Was ist das IAB-Forum?
Das IAB-Forum ist das Online-Magazin des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit. Die Plattform veröffentlicht aktuelle Forschungsbeiträge und Analysen rund um Arbeitsmarkt, Sozialpolitik und Grundsicherung in Deutschland. Zielgruppe sind Politik, Verwaltung, Medien und die interessierte Öffentlichkeit. Das IAB ist wissenschaftlich unabhängig und gehört zu den wichtigsten Forschungsstellen im Bereich Sozialstaat in Deutschland.
Befragung: Was denken Beschäftigte in den Jobcentern?
Im Rahmen einer groß angelegten Erhebung wurden Anfang 2024 und 2025 jeweils über 3.000 Mitarbeiter in Jobcentern zu ihren Einstellungen und Erfahrungen mit Sanktionen im System Bürgergeld befragt. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie hoch Leistungsminderungen aus Sicht der Mitarbeitenden maximal sein sollten – und welche Effekte von harten Sanktionen erwartet werden.
Das Ergebnis:
- 55% der Befragten bevorzugen maximale Kürzungssätze, wie sie auch gesetzlich vorgesehen sind – also zwischen 10 und 30% pro Sanktionsstufe.
- 23% der Befragten sprechen sich für eine 100-prozentige Kürzung des Regelbedarfs bei gleichzeitiger Weiterzahlung der Miete aus, wie sie inzwischen nach dem Gesetz bei mehrfachen Pflichtverletzungen möglich ist.
- Weitere 10% möchten sogar auf die Wohnkosten ausdehnen, andere 10% würden eher mildere Kürzungen bevorzugen und 5% wünschen ganz den Verzicht auf Sanktionen.
Auffällig: Führungskräfte im Jobcenter bevorzugen mit etwas höherer Wahrscheinlichkeit moderatere Sanktionen als Mitarbeitende im direkten Bürgerkontakt.
100-Prozent-Kürzung beim Bürgergeld in der Praxis: Umsetzung und Realismus
Seit März 2024 ermöglicht das Gesetz in besonders schweren Fällen – zum Beispiel bei erneuter Arbeitsablehnung trotz vorheriger Sanktionen – die Vollkürzung (100