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Der Rentenfreibetrag bei der Grundsicherung: Gute Idee, enttäuschende Wirkung

Der Rentenfreibetrag wurde mit großen Versprechen eingeführt: Wer lange gearbeitet hat, sollte im Alter endlich mehr vom eigenen Einkommen behalten. Doch die Bilanz fällt ernüchternd aus – viele Rentnerinnen und Rentner profitieren kaum oder gar nicht. Warum die Regelung als "Rohrkrepierer" gilt, woran sie scheitert und was Experten für die Zukunft fordern, lesen Sie in folgendem Artikel auf Bürger & Geld, dem Nachrichtenmagazin des Vereins Für soziales Leben e.V.!

Ein Frustthema für viele Rentnerinnen und Rentner

Mit großem politischen Anspruch eingeführt, sollte der Rentenfreibetrag älteren Menschen mit geringer Rente endlich gezielt helfen. Doch die Euphorie ist längst verflogen. Seit seiner Einführung 2021 sorgt der Rentenfreibetrag eher für Verwirrung, Enttäuschung und rechtliche Kritik als für finanzielle Entlastung.

Viele Rentner berichten inzwischen, dass der Freibetrag kaum spürbare Auswirkungen auf ihren Geldbeutel hat – vor allem, wenn sie auf Grundsicherung angewiesen sind. „Ein Freibetrag, der kaum greift, weil er zugleich wieder in anderen Berechnungen verrechnet wird, wirkt wie ein Rohrkrepierer“, kommentiert Sozialrechtlerin Eva Rade vom Institut für Sozialpolitik in München.

Was war geplant, warum wirkt die Regelung kaum – und ist sie überhaupt gerecht?


Was der Rentenfreibetrag eigentlich leisten sollte

Der Rentenfreibetrag wurde 2021 im Rahmen des Gesetzes zur Einführung des neuen Grundsicherungssystems beschlossen. Ziel war eine gezielte Entlastung älterer Menschen, die trotz jahrzehntelanger Beitragszahlung im Alter auf staatliche Hilfe angewiesen sind.

Bis dahin wurden Altersrenten vollständig auf die Grundsicherung im Alter angerechnet. Das bedeutete: Wer viel gearbeitet, aber wenig verdient hatte, stand am Ende auf fast demselben Niveau wie jemand, der nie eingezahlt hatte.

Der Rentenfreibetrag sollte diese Ungerechtigkeit mindern:
Ein Teil der Rente bleibt anrechnungsfrei, wird also nicht auf die Grundsicherung oder die Grundrente angerechnet.

So wollte der Gesetzgeber erreichen, dass Menschen mit langer Versicherungszeit mehr vom eigenen Einkommen behalten und sich Arbeit im Lebensverlauf wieder lohnt.


Wie der Freibetrag funktioniert

Im Jahr 2025 gelten folgende Grundsätze:

  • Basisfreibetrag: 100 Euro der monatlichen Rente bleiben in jedem Fall anrechnungsfrei.
  • Erhöhungsfreibetrag: Vom darüber hinausgehenden Rentenbetrag bleiben 30 Prozent frei – maximal aber bis zu einem Betrag von 251 Euro pro Monat (Stand: Oktober 2025).

Das bedeutet: Der Freibetrag kann je nach Rentenhöhe zwischen 100 Euro und maximal 251 Euro betragen.

Beispielrechnung:

Eine Rentnerin mit 1.000 Euro Altersrente kann davon 100 Euro plus 30 % von 900 Euro = 270 Euro geltend machen. Da der gesetzliche Höchstwert 251 Euro beträgt, bleiben insgesamt 251 Euro anrechnungsfrei.

Sie darf also 251 Euro zusätzlich zur Grundsicherung behalten – theoretisch. In der Praxis ist das Ergebnis jedoch oft ernüchternd.


Wer Anspruch hat

Der Freibetrag gilt nur unter bestimmten Bedingungen. Anspruchsberechtigt sind:

  • Bezieherinnen und Bezieher einer gesetzlichen Altersrente oder Erwerbsminderungsrente,
  • die mindestens 33 Jahre Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung geleistet haben.
    Hierzu zählen Zeiten mit Arbeitslohn, Kindererziehung oder Pflege, nicht aber rein freiwillige Beitragsmonate.

