Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat mit Entscheidung vom August 2025 einen praxisrelevanten Streit zur Rückforderung von Witwerrente nachträglich bezogener Altersrente (Rente) entschieden. Für viele Rentenempfänger wirft das Verfahren die Frage auf: Wann muss zu viel gezahlte Witwen- oder Witwerrente zurückgezahlt werden und wie sieht es mit dem Schutz des Vertrauens aus?
Worum geht es in dem Fall? – Der Sachverhalt verständlich erklärt
Im Mittelpunkt steht ein Kläger, der seit 2007 große Witwerrente als Hinterbliebener seiner verstorbenen Ehefrau bezog. Der Rentenversicherungsträger berechnete die Witwerrente – wie gesetzlich vorgeschrieben – unter Berücksichtigung des Einkommens des Klägers. Immer wieder wurden Anpassungsbescheide erlassen, insbesondere bei Änderungen durch Erwerbseinkommen oder Entgeltersatzeinkommen (z.B. Arbeitslosengeld).
Im Jahr 2015 beantragte der Kläger Altersrente für besonders langjährig Versicherte. Im Antragsformular gab er an, bereits eine Witwerrente zu beziehen. Die Altersrente wurde bewilligt, eine Anrechnung dieser neuen Rente auf die Witwerrente erfolgte nicht unmittelbar.
Mehrere Jahre später – erst im Herbst 2019 – bemerkte die Rentenkasse per Datenabgleich, dass der Kläger zwei Renten bezieht. Daraufhin wurde die Witwerrente rückwirkend neu berechnet. Das Ergebnis: Es seien über Jahre zu hohe Witwerrenten gezahlt worden. Die Behörde verlangte die teilweise Rückzahlung von über 7.199,76 € für den Zeitraum Juli 2015 bis Dezember 2018. Um diesen Anspruch tobte ein Rechtsstreit, der bis vor das Landessozialgericht ging.
Die wichtigsten Entscheidungsgründe des Gerichts
Das LSG stellt klar: Eine Rückforderung ist bei fehlerhafter Anrechnung grundsätzlich möglich – die Rentenbehörde muss aber Mitverschulden, Informationspflichten und Fristen rechtskonform berücksichtigen.
1. Mitteilungspflichten des Rentenbeziehers
Nach dem Gesetz müssen Rentner dem Versicherungsträger jede relevante Änderung mitteilen, z.B. das Hinzukommen einer neuen Versichertenrente. Im Fall hatte der Kläger diesen weiteren Rentenbezug zwar im Antrag zur eigenen Altersrente angegeben, aber keine gesonderte Mitteilung an die „Hinterbliebenenrentenstelle“ gemacht. Das Gericht sieht darin eine zumindest grob fahrlässige Verletzung der Mitteilungspflicht. Einfache Angaben im Antrag oder ein Telefonat reichen nicht immer aus, die gesetzliche Mitteilungspflicht explizit zu erfüllen.
Praxis-Tipp: Wer eine neue Rente oder ein zusätzliches Einkommen erhält, sollte dies unbedingt schriftlich und unter Angabe aller relevanten Versicherungsnummern allen betroffenen Rentenstellen mitteilen.
2. Vertrauensschutz und Mitverschulden der Behörde
Das Gericht räumt ein: Der Kläger durfte im Einzelfall darauf vertrauen, dass seine Angaben im Antrag und im Rahmen eines Beratungsgesprächs auch intern weitergeleitet werden. Das Rentensystem ist für Laien oftmals undurchsichtig – vor allem, wenn unterschiedliche Abteilungen involviert sind und Anpassungsbescheide weiterhin ohne Einkommensanrechnung erfolgen.
Deswegen billigt das LSG dem Kläger einen Vertrauensschutzanteil zu: Die Rückforderung wird im konkreten Fall um 20 % reduziert, da die Behörde selbst versäumt hat, die erforderlichen Informationen weiterzugeben und die Anrechnung rechtzeitig vorzunehmen.
Hintergrund: Man kann also nicht immer davon ausgehen, dass Behördenfehler automatisch zur vollständigen Befreiung von Rückzahlungen führen. Das Gericht akzeptiert aber eine teilweise Minderung der Rückforderung als Ausgleich für ein Mitverschulden der Verwaltung.
3. Fristen und Bescheidsänderungen
Wichtig ist die Einhaltung der Fristen nach SGB X (§§ 45, 48 X): Rückforderungen dürfen, wenn kein grobes Fehlverhalten vorliegt, nur zeitlich begrenzt rückwirkend geltend gemacht werden. Hier hatte die Behörde nach einem Datenabgleich erst 2019 den neuen Sachverhalt erkannt und im selben Jahr den Rückforderungsbescheid erlassen – was dem Gericht zufolge innerhalb der gesetzlichen Jahresfrist der behördlichen „Kenntnis“ lag.
Außerdem prüfte das LSG, ab wann die neue Rente rechtlich hätte angerechnet werden müssen und wie Anpassungsbescheide (z.B. durch Einführung der sogenannten „Mütterrente“) auf die Anspruchssituation einwirken. Besonders bei der Einführung zusätzlicher Kindererziehungszeiten gilt: Wird die Rente neu festgestellt, bleibt der neue Bescheid für den Anspruchszeitraum bestehen und verhindert eine Rückforderung, solange dieser nicht aufgehoben wurde.
4. Rückforderung und Höhe der Erstattung
Das Gericht entschied, dass der Kläger nicht die gesamte zu viel gezahlte Witwerrente zurückzahlen muss, sondern nur einen Teilbetrag. Insbesondere für die betroffene Phase von Juli 2015 bis Dezember 2018 sind überzahlte Leistungen von rund 7.199,76 € zu erstatten; spätere Leistungen stehen unter Bestandskraft des neuen Bescheids.
Was bedeutet das Urteil für Rentner?
- Bei mehreren Renten oder Einkommensarten unbedingt alle Betroffenen Stellen informieren.
- Auf Hinweise zu Mitteilungspflichten in Rentenbescheiden achten!
- Auch Behörden können Fehler machen – ein Mitverschulden kann die Rückforderung mindern, ersetzt aber keine vollständige Befreiung.
- Bei Rückforderungsbescheiden sind Fristen für Widerspruch und Klage zu beachten.
- Das Gericht betont: Vertrauensschutz gibt es nur, wenn alles Zumutbare zur korrekten Mitteilung unternommen wurde.
FAQ: Rückforderung Witwen-/Witwerrente
Muss ich alle überzahlten Beträge zurückzahlen?
Nein, unter Umständen kann die Rückforderung durch Mitverschulden der Behörde gemindert werden.
Was ist grobe Fahrlässigkeit?
Wenn der Rentner einfachste Pflichten verletzt, die jedem einleuchten müssten, etwa die ausdrückliche Mitteilung einer neuen Rente.
Wann beginnt die Frist für Rückforderungen?
Mit positiver Kenntnis der Behörde über die neue Rentensituation, etwa durch Datenabgleich oder Information des Versicherten.
Zusammenfassung
Das Urteil macht deutlich: Wer mehrere Sozialleistungen bezieht, muss sehr sorgfältig alle Änderungen mitteilen und Bescheide prüfen. Fehler auf Seiten der Rentenversicherung können die Rückforderung abmildern, ermöglichen aber keine generelle Befreiung. Das Urteil stärkt die Rechte von Rentenbeziehern, indem es den Vertrauensschutz berücksichtigt – und setzt zugleich klare Grenzen: Ohne eigene Initiative beim Melden neuer Einkünfte kann es teuer werden.
Quelle
Urteil Landessozialgericht auf sozialgerichtsbarkeit.de