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Streit um die Spätehenklausel: Wann Liebe keine Rente bringt

Dieser Artikel von Bürger & Geld, dem Nachrichtenmagazin des Vereins Für soziales Leben e. V., zeigt, warum ein Urteil des Arbeitsgerichts Köln zur Spätehenklausel für tausende Ehepaare im Rentenalter richtungsweisend ist – zwischen Liebe, Recht und sozialer Gerechtigkeit.

Am 7. Mai 2024 fällte das Arbeitsgericht Köln ein Urteil, das weit über den Einzelfall hinauswirkt. Eine 75-jährige Witwe klagte auf die betriebliche Hinterbliebenenrente ihres verstorbenen Mannes – und verlor. Ihr Schicksal entzündet eine Grundsatzdebatte: Wann wird Liebe im Alter von der Rentenordnung bestraft?

Der Fall: Liebe im Alter vor Gericht

Die Klägerin lebte seit 2003 mit ihrem Partner zusammen und heiratete ihn erst im Jahr 2022, als sie bereits 75 Jahre alt war. Ihr Ehemann, ein langjähriger Mitarbeiter eines großen deutschen Unternehmens, starb 2023. Die Witwe beantragte daraufhin die betriebliche Hinterbliebenenrente – und stieß auf eine unerwartete Hürde.

In der Versorgungsordnung des Arbeitgebers stand eine sogenannte „Spätehenklausel“: Eine Hinterbliebenenrente wird nur gewährt, wenn die Ehe vor Vollendung des 60. Lebensjahres des Mitarbeiters geschlossen wurde und mindestens fünf Jahre bestand.

Das Urteil: Kein Anspruch trotz Ehe

Am 7. Mai 2024 entschied das Arbeitsgericht Köln (Az.: 16 Ca 171/24) gegen die Klägerin. Das Gericht sah in der Spätehenklausel zwar eine unmittelbare Altersdiskriminierung, bewertete sie jedoch als nach §10 AGG zulässig. Die Begründung: Sie diene einem legitimen Ziel, nämlich der Vermeidung von Versorgungsehen sowie der Finanzierbarkeit betrieblicher Altersversorgung.

Die Ehe der Klägerin hatte nur 1 Jahr und 9 Monate gedauert – zu kurz, um den geforderten Zeitraum von fünf Jahren zu erfüllen. Entsprechend ging die Witwe leer aus.

Was ist eine Spätehenklausel?

Eine Spätehenklausel ist eine Bestimmung in Versorgungsordnungen, die den Anspruch auf eine betriebliche Hinterbliebenenrente ausschließt, wenn die Ehe des Mitarbeiters erst nach einem bestimmten Alter geschlossen wird – häufig nach dem 60. oder 62. Lebensjahr.

Ziel dieser Regelung ist laut Arbeitgebern der Schutz vor sogenannten Versorgungsehen, also Eheschließungen kurz vor dem Tod eines Betriebsrentners, die nur dem Zweck dieser Rentenzahlungen dienen sollen.

Der juristische Hintergrund

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbietet Benachteiligungen wegen des Alters. Doch §10 AGG erlaubt Ausnahmen, wenn sie objektiv gerechtfertigt sind. Arbeitgeber dürfen also unter bestimmten Umständen Altersgrenzen einführen – sofern sie auf betriebsrentenrechtlichen Strukturprinzipien beruhen.

Das Arbeitsgericht Köln sah solche Prinzipien in diesem Fall gegeben. Die Grenze von 60 Jahren sei nicht willkürlich, sondern diene der wirtschaftlichen Planbarkeit einer langfristigen Versorgung.

Doch die Rechtsprechung ist gespalten

Das Urteil aus Köln steht im Gegensatz zu einer Reihe von Entscheidungen anderer Gerichte. So urteilte das Bundesarbeitsgericht (BAG) bereits 2019 und 2024, dass Spätehenklauseln in vielen Fällen unzulässig seien.

Nach Informationen der Kanzlei Lenné erklärte das BAG in einem vergleichbaren Verfahren (Az.: 3 AZR 215/18), dass eine Altersgrenze von 62 Jahren nicht sachlich gerechtfertigt und damit diskriminierend sei.