Damit wird der Rentenfreibetrag gezielt auf Menschen zugeschnitten, die ein Leben lang gearbeitet haben und trotzdem ergänzende Grundsicherung benötigen. Wer diese Schwelle knapp verfehlt, geht leer aus.


Wo die Tücke liegt: Anrechnung auf Sozialleistungen

Das eigentliche Problem liegt in der Wechselwirkung zwischen Rentenfreibetrag und Grundsicherung.

Denn die gesetzliche Grundsicherung im Alter sichert nur das sogenannte Existenzminimum, das sich aus dem Regelbedarf und den tatsächlichen Wohnkosten zusammensetzt.
2025 liegt der Regelbedarf für Alleinstehende bei 563 Euro monatlich.

Bei vielen Seniorinnen und Senioren ergibt die praktische Berechnung:

  • Grundsicherung 563 €
  • abzüglich anrechenbarer Rente nach Freibetrag
    → Restbedarf oft unter dem eigentlichen Regelbedarf.

Beispiel:
Eine Rentnerin hat 800 Euro Rente und 33 Beitragsjahre.
Nach Anwendung des Freibetrags bleiben 251 Euro anrechnungsfrei, 549 Euro werden angerechnet.
Die Grundsicherung wird entsprechend reduziert, sodass ihr Gesamteinkommen am Ende oft nur knapp über dem Regelbedarf liegt.

Das ernüchternde Fazit: Der Freibetrag wird durch die Grundsicherungsberechnung wieder neutralisiert.


Warum die Entlastung kaum spürbar ist

Laut einer Auswertung des Deutschen Rentenversicherungsbunds (DRV) profitieren von der Regelung bislang weniger als 5 Prozent der Grundsicherungsempfänger im Rentenalter spürbar.

Der Grund:
Viele Betroffene haben entweder keinen Anspruch auf Grundsicherung, weil ihre Rente knapp darüber liegt, oder sie beziehen so geringe Renten, dass der Anrechnungsfreibetrag nur theoretisch wirkt.

Das Statistische Bundesamt rechnete 2025 vor, dass von rund 1,1 Millionen älteren Menschen mit Aufstockungsbedarf nur etwa 42.000 tatsächlich einen messbaren Vorteil über 50 Euro pro Monat hatten.

Für die Mehrheit bleibt der Freibetrag symbolisch – im Kleingedruckten verrechnet, in der Realität kaum spürbar.


Kritik von Sozialverbänden und Experten

Der Paritätische Gesamtverband spricht offen vom „Rentenfreibetrag als politischem Placebo“.
Geschäftsführer Ulrich Schneider kommentierte:

„Mit großem Aufwand wird eine Entlastung suggeriert, die am Ende in der Praxis kaum jemand spürt.“

Auch der Sozialverband VdK bezeichnet die Regelung als systemisch halbherzig. Die Kopplung an 33 Beitragsjahre benachteilige insbesondere Frauen mit unterbrochenen Erwerbsbiografien oder lange nicht gewürdigten Pflegezeiten.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert daher, den Freibetrag vollständig aus der Anrechnung herauszunehmen, statt ihn rechnerisch mit der Grundsicherung zu verrechnen.


Zahlenbeispiel: Wenn Arbeit sich kaum auszahlt

Ein typischer Fall verdeutlicht das Problem:

Herr Fischer, 73, lebt allein und hat 35 Beitragsjahre. Seine Rente beträgt 950 Euro netto.
Seine Mietkosten liegen bei 520 Euro. Laut Gesetz hat er Anspruch auf Grundsicherung von 563 Euro plus Unterkunftskosten (1.083 Euro).

Die 950 Euro Rente werden – abzüglich Freibetrag von 251 Euro – zu 699 Euro angerechnet.
Damit verbleiben 384 Euro Grundsicherung. Insgesamt erhält er 1.334 Euro monatlich.

