Für soziales Leben e. V.

gemeinnützig & unabhängig

Stand:

Autor: Experte:

Bürgergeld Kürzung? So denken Beschäftigte im Jobcenter darüber – IAB Befragung und Studie

Die Diskussion um Leistungskürzungen und Sanktionen beim Bürgergeld nimmt angesichts der aktuellen Sozialstaatsdebatte weiter Fahrt auf. Im September 2025 sorgt eine neue Studie für Aufsehen: Beschäftigte in deutschen Jobcentern befürworten laut einer aktuellen Befragung häufig harte Kürzungsmaßnahmen für Bürgergeld-Empfänger – rechnen aber gleichzeitig nur mit geringen Einsparpotenzialen. Was steckt dahinter, wie wirken die Sanktionen tatsächlich, und was ist das IAB-Forum überhaupt? Antworten hierauf in folgendem Artikel auf Bürger & Geld, dem Nachrichtenmagazin des Vereins Für soziales Leben e.V.!

Was ist das IAB-Forum?

Das IAB-Forum ist das Online-Magazin des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit. Die Plattform veröffentlicht aktuelle Forschungsbeiträge und Analysen rund um Arbeitsmarkt, Sozialpolitik und Grundsicherung in Deutschland. Zielgruppe sind Politik, Verwaltung, Medien und die interessierte Öffentlichkeit. Das IAB ist wissenschaftlich unabhängig und gehört zu den wichtigsten Forschungsstellen im Bereich Sozialstaat in Deutschland.

Befragung: Was denken Beschäftigte in den Jobcentern?

Im Rahmen einer groß angelegten Erhebung wurden Anfang 2024 und 2025 jeweils über 3.000 Mitarbeiter in Jobcentern zu ihren Einstellungen und Erfahrungen mit Sanktionen im System Bürgergeld befragt. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie hoch Leistungsminderungen aus Sicht der Mitarbeitenden maximal sein sollten – und welche Effekte von harten Sanktionen erwartet werden.

Das Ergebnis:

  • 55% der Befragten bevorzugen maximale Kürzungssätze, wie sie auch gesetzlich vorgesehen sind – also zwischen 10 und 30% pro Sanktionsstufe.
  • 23% der Befragten sprechen sich für eine 100-prozentige Kürzung des Regelbedarfs bei gleichzeitiger Weiterzahlung der Miete aus, wie sie inzwischen nach dem Gesetz bei mehrfachen Pflichtverletzungen möglich ist.
  • Weitere 10% möchten sogar auf die Wohnkosten ausdehnen, andere 10% würden eher mildere Kürzungen bevorzugen und 5% wünschen ganz den Verzicht auf Sanktionen.

Auffällig: Führungskräfte im Jobcenter bevorzugen mit etwas höherer Wahrscheinlichkeit moderatere Sanktionen als Mitarbeitende im direkten Bürgerkontakt.

100-Prozent-Kürzung beim Bürgergeld in der Praxis: Umsetzung und Realismus

Seit März 2024 ermöglicht das Gesetz in besonders schweren Fällen – zum Beispiel bei erneuter Arbeitsablehnung trotz vorheriger Sanktionen – die Vollkürzung (100%) des Regelbedarfs für bis zu 3 Monate. Die gesetzlichen und praktischen Hürden zur Umsetzung dieser schärfsten Sanktion sind jedoch hoch. Zwei Drittel der befragten Mitarbeiter halten die Voraussetzungen für die volle Kürzung für wenig realitätsnah, unter Führungskräften sind es sogar über 90%.

Kürzungen, vorläufige Zahlungseinstellung und Bürokratie

Neben Sanktionen gibt es das Mittel der vorläufigen Zahlungseinstellung: Bürgergeld wird zunächst gestoppt, falls Unterlagen oder Mitwirkung fehlen. Erst wenn der Sachverhalt geklärt wird, erfolgt eine Nachzahlung. 60% der Mitarbeitenden sehen in dieser Methode eine unbürokratische Alternative zu klassischen Sanktionen, da sie flexibler ist und weniger Verwaltungsaufwand erzeugt. Dieses Instrument kommt besonders oft bei Nichterreichbarkeit, verpassten Terminen oder unerlaubter Ortsabwesenheit zum Einsatz.

Ziele von Sanktionen: Kontrolle, Missbrauchsprävention und Arbeitsmarkteffekte?

Mit Sanktionen, insbesondere den neuen 100-Prozent-Kürzungen, möchte der Gesetzgeber Druck aufbauen und Arbeitssuchende aktivieren. Die meisten Jobcenter-Beschäftigten sehen als wichtigstes Ziel, die Bürgergeld-Bezieher zur persönlichen Vorsprache zu zwingen, um die Arbeitsvermittlung voran zu bringen. Missbrauchsprävention spielt ebenfalls eine bedeutende Rolle – jeder zweite sieht dieses Ziel klar im Fokus. Den langfristigen Sprung in den Arbeitsmarkt erwarten allerdings deutlich weniger Mitarbeiter. Führungskräfte sind gerade in diesem Punkt noch skeptischer.

Einsparungen: Hoffnung oder Illusion?

Ein zentrales politisches Argument für strengere Sanktionen sind erwartete Einsparungen für den Bundeshaushalt. Die Praxis in den Jobcentern zeichnet jedoch ein differenziertes Bild:

  • Viele Beschäftigte schätzen das Einsparpotenzial durch harte Sanktionen zurückhaltend ein.
  • 42% glauben, dass eingesparte Gelder durch mehr Verwaltungs- und Rechtskosten (z.B. Klagen, Widersprüche) wieder aufgezehrt werden.
  • Führungskräfte äußern hier noch größere Zweifel: 60% glauben, dass unter dem Strich wenig gespart werden kann.

