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Rente und Schwerbehinderung: So berechnen Sie Ihren GdB richtig – nach Vorgaben des Bundessozialgerichts

Eine anerkannte Schwerbehinderung mit einem richtig berechneten Grad der Behinderung (GdB) ist oft der Schlüssel zur vorgezogenen Altersrente ohne Abschläge. Wer die Systematik der GdB-Bildung kennt – insbesondere die Vorgaben des Bundessozialgerichts (BSG) aus dem Urteil vom 05.05.1993 (Az. 9/9a RVs 2/92) – kann Bescheide besser prüfen und erfolgreich gegen fehlerhafte Bewertungen vorgehen. Ein GdB 50 ist das Ticket zur früheren Altersrente – doch viele Bescheide sind falsch. Wie das Bundessozialgericht die Berechnung des Gesamt-GdB vorgibt und wie Sie Ihre Rechte sichern, erklären wir ausführlich in nachfolgendem Artikel auf Bürger & Geld, dem Nachrichtenmagazin des Vereins Für soziales Leben e.V.!

Rente und Schwerbehinderung: Warum der GdB so wichtig ist

Für die Altersrente für schwerbehinderte Menschen ist ein GdB von mindestens 50 Voraussetzung, außerdem muss eine Wartezeit von 35 Versicherungsjahren erfüllt sein. Liegt der anerkannte GdB rechtzeitig bei Rentenbeginn vor, ist ein vorgezogener Einstieg in die Rente ohne Abschläge bis zu zwei Jahre vor der regulären Altersgrenze möglich; bis zu drei weitere Jahre früher sind mit Abschlägen von maximal 10,8 Prozent drin.​

Der GdB entscheidet zudem über weitere Nachteilsausgleiche wie Zusatzurlaub, besonderen Kündigungsschutz, Steuervergünstigungen und ggf. unentgeltliche Beförderung im ÖPNV. Eine korrekte Einstufung – insbesondere das Erreichen der Schwelle von 50 – wirkt sich damit direkt auf Einkommen, Rentenhöhe und berufliche Sicherheit aus.

Grundlagen: Was ist der GdB?

Der Grad der Behinderung misst, wie stark die körperlichen, geistigen oder seelischen Beeinträchtigungen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben einschränken. Die Bewertung erfolgt nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (Anlage zu § 2 VersMedV), die Orientierungswerte in Zehnerschritten (z. B. 20, 30, 40, 50, 60 usw.) vorgeben.

Entscheidend ist nicht allein die medizinische Diagnose, sondern deren tatsächliche Auswirkungen auf Alltag, Arbeit und soziale Teilhabe. Eine Schwerbehinderung liegt erst ab einem GdB von 50 vor, wobei schon ab GdB 30 bzw. 40 eine Gleichstellung im Arbeitsrecht möglich ist, aber keine vorgezogene Altersrente für schwerbehinderte Menschen.

Einzel-GdB und Gesamt-GdB: Kein einfaches Addieren

Viele Betroffene haben mehrere Gesundheitsstörungen mit jeweils eigenem Einzel-GdB (z. B. 30 für das Herz, 20 für die Wirbelsäule). Diese Einzelwerte werden jedoch nicht einfach addiert, um den Gesamt-GdB zu bestimmen; stattdessen erfolgt eine Gesamtbetrachtung nach § 152 Abs. 3 SGB IX.

Ausgangspunkt ist stets der höchste Einzel-GdB. Weitere Beeinträchtigungen erhöhen den Gesamt-GdB nur dann, wenn sie das Ausmaß der Behinderung wesentlich verstärken; überlagernde oder im selben Funktionsbereich liegende Einschränkungen werden nicht doppelt gezählt.

Leitlinien des Bundessozialgerichts

Das BSG hat im Urteil unter dem Az. 9/9a RVs 2/92 zentrale Grundsätze für die Bildung des Gesamt-GdB formuliert, die bis heute gelten.

Wichtige Kernaussagen sind:

  • Die Bildung des Gesamt-GdB ist keine Rechenaufgabe, sondern eine rechtliche Wertung auf Basis medizinischer Gutachten und der Versorgungsmedizinischen Grundsätze.
  • Richter und Behörden sind an die vom Sachverständigen vorgeschlagenen Einzel-GdB nicht schematisch gebunden, sondern müssen den Gesamt-GdB eigenständig in freier Beweiswürdigung festlegen.