Die Richter betonten: Beschäftigte dürfen nicht wegen ihres Alters unterschiedlich behandelt werden. Altersgrenzen, die keinerlei Bezug zum Renteneintritt oder zu typischen Strukturprinzipien haben, verstoßen gegen das AGG.

Zwei Urteile – zwei Welten

GerichtJahrAltersgrenzeEntscheidungBegründung
Arbeitsgericht Köln202460 JahreKlausel zulässigFinanzierbarkeit, Vermeidung von Versorgungsehen
Bundesarbeitsgericht202462 JahreKlausel unzulässigAltersdiskriminierung ohne sachliche Rechtfertigung
Dieser Widerspruch könnte bald den Weg zum Bundesverfassungsgericht ebnen, denn er betrifft ein Grundverständnis von Gerechtigkeit im deutschen Arbeits- und Sozialrecht.

Sozialpolitische Brisanz

Wenn eine Ehe im Alter rechtlich anders bewertet wird als eine junge Ehe – berührt das nicht den Kern sozialer Gleichheit? Kritiker sehen darin eine diskriminierende Praxis gegenüber älteren Menschen, die aus Liebe – nicht Kalkül – heiraten.

Rechtsexperten warnen vor einem gefährlichen Signal: Wer spät heiratet, riskiert den Verzicht auf Rentenschutz für seinen Partner. Gerade für Frauen, die nach jahrzehntelanger Partnerschaft erst im Alter heiraten, sei das eine „doppelte Bestrafung“, erklärte Sozialjurist Jens Merckelmann gegenüber Bürger & Geld.

Das Argument der Arbeitgeber

Arbeitgeberverbände verteidigen die Klausel. Die Betriebliche Altersversorgung sei ein freiwilliger Leistungsbestandteil, der kalkulierbar und finanzierbar bleiben müsse. Eine Öffnung ohne Altersgrenzen könne den wirtschaftlichen Rahmen sprengen.

Ein Sprecher eines Kölner Industrieverbandes sagte, laut Bürger & Geld: „Versorgungsehen sind ein reales Risiko. Ohne klare Grenzen wäre die betriebliche Altersvorsorge kaum planbar.“

Kritik aus der Wissenschaft

Arbeitsrechtlerin Prof. Dr. Ulrike Lenz (Universität Bonn) hält solche Regelungen für sozial unverträglich. Sie erklärte, dass Altersgrenzen, die sich nicht an objektiven Strukturprinzipien orientieren, eine „versteckte Diskriminierung“ darstellen.

Betriebliche Altersversorgung diene nicht nur ökonomischen Interessen, sondern müsse auch soziale Fairness widerspiegeln.

Hinterbliebenenrenten – ein unübersichtliches System

Die gesetzliche Rentenversicherung gewährt eine Witwen- oder Witwerrente, wenn die Ehe mindestens ein Jahr bestand (§46 Abs. 2a SGB VI).

In der betrieblichen Altersversorgung gibt es hingegen keine einheitliche Regelung – jedes Unternehmen kann eigene Bedingungen festlegen. Daher entstehen große Unterschiede in der Praxis, die häufig erst im Todesfall ans Licht kommen.


Vergleich gesetzliche vs. betriebliche Hinterbliebenenrente

MerkmalGesetzliche RenteBetriebliche Altersversorgung
Mindestehedauer1 Jahrfrei definierbar durch Versorgungsordnung
Altersgrenzenkeineoft 60 oder 62 Jahre
Rechtsgrundlage§46 SGB VIBetriebsrentenordnung des Arbeitgebers
Diskriminierungsschutzumfassend durch AGGeingeschränkt durch betriebliche Interessen

Mögliche Folgen für zukünftige Fälle

Das Urteil des Arbeitsgerichts Köln könnte vorübergehend als Signal gelten, dass Spätehenklauseln unter bestimmten Bedingungen zulässig bleiben. Doch die Entwicklung der BAG-Rechtsprechung deutet auf eine Lockerung dieser Praxis hin.

