangene Jahre verlangen?

Nein, nur die Stichtagsentscheidung zählt. Nachträgliche Unternehmensgewinne oder Konjunkturerholungen werden nicht rückwirkend berücksichtigt.

Kann ich gegen die Entscheidung vorgehen?

Eine Klage ist möglich, wenn der Anpassungsentscheid nicht nachvollziehbar, unsachlich oder ohne richtige Wirtschaftslage getroffen wurde. Der Ermessensspielraum des Arbeitgebers ist aber gerichtlich geschützt.

Darf mein Arbeitgeber auch freiwillig erhöhen?

Ja, freiwillige Anpassungen sind möglich – sie ersetzen aber keine gesetzliche Verpflichtung, wenn die wirtschaftliche Lage keine Anpassung verlangt.

Fazit und Ausblick zum Betriebsrenten-Urteil

Das BAG-Urteil 3 AZR 24/25 schützt die betriebliche Versorgung vor Überforderung und sichert die unternehmerische Stabilität. Für Rentner bedeutet das, dass sie bei Inflations- oder Kaufkraftverlust nicht automatisch eine Erhöhung verlangen können, sondern auf die wirtschaftliche Entwicklung ihres Versorgungsträgers angewiesen sind. Die Entscheidung stärkt die Klarheit und Rechtssicherheit für Arbeitgeber und gibt Betriebsräten und Arbeitnehmern verbindliche Leitlinien für die Verhandlung und Anpassung betrieblicher Altersversorgung.

Quelle

Bundesarbeitsgericht

Redakteure

  • Peter Kosick

    Jurist und Redakteur

    Peter Kosick hat an der Universität Münster Rechtswissenschaften studiert und beide juristische Staatsexamen in Nordrhein-Westfalen mit Erfolg abgelegt. Er arbeitet als freiberuflicher Jurist, ist Autor verschiedener Publikationen und hält Vorträge im Bereich Arbeits- und Sozialrecht. Seit mehr als 30 Jahren engagiert er sich im sozialen Bereich und ist seit der Gründung des Vereins "Für soziales Leben e.V." dort Mitglied. Peter Kosick arbeitet in der Online Redaktion des Vereins und ist der CvD. Seinen Artikeln sieht man an, dass sie sich auf ein fundiertes juristisches Fachwissen gründen.

    Peter hat ebenfalls ein Herz für die Natur, ist gern "draußen" und setzt sich für den Schutz der Umwelt ein.

    Seine Arbeit im Redaktionsteam von buerger-geld.org gibt ihm das Gefühl,  etwas Gutes für das Gemeinwohl zu tun.

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  • ik

    Sozialrechtsexperte und Redakteur

    Ingo Kosick ist ein renommierter Experte im Bereich des Sozialrechts in Deutschland. Er engagiert sich seit über 30 Jahren in diesem Feld und hat sich als führende Autorität etabliert. Als Vorsitzender des Vereins Für soziales Leben e.V., der 2005 in Lüdinghausen gegründet wurde, setzt er sich für die Unterstützung von Menschen ein, die von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen sind. Der Verein bietet über das Internet Informationen, Beratung und Unterstützung für sozial benachteiligte Menschen an.

    Ingo Kosick ist zudem ein zentraler Autor und Redakteur auf der Plattform buerger-geld.org, die sich auf Themen wie Bürgergeld, Sozialleistungen, Rente und Kindergrundsicherung spezialisiert hat. Seine Artikel bieten fundierte Analysen und rechtlich aufgearbeitete Informationen, die Menschen in schwierigen Lebenssituationen unterstützen sollen.

    Durch seine langjährige Erfahrung und sein Engagement hat Ingo Kosick maßgeblich dazu beigetragen, dass sozial benachteiligte Menschen in Deutschland besser informiert und unterstützt werden können.

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