Das Gericht betont, dass es auf die alltagspraktische Gesamtauswirkung der Beeinträchtigungen ankommt, nicht auf starre Summenbildung oder „Rechenwege“. Dadurch sollen schematische Herabsetzungen oder unzureichend begründete Gesamtwerte vermieden werden.

Schritt für Schritt: GdB richtig berechnen (denklogisch prüfen)

Auch wenn die verbindliche Feststellung durch Versorgungsamt bzw. Gericht erfolgt, können Betroffene anhand der BSG-Leitlinien selbst prüfen, ob der Gesamt-GdB plausibel ist.

1. Gesundheitsstörungen vollständig erfassen

Zuerst sollten alle gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit Diagnosen, Befunden, Therapien und Auswirkungen im Alltag dokumentiert werden. Wichtig ist, dass nicht nur Hauptdiagnosen (z. B. Herzinfarkt), sondern auch Folgeprobleme (z. B. Belastungsintoleranz, psychische Begleiterscheinungen) erfasst werden.

Anhand der Versorgungsmedizinischen Grundsätze lassen sich für jede Funktionsbeeinträchtigung ungefähre Einzel-GdB-Werte abschätzen. Diese dienen als Richtschnur, sind aber im Einzelfall nach oben oder unten zu korrigieren, wenn die tatsächliche Einschränkung höher oder geringer ist.

2. Höchsten Einzel-GdB als Ausgangspunkt wählen

Nach den BSG-Vorgaben ist der höchste Einzel-GdB immer der Ausgangspunkt für die Gesamtbewertung. Liegt dieser z. B. bei 40 (z. B. schwere Erkrankung der Wirbelsäule), beginnt die Prüfung beim Wert 40.

Erst danach wird geprüft, ob und inwieweit die übrigen Beeinträchtigungen das Gesamtbild so verschärfen, dass ein höherer Gesamt-GdB gerechtfertigt ist. Ein zweiter Einzel-GdB von 30 in einem anderen Bereich (z. B. Herz) rechtfertigt häufig die Anhebung des Gesamt-GdB auf 50, wenn beide Einschränkungen den Alltag deutlich stärker belasten als jede für sich.

3. Wechselwirkungen und Überschneidungen bewerten

Entscheidend sind die Wechselwirkungen:

  • Verstärken sich Beeinträchtigungen (z. B. Herzschwäche und Lungenerkrankung bei Belastung), spricht dies für eine Anhebung des Gesamt-GdB.
  • Liegen mehrere Diagnosen im gleichen Funktionssystem mit ähnlichen Auswirkungen (z. B. Knie- und Hüftarthrose), werden sie nur begrenzt additiv berücksichtigt.

Die BSG-Rechtsprechung verlangt, dass diese Gesamtschau konkret begründet wird – bloßes Auflisten von Diagnosen genügt nicht.

Typische Fehler der Behörden – und wie man sie erkennt

Fachbeiträge und Urteile zeigen immer wieder typische Fehler bei der Bildung des Gesamt-GdB:

  • Starre Orientierung an Gutachtervorschlägen ohne eigene juristische Wertung.
  • Vereinfachtes „Deckeln“: Mehrere relevante Beeinträchtigungen werden nur mit einem Einzel-GdB abgetan, obwohl sie verschiedene Lebensbereiche betreffen.
  • Fehlende Begründung, warum zusätzliche Gesundheitsstörungen den Gesamt-GdB angeblich nicht erhöhen.

Betroffene sollten Bescheide daraufhin prüfen, ob alle Einschränkungen erwähnt, ob Wechselwirkungen diskutiert und ob die Entscheidung zum Gesamt-GdB nachvollziehbar begründet ist. Fehlt es daran, bestehen gute Ansatzpunkte für Widerspruch und Klage.

Zusammenhang von GdB und Altersrente für schwerbehinderte Menschen

Für die abschlagsfreie Altersrente für schwerbehinderte Menschen gilt:

  • GdB mindestens 50 zum Zeitpunkt des Rentenbeginns.
  • Erfüllung der Wartezeit von 35 Jahren (Pflichtbeiträge, Kindererziehung, Pflege, Zeiten der Arbeitslosigkeit etc. werden mitgezählt).

Die Altersgrenze für eine abschlagsfreie Rente wird – wie bei der Regelaltersrente – stufenweise angehoben; je nach Geburtsjahrgang liegt sie zwischen 63 und 65 Jahren. Wer früher in die Rente für schwerbehinderte Menschen geht, muss im Regelfall dauerhafte Abschläge von bis zu 10,8 Prozent auf die Rente akzeptieren.

