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Urteil Landessozialgericht: Bürgergeld stoppt automatisch mit Bewilligung der EM-Rente!

Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat mit dem Urteil L 18 AS 947/22 eine wichtige Entscheidung zur Anspruchsberechtigung auf Bürgergeld bei voller Erwerbsminderung getroffen. Der folgende Artikel auf Bürger & Geld, dem Nachrichtenmagazin des Vereins Für soziales Leben, e.V. erklärt den Sachverhalt des Falls, beleuchtet die Urteilsgründe und zeigt auf, was Betroffene in diesem Zusammenhang beachten müssen.

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Das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg mit dem Aktenzeichen L 18 AS 947/22 betrifft einen Fall im Bereich des Sozialrechts. Es behandelt die Frage, ob ein Anspruch auf Bürgergeld (zukünftig: Neue Grundsicherung) weiterhin besteht, wenn eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt wurde. In unserem Beitrag schildern wir den Sachverhalt, erklären die Urteilsgründe und die Bedeutung für Betroffene.

Sachverhalt: Bürgergeld Bezieher erhält EM-Rente

Ein Kläger bezog zunächst Leistungen nach dem SGB II (Bürgergeld / Neue Grundsicherung) vom Jobcenter. Im Laufe der Zeit wurde bei ihm eine volle Erwerbsminderung festgestellt und ihm eine entsprechende Rente bewilligt. Das Jobcenter hob daraufhin die Bewilligung der SGB II-Leistungen für die Zukunft auf. Der Kläger wandte sich dagegen und begehrte weiterhin Leistungen vom Jobcenter. Seine Argumentation: Er benötige ergänzende Hilfen und sehe sich weiterhin als anspruchsberechtigt.

Das Sozialgericht Frankfurt (Oder) hatte die Klage bereits abgewiesen. Der Kläger legte Berufung beim LSG Berlin-Brandenburg ein. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob trotz der bewilligten Erwerbsminderungsrente weiterhin ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II besteht.

Die rechtlichen Grundlagen: Kein Bürgergeld bei voller EM-Rente

Das Urteil stützt sich maßgeblich auf folgende gesetzliche Regelungen:

  • § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II: Leistungen nach dem SGB II (Bürgergeld) erhalten nur erwerbsfähige Personen.
  • § 8 Abs. 1 SGB II: Erwerbsfähigkeit ist Voraussetzung für den Leistungsanspruch.
  • § 44a Abs. 2 SGB II: Die Feststellung der Erwerbsfähigkeit durch den Rentenversicherungsträger ist für das Jobcenter verbindlich.
  • § 48 Abs. 1 SGB X: Bewilligungsentscheidungen können für die Zukunft aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen entfallen sind.

Urteilsgründe: Warum wurde die Klage abgewiesen?

Das LSG Berlin-Brandenburg bestätigte die Entscheidung des Sozialgerichts und wies die Berufung des Klägers zurück. Die zentralen Urteilsgründe:

  • Wegfall der Erwerbsfähigkeit: Mit der Feststellung der vollen Erwerbsminderung durch den Rentenversicherungsträger liegt keine Erwerbsfähigkeit mehr vor. Damit entfällt die Anspruchsgrundlage für Leistungen nach dem SGB II.
  • Bindungswirkung der Feststellung: Die Entscheidung des Rentenversicherungsträgers über die Erwerbsfähigkeit ist für das Jobcenter rechtlich bindend. Das Jobcenter ist verpflichtet, sich dieser Einschätzung anzuschließen und die Leistungsbewilligung aufzuheben.
  • Ausschluss vom Bürgergeld: Nach den gesetzlichen Vorgaben sind nicht erwerbsfähige Personen vom Bezug des Bürgergeldes ausgeschlossen. Sie haben stattdessen Anspruch auf Sozialhilfe nach dem SGB XII, sofern sie bedürftig sind (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung).
  • Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers: Nach der Bewilligung der Erwerbsminderungsrente ist nicht mehr das Jobcenter, sondern der Sozialhilfeträger für ergänzende Hilfen zuständig. In diesem Fall wurde diese Aufgabe auch übernommen.