Ohne Freibetrag wären es 1.083 Euro; mit Freibetrag also rund 250 Euro mehr.
Doch: Da seine Strom- und Nebenkosten gestiegen sind und teilweise nicht mehr voll übernommen werden, bleibt kaum zusätzlicher Spielraum.

Herr Fischer resümiert:

„Ich habe 40 Jahre gearbeitet, und am Monatsende bleibt mir kaum mehr als jemandem, der nie eingezahlt hat.“


Warum der Rentenfreibetrag als politisches Symbol gilt

Die Idee hinter dem Freibetrag war richtig – die Umsetzung aber bürokratisch und kompliziert.
Viele Rentner verstehen die Berechnung kaum:

  • Welche Einkünfte zählen?
  • Wird die Betriebsrente mit eingerechnet?
  • Gilt der Freibetrag auch für Witwenrenten?

Antworten gibt es zwar im Sozialgesetzbuch (SGB XII § 82 Abs. 4), doch schon das Lesen dieser Regelungen überfordert viele Betroffene.

Zudem: Kommunen berechnen den Freibetrag unterschiedlich, weil Auslegungsspielräume bestehen. Manche Jobcenter verlangen Nachweise bis ins Detail.
Das Ergebnis: Rechtsunsicherheit und Ungleichbehandlung abhängig vom Wohnort.


Geringverdienende und Ost-Rentner besonders benachteiligt

Laut DRV liegen die Durchschnittsrenten in Westdeutschland (Männer) bei 1.547 Euro, im Osten dagegen bei 1.302 Euro.
Frauen erhalten oft weit weniger: Im Osten im Schnitt 1.128 Euro, im Westen 1.050 Euro.

Gerade diese Gruppen sollten durch den Freibetrag eigentlich profitieren – tun es aber kaum.
Denn viele Renten liegen schon oberhalb der Grundsicherungsgrenze und werden damit gar nicht angerechnet.

Andererseits erhalten arme Rentnerinnen mit sehr niedrigen Bezügen so wenig aus der gesetzlichen Versicherung, dass der Freibetrag unter dem Grundfreibetrag verpufft.


Hintergrund: Warum der Freibetrag eingeführt wurde

Die Freistellung wurde 2021 von der damaligen Bundesregierung als Nachfolgeregel zur Grundrente beschlossen.
Man wollte den Satz „Lebensleistung muss sich lohnen“ endlich konkret umsetzen.

Politisch symbolisierte der Freibetrag die Anerkennung jahrzehntelanger Erwerbsarbeit.
Finanziell sollte er jährlich rund 1 Milliarde Euro zusätzlich in die Taschen einkommensschwacher Senioren bringen – tatsächlich liegt das Fördervolumen laut Bundesministerium 2025 bei unter 200 Millionen Euro.


Reformforderungen: Was Experten jetzt anmahnen

Fachleute und Sozialorganisationen fordern eine grundlegende Neuordnung:

  1. Automatische Anwendung ohne Antragspflicht:
    Viele Anspruchsberechtigte wissen gar nichts von ihrem Freibetrag. Er sollte automatisch berücksichtigt werden.
  2. Anhebung der Betragsgrenze auf 30 Prozent der Bruttorente:
    Damit käme es zu spürbaren Zuschlägen von 200 bis 400 Euro im Monat.
  3. Integration mit der Erwerbsminderungsrente:
    Auch Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen sollten profitieren, nicht nur Altersrentner.
  4. Abschaffung der 33-Jahres-Grenze:
    Denn Teilzeitphasen, Kindererziehung und Care-Arbeit müssen ebenfalls als Lebensleistung gelten.

Tatsächlich überprüft das Bundesarbeitsministerium seit Herbst 2025 die Regelung – Gerüchte über eine Vereinheitlichung mit der Grundrentenprüfung sind im Umlauf.


Verteilungswirkung: Wer wirklich profitiert

Laut einer Berechnung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln) profitieren überproportional Männer mit lückenloser Erwerbsbiografie, vor allem Handwerker und Facharbeiter.
Frauen, die nach Kindererziehungsphasen Teilzeit arbeiteten, erhalten dagegen meist keine nennenswerte Entlastung.