Ein späterer Wegfall der Schwerbehinderung (z. B. nach einer erfolgreichen Operation) lässt die einmal bewilligte Rente unberührt; wichtig ist nur, dass der GdB 50 bei Rentenbeginn feststand.

Praxis-Tipps: So sichern Betroffene ihre Rechte

  • Antrag auf Feststellung des GdB frühzeitig stellen, damit die Schwerbehinderung rechtzeitig vor Rentenbeginn anerkannt ist.
  • Diagnosen, Befunde und Einschränkungen umfassend dokumentieren; Versorgungsmedizinische Grundsätze als Orientierung nutzen.
  • GdB-Bescheide kritisch auf die Einhaltung der BSG-Grundsätze (Urteil vom 05.05.1993, 9/9a RVs 2/92) prüfen und bei unplausiblen Gesamtwerten Widerspruch einlegen.
  • Bei geplanter Altersrente für schwerbehinderte Menschen rechtzeitig Rentenauskunft einholen und Klärung von Versicherungszeiten sowie GdB-Status mit der Rentenversicherung abstimmen.

Übersicht: GdB-Bildung und Rentenfolgen

ThemaRechtsgrundlage / LeitlinieBedeutung für Rente und Praxis
Schwerbehinderung (GdB ≥ 50)§ 152 SGB IX, Feststellung durch Versorgungsamt Voraussetzung für vorgezogene Altersrente für Schwerbehinderte
Einzel-GdBVersMedV, Zehnerschritte (20–100) Bewertet einzelne Gesundheitsstörung, nur Orientierungswert
Gesamt-GdB§ 152 Abs. 3 SGB IX, BSG 05.05.1993 – 9/9a RVs 2/92 Gesamtbewertung aller Einschränkungen, keine bloße Addition
Rolle des SachverständigenMedizinische Grundlage, aber keine Bindung beim Gesamt-GdB Behörde/Gericht müssen eigenständig werten (BSG-Vorgabe) ​
Rente für SchwerbehinderteGdB ≥ 50, 35 Jahre Wartezeit, erhöhte Altersgrenze Abschlagsfreier Rentenstart bis zu 2 Jahre früher möglich

Redakteure

  • ik

    Sozialrechtsexperte und Redakteur

    Ingo Kosick ist ein renommierter Experte im Bereich des Sozialrechts in Deutschland. Er engagiert sich seit über 30 Jahren in diesem Feld und hat sich als führende Autorität etabliert. Als Vorsitzender des Vereins Für soziales Leben e.V., der 2005 in Lüdinghausen gegründet wurde, setzt er sich für die Unterstützung von Menschen ein, die von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen sind. Der Verein bietet über das Internet Informationen, Beratung und Unterstützung für sozial benachteiligte Menschen an.

    Ingo Kosick ist zudem ein zentraler Autor und Redakteur auf der Plattform buerger-geld.org, die sich auf Themen wie Bürgergeld, Sozialleistungen, Rente und Kindergrundsicherung spezialisiert hat. Seine Artikel bieten fundierte Analysen und rechtlich aufgearbeitete Informationen, die Menschen in schwierigen Lebenssituationen unterstützen sollen.

    Durch seine langjährige Erfahrung und sein Engagement hat Ingo Kosick maßgeblich dazu beigetragen, dass sozial benachteiligte Menschen in Deutschland besser informiert und unterstützt werden können.

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  • Peter Kosick
    Experte:

    Jurist und Redakteur

    Peter Kosick hat an der Universität Münster Rechtswissenschaften studiert und beide juristische Staatsexamen in Nordrhein-Westfalen mit Erfolg abgelegt. Er arbeitet als freiberuflicher Jurist, ist Autor verschiedener Publikationen und hält Vorträge im Bereich Arbeits- und Sozialrecht. Seit mehr als 30 Jahren engagiert er sich im sozialen Bereich und ist seit der Gründung des Vereins "Für soziales Leben e.V." dort Mitglied. Peter Kosick arbeitet in der Online Redaktion des Vereins und ist der CvD. Seinen Artikeln sieht man an, dass sie sich auf ein fundiertes juristisches Fachwissen gründen.

    Peter hat ebenfalls ein Herz für die Natur, ist gern "draußen" und setzt sich für den Schutz der Umwelt ein.

    Seine Arbeit im Redaktionsteam von buerger-geld.org gibt ihm das Gefühl,  etwas Gutes für das Gemeinwohl zu tun.

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