Bedeutung des Urteils für die Praxis

Das Urteil schafft Klarheit für Betroffene und Behörden:

  • Rechtsklarheit: Wer eine volle Erwerbsminderungsrente erhält, hat keinen Anspruch mehr auf Bürgergeld. Die Zuständigkeit wechselt zum Sozialhilfeträger.
  • Verfahrenssicherheit: Jobcenter müssen die Feststellung der Erwerbsunfähigkeit durch den Rentenversicherungsträger akzeptieren und die Leistungen nach dem SGB II einstellen.
  • Soziale Absicherung: Betroffene werden nicht „ins Leere“ fallen gelassen, sondern erhalten – sofern Bedürftigkeit besteht – Leistungen nach dem SGB XII (Grundsicherung im Alter).

Zusammenfassung: Kein Bürgergeld bei voller Erwerbsminderungsrente

Das Urteil des LSG Berlin-Brandenburg (L 18 AS 947/22) ist von Bedeutung für die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Jobcenter und Sozialamt. Es stellt klar: Mit der Bewilligung einer vollen Erwerbsminderungsrente endet der Anspruch auf Bürgergeld. Die Entscheidung des Rentenversicherungsträgers ist bindend, und der Sozialhilfeträger übernimmt die weitere Unterstützung in Form der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Für Betroffene bedeutet dies, dass sie sich nach der Rentenbewilligung an das Sozialamt (nicht mehr an das Jobcenter) wenden müssen, um weiterhin staatliche Unterstützung zu erhalten.

Quelle

Urteil auf Sozialgerichtsbarkeit.de

Redakteure

  • ik

    Ingo Kosick ist ein renommierter Experte im Bereich des Sozialrechts in Deutschland. Er engagiert sich seit über 30 Jahren in diesem Feld und hat sich als führende Autorität etabliert. Als Vorsitzender des Vereins Für soziales Leben e.V., der 2005 in Lüdinghausen gegründet wurde, setzt er sich für die Unterstützung von Menschen ein, die von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen sind. Der Verein bietet über das Internet Informationen, Beratung und Unterstützung für sozial benachteiligte Menschen an. Ingo Kosick ist zudem ein zentraler Autor und Redakteur auf der Plattform buerger-geld.org, die sich auf Themen wie Bürgergeld, Sozialleistungen, Rente und Kindergrundsicherung spezialisiert hat. Seine Artikel bieten fundierte Analysen und rechtlich aufgearbeitete Informationen, die Menschen in schwierigen Lebenssituationen unterstützen sollen. Durch seine langjährige Erfahrung und sein Engagement hat Ingo Kosick maßgeblich dazu beigetragen, dass sozial benachteiligte Menschen in Deutschland besser informiert und unterstützt werden können.

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  • Peter Kosick
    Experte:

    Peter Kosick hat an der Universität Münster Rechtswissenschaften studiert und beide juristische Staatsexamen in Nordrhein-Westfalen mit Erfolg abgelegt. Er arbeitet als freiberuflicher Jurist, ist Autor verschiedener Publikationen und hält Vorträge im Bereich Arbeits- und Sozialrecht. Seit mehr als 30 Jahren engagiert er sich im sozialen Bereich und ist seit der Gründung des Vereins "Für soziales Leben e.V." dort Mitglied. Peter Kosick arbeitet in der Online Redaktion des Vereins und ist der CvD. Seinen Artikeln sieht man an, dass sie sich auf ein fundiertes juristisches Fachwissen gründen. Peter hat ebenfalls ein Herz für die Natur, ist gern "draußen" und setzt sich für den Schutz der Umwelt ein. Seine Arbeit im Redaktionsteam von buerger-geld.org gibt ihm das Gefühl,  etwas Gutes für das Gemeinwohl zu tun.

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