Es bleibt zu erwarten, dass der nächste Richterspruch dieses Spannungsfeld zwischen Liebe, Alter und Arbeitsrecht endgültig klärt.

FAQ zur Spätehenklausel

Was ist eine Spätehenklausel?

Eine Regelung, die Hinterbliebenenrenten ausschließt, wenn die Ehe erst nach einem bestimmten Alter geschlossen wurde oder zu kurz bestand.

Ist das nicht Altersdiskriminierung?

Grundsätzlich ja – aber §10 AGG erlaubt Ausnahmen, wenn sachliche Gründe wie Finanzierbarkeit oder Verwaltungszwecke vorliegen.

Wie kann man sich schützen?

Arbeitnehmer sollten sich vor der Hochzeit beim Arbeitgeber über die Versorgungsordnung informieren und gegebenenfalls eine private Vorsorge treffen.

Kann die Witwe in Köln Berufung einlegen?

Ja, möglich wäre eine Berufung beim Landesarbeitsgericht Köln. Ob diese Erfolg hätte, hängt von der Bewertung der sachlichen Rechtfertigung ab.

Gilt das Urteil für alle?

Nein. Unternehmen haben eigene Regelungen. Doch das Urteil könnte als Präzedenzfall Einfluss auf künftige Verfahren haben.

Fazit: Zwischen Recht, Liebe und Rentenlücke

Das Urteil aus Köln zeigt, dass Ehe und Alter im deutschen Rentenrecht ein sensibles Thema bleiben. Die Spätehenklausel ist dabei mehr als eine juristische Feinheit – sie betrifft Herz und Existenz.

Während Gerichte um Paragrafen ringen, stehen viele ältere Paare vor der Frage: Ist unsere Liebe im Alter weniger wert? Bürger & Geld bleibt dran – und fordert: Ein soziales Rentensystem darf Liebe nicht bestrafen.

Redakteure

  • Peter Kosick

    Jurist und Redakteur

    Peter Kosick hat an der Universität Münster Rechtswissenschaften studiert und beide juristische Staatsexamen in Nordrhein-Westfalen mit Erfolg abgelegt. Er arbeitet als freiberuflicher Jurist, ist Autor verschiedener Publikationen und hält Vorträge im Bereich Arbeits- und Sozialrecht. Seit mehr als 30 Jahren engagiert er sich im sozialen Bereich und ist seit der Gründung des Vereins "Für soziales Leben e.V." dort Mitglied. Peter Kosick arbeitet in der Online Redaktion des Vereins und ist der CvD. Seinen Artikeln sieht man an, dass sie sich auf ein fundiertes juristisches Fachwissen gründen.

    Peter hat ebenfalls ein Herz für die Natur, ist gern "draußen" und setzt sich für den Schutz der Umwelt ein.

    Seine Arbeit im Redaktionsteam von buerger-geld.org gibt ihm das Gefühl,  etwas Gutes für das Gemeinwohl zu tun.

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  • ik
    Experte:

    Sozialrechtsexperte und Redakteur

    Ingo Kosick ist ein renommierter Experte im Bereich des Sozialrechts in Deutschland. Er engagiert sich seit über 30 Jahren in diesem Feld und hat sich als führende Autorität etabliert. Als Vorsitzender des Vereins Für soziales Leben e.V., der 2005 in Lüdinghausen gegründet wurde, setzt er sich für die Unterstützung von Menschen ein, die von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen sind. Der Verein bietet über das Internet Informationen, Beratung und Unterstützung für sozial benachteiligte Menschen an.

    Ingo Kosick ist zudem ein zentraler Autor und Redakteur auf der Plattform buerger-geld.org, die sich auf Themen wie Bürgergeld, Sozialleistungen, Rente und Kindergrundsicherung spezialisiert hat. Seine Artikel bieten fundierte Analysen und rechtlich aufgearbeitete Informationen, die Menschen in schwierigen Lebenssituationen unterstützen sollen.

    Durch seine langjährige Erfahrung und sein Engagement hat Ingo Kosick maßgeblich dazu beigetragen, dass sozial benachteiligte Menschen in Deutschland besser informiert und unterstützt werden können.

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