Vertrauen und Beratungsklima: Ein unterschätzter Nebeneffekt

Fast 30% der befragten Mitarbeiter in Beratung und Vermittlung sehen das Vertrauensverhältnis durch harte Sanktionen beeinträchtigt. Gerade in Beratungsgesprächen kann die Angst vor Leistungsentzug das Klima verschlechtern und damit Vermittlungserfolge erschweren. Das widerspricht, wie Expertinnen warnen, dem Geist der jüngsten Reform, die auf „Beratung auf Augenhöhe“ setzt.

Wissenschaftlicher Stand: Nur kurzfristig wirksam, mit Nebenwirkungen

Forschungen bestätigen: Schon die Ankündigung von Sanktionen kann Jobcenterkunden zu mehr Mitwirkung und Beschäftigungsaufnahme bewegen (Ex-ante-Effekt). Werden Einkommen tatsächlich gekürzt, nehmen kurzfristige Übergänge in Arbeit zu, allerdings oft in schlecht bezahlte oder unsichere Jobs. Ein klarer kausaler Beleg, dass schärfere Sanktionen langfristig effizienter sind, existiert derzeit nicht. Gleichzeitig sind die Nebenwirkungen für Betroffene gravierend – bis hin zu Wohnungslosigkeit oder psychischen Problemen.

Fazit: Bürgergeld Kürzungen – die Meinung der Jobcenter Mitarbeiter

Jobcenter-Mitarbeiter schätzen hohe Sanktionsmöglichkeiten als notwendigen Hebel für Verbindlichkeit und Kontrolle im Bürgergeldsystem – sind aber skeptisch, ob damit wirklich Einsparungen erzielt und gewünschte Arbeitsmarkteffekte erreicht werden. Entscheidend für erfolgreiche Vermittlung bleibt das gegenseitige Vertrauen. Die Neukalibrierung des Bürgergelds sollte daher auf einfache, klare Regeln setzen – und die soziale Balance zwischen Fördern und Fordern im Blick behalten.

Quelle

IAB-Forum

Redakteure

  • ik

    Sozialrechtsexperte und Redakteur

    Ingo Kosick ist ein renommierter Experte im Bereich des Sozialrechts in Deutschland. Er engagiert sich seit über 30 Jahren in diesem Feld und hat sich als führende Autorität etabliert. Als Vorsitzender des Vereins Für soziales Leben e.V., der 2005 in Lüdinghausen gegründet wurde, setzt er sich für die Unterstützung von Menschen ein, die von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen sind. Der Verein bietet über das Internet Informationen, Beratung und Unterstützung für sozial benachteiligte Menschen an. Ingo Kosick ist zudem ein zentraler Autor und Redakteur auf der Plattform buerger-geld.org, die sich auf Themen wie Bürgergeld, Sozialleistungen, Rente und Kindergrundsicherung spezialisiert hat. Seine Artikel bieten fundierte Analysen und rechtlich aufgearbeitete Informationen, die Menschen in schwierigen Lebenssituationen unterstützen sollen. Durch seine langjährige Erfahrung und sein Engagement hat Ingo Kosick maßgeblich dazu beigetragen, dass sozial benachteiligte Menschen in Deutschland besser informiert und unterstützt werden können.

    Alle Beiträge ansehen Ingo Kosick
  • Peter Kosick
    Experte:

    Jurist und Redakteur

    Peter Kosick hat an der Universität Münster Rechtswissenschaften studiert und beide juristische Staatsexamen in Nordrhein-Westfalen mit Erfolg abgelegt. Er arbeitet als freiberuflicher Jurist, ist Autor verschiedener Publikationen und hält Vorträge im Bereich Arbeits- und Sozialrecht. Seit mehr als 30 Jahren engagiert er sich im sozialen Bereich und ist seit der Gründung des Vereins "Für soziales Leben e.V." dort Mitglied. Peter Kosick arbeitet in der Online Redaktion des Vereins und ist der CvD. Seinen Artikeln sieht man an, dass sie sich auf ein fundiertes juristisches Fachwissen gründen. Peter hat ebenfalls ein Herz für die Natur, ist gern "draußen" und setzt sich für den Schutz der Umwelt ein. Seine Arbeit im Redaktionsteam von buerger-geld.org gibt ihm das Gefühl,  etwas Gutes für das Gemeinwohl zu tun.

    Alle Beiträge ansehen Peter Kosick

Hinweis zur Redaktion und zum Faktencheck
Die Redaktion von Bürger & Geld prüft sämtliche Artikel vor Veröffentlichung sorgfältig nach aktuellen gesetzlichen Grundlagen, offiziellen Statistiken und seriösen Quellen wie Bundesministerien, Sozialverbänden und wissenschaftlichen Studien. Unser Redaktionsteam besteht aus erfahrenen Fachautorinnen für Sozialpolitik, die alle Inhalte regelmäßig überarbeiten und aktualisieren. Jeder Text durchläuft einen strukturierten Faktencheck-Prozess sowie eine redaktionelle Qualitätssicherung, um höchste Genauigkeit und Transparenz zu gewährleisten. Bei allen wesentlichen Aussagen werden Primärquellen direkt im Fließtext verlinkt. Die Unabhängigkeit von Werbung und Drittinteressen sichert neutralen Journalismus – zum Schutz unserer Leserinnen und zur Förderung der öffentlichen Meinungsbildung.


Verantwortlich für die Inhalte auf dieser Seite: Redaktion des Vereins Für soziales Leben e. V. – Ihre Experten rund um Soziale Sicherheit und Altersvorsorge.