Besonders problematisch: Der Freibetrag wirkt nicht bei Betriebsrenten oder privaten Altersversicherungen – obwohl viele kleine Renten gerade aus diesen Quellen stammen.

Sogar Minijob-Rentnerinnen, die jahrelang unkompliziert einzahlten, bleiben häufig unberücksichtigt.


Ökonomische Bewertung

Makroökonomisch hat der Freibetrag kaum entlastende Wirkung auf die Sozialkassen.
Trotz gestiegener Rentenzahlungen in den letzten Jahren bleibt die Gesamtzahl der Grundsicherungsempfänger über 65 Jahren bei etwa 1,1 Millionen.
Die Kosten der Grundsicherung im Alter stiegen von 2020 bis 2025 von 7,8 auf 10,2 Milliarden Euro – der Freibetrag änderte daran kaum etwas.

Zudem wird er aus allgemeinen Steuermitteln finanziert, nicht aus der Rentenkasse. Die Wirkung verpufft daher ohne spürbaren Beitrag zur Armutsbekämpfung.


Fazit: Große Erwartung, geringe Wirkung

Der Rentenfreibetrag sollte ein Symbol sozialer Fairness sein – geworden ist er zum Bürokratieparagrafen mit Mini-Effekt.
Für die Mehrheit der Betroffenen bleibt der finanzielle Gewinn überschaubar, oft im zweistelligen Bereich.

Zwar gibt es Einzelfälle, in denen der Freibetrag bis zu 200 Euro monatlich bringt, doch strukturell wird das Problem Altersarmut dadurch nicht gelöst.

Was bleibt, ist die Erkenntnis:
Eine gerechte Rente braucht mehr als symbolische Freibeträge – sie braucht eine strukturell höhere Grundsicherung.

Weiterführende Info


Redakteure

  • ik

    Sozialrechtsexperte und Redakteur

    Ingo Kosick ist ein renommierter Experte im Bereich des Sozialrechts in Deutschland. Er engagiert sich seit über 30 Jahren in diesem Feld und hat sich als führende Autorität etabliert. Als Vorsitzender des Vereins Für soziales Leben e.V., der 2005 in Lüdinghausen gegründet wurde, setzt er sich für die Unterstützung von Menschen ein, die von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen sind. Der Verein bietet über das Internet Informationen, Beratung und Unterstützung für sozial benachteiligte Menschen an.

    Ingo Kosick ist zudem ein zentraler Autor und Redakteur auf der Plattform buerger-geld.org, die sich auf Themen wie Bürgergeld, Sozialleistungen, Rente und Kindergrundsicherung spezialisiert hat. Seine Artikel bieten fundierte Analysen und rechtlich aufgearbeitete Informationen, die Menschen in schwierigen Lebenssituationen unterstützen sollen.

    Durch seine langjährige Erfahrung und sein Engagement hat Ingo Kosick maßgeblich dazu beigetragen, dass sozial benachteiligte Menschen in Deutschland besser informiert und unterstützt werden können.

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  • Peter Kosick
    Experte:

    Jurist und Redakteur

    Peter Kosick hat an der Universität Münster Rechtswissenschaften studiert und beide juristische Staatsexamen in Nordrhein-Westfalen mit Erfolg abgelegt. Er arbeitet als freiberuflicher Jurist, ist Autor verschiedener Publikationen und hält Vorträge im Bereich Arbeits- und Sozialrecht. Seit mehr als 30 Jahren engagiert er sich im sozialen Bereich und ist seit der Gründung des Vereins "Für soziales Leben e.V." dort Mitglied. Peter Kosick arbeitet in der Online Redaktion des Vereins und ist der CvD. Seinen Artikeln sieht man an, dass sie sich auf ein fundiertes juristisches Fachwissen gründen.

    Peter hat ebenfalls ein Herz für die Natur, ist gern "draußen" und setzt sich für den Schutz der Umwelt ein.

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