Mit dem demografischen Wandel droht eine wachsende Finanzierungslücke in der Sozialversicherung: Immer mehr Babyboomer gehen in Rente – weniger Erwerbstätige müssen für mehr Ruheständler aufkommen. Ein „Boomer-Soli“ als neue Sonderabgabe für Ältere wird von Ökonomen zur Sicherung der Finanzierung der Rente ins Spiel gebracht. Doch: Würde es gelingen, mehr Bürgergeld-Bezieher (Bezieher von Grundsicherung für Arbeitsuchende) in reguläre Jobs zu vermitteln, ließen sich diese Zusatzbelastungen für die Gesellschaft vielleicht vermeiden?!? Wie realistisch ist diese Perspektive? Und welche politischen Reformen braucht es?
Zahlen & Hintergründe: Bürgergeld und Arbeitsmarkt 2025
Im Frühjahr 2025 erhielten in Deutschland rund 5,4 Millionen Menschen Bürgergeld, davon sind etwa 1,9 Millionen tatsächlich arbeitslos. Der Anteil der „Aufstocker“, die trotz Job Bürgergeld beziehen, liegt bei knapp 830.000. Weitere rund 2,7 Millionen stehen dem Arbeitsmarkt aktuell nicht zur Verfügung, etwa wegen Krankheit, Pflege oder Betreuungspflichten. Trotz vieler offener Stellen gelingt die Integration nur schleppend: Die monatlichen Vermittlungsquoten stagnieren auf niedrigem Niveau.
Dabei ist das Potenzial hoch, den Fachkräftemangel abzufedern – vorausgesetzt, Hürden bei Qualifikation, Gesundheit oder Betreuung werden abgebaut.
Warum gelingt die Integration bislang nur bedingt?
Das Hauptproblem liegt häufig nicht am fehlenden Arbeitswillen, sondern am „Match“ zwischen Bewerbern und Stellen:
- Langzeitarbeitslosigkeit: Rund 1 Million Betroffene; viele haben mangelnde Qualifikation oder gesundheitliche Einschränkungen, es fehlen Fortbildungsangebote und intensive Betreuung.
- Budgetprobleme bei Jobcentern: In den letzten Jahren wurde das Geld für Eingliederungsmaßnahmen (z.B. Lohnkostenzuschüsse, Weiterbildung) zum Teil gekürzt oder in Verwaltung umgeleitet. Erfolgreiche Programme wie der „Soziale Arbeitsmarkt“ (mit hohen Vermittlungs- und Stabilitätsquoten bei Langzeitarbeitslosen) werden nicht ausreichend gefördert.
- Betreuungsengpässe: Speziell Alleinerziehende oder Menschen mit Pflegeaufgaben stößt fehlende Infrastruktur auf Hürden.
- Migrationshintergrund: Migrantinnen und Migranten erzielen zwar stetig steigende Erwerbstätigenquoten (2023: 69–75 %), benötigen aber oft längere Anlaufzeiten in Qualifikation und Beratung, wie Forschungen des IAB zeigen.
Warum steht überhaupt ein Boomer-Soli zur Diskussion?
Laut aktuellen Prognosen steigt der Bundeszuschuss zur gesetzlichen Rentenversicherung 2025 auf ca.117Mrd.Euro; eine Folge der geburtenstarken Jahrgänge und längerer Lebensdauer. Der „Boomer-Soli“ – vorgeschlagen vom DIW – wäre eine Sonderumlage, die ausschließlich wohlhabendere Ruheständler abführen und mitfinanzieren müssten, so die Idee. Dabei würde ein monatlicher Freibetrag von z.B.1.000Euro gelten, alles darüber würde mit10% belegt.
Das Ziel: Rentenkasse entlasten, Sozialausgleich sichern, Generationengerechtigkeit herstellen.
Lösungsansätze: Wie lässt sich die Integration erhöhen?
1. Zielgerichtete Qualifizierung
- Ausbau berufsbegleitender Umschulungen, spezielle Programme für fehlende Abschlüsse und digitale Kompetenzen.
- Förderung gezielter Fachkräfteinitiativen in Pflege, Handwerk und sozialem Bereich.
2. Fördermittel erhöhen & effektiv steuern
- Deutlich mehr Budget für Eingliederungsmaßnahmen, insb. für bewährte Förderinstrumente wie den sozialen Arbeitsmarkt und Lohnkostenzuschüsse (nach §16e/i SGBII).
- Wirkungsorientierte Steuerung: Erfolg der Jobcenter an Integrationsquoten messen, nicht nur an Verwaltungsausgaben.
3. Betreuung und Beratung
- Mehr und besser qualifiziertes Personal in den Jobcentern, Fokus auf individuelle Betreuung, Coaching und Gesundheitsmanagement für schwer Vermittelbare.
- Ausbau der Angebote für Kinderbetreuung und flexible Arbeitsmodelle für Alleinerziehende.
4. Zusammenarbeit mit Unternehmen
- Mehr Kooperation zwischen Jobcentern, Unternehmen und Sozialträgern.
- Betriebe für die Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen gewinnen und bei Risiken absichern.
Chancen: Würde eine bessere Integration den Boomer-Soli überflüssig machen?
Jeder Bürgergeld-Empfänger, der eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufnimmt, stärkt das Sozialversicherungssystem mehrfach: Beitragsaufkommen und Steueraufkommen steigen, die Zahl der Beitragszahler nimmt zu, der Rentenbedarf sinkt.
Ökonomen sind sich dennoch einig: Selbst bei ehrgeizigen Integrationszielen wird der Generationenwandel eng bleiben. Allein durch Arbeitsmarktintegration lässt sich der Finanzierungsbedarf nicht vollständig decken – aber er kann erheblich gesenkt werden.
Für soziales Leben e.V.: Stellungnahme
Der Verein Für soziales Leben e.V. begrüßt alle Maßnahmen, die darauf abzielen, Bürgergeld-Bezieher nachhaltig und individuell in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Wir fordern gezielte Programme für Qualifizierung, gesundheitliche Unterstützung und familienfreundliche Rahmenbedingungen.
Zum Rentenproblem: Ein Boomer-Soli sollte nur als letztes Mittel erwogen werden – entscheidend ist, allen Menschen echte Perspektiven und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.
Zusammenfassung: Kombination aus Arbeitsmarktpolitik und Sozialreformen dringend nötig
Ein Boomer-Soli lässt sich, so eine Meinung, vermeiden, wenn Bürgergeld-Bezieher konsequenter und umfassender in Arbeit gebracht werden – hierzu müssen Jobcenter, Politik und Betriebe an einem Strang ziehen, Förderung gezielter und ausreichend finanziert werden und die Betreuung individueller sein. Kurzfristige Entlastung verspricht das nicht – langfristig ist es aber der beste Weg, das Sozialversicherungssystem stabil zu halten und neue Lasten für Jüngere zu verhindern.
Quellen
- Bertelsmann Stiftung: Bürgergeld und Jobcenter-Report 2025
- MDR: Mittel für Langzeitarbeitslosen-Förderung
- IAB Forum/Destatis: Migration, Bürgergeld und Arbeitsmarktintegration
- DGB: Arbeitsmarktpolitik und Langzeitarbeitslosigkeit
- Bundesagentur für Arbeit/Statista: Aktuelle Arbeitsmarktdaten und Bürgergeld-Ausgaben
Alle Aussagen mit Zahlen, Entwicklungen und Reformansätzen sind durch die genannten und recherchierten Quellen zur Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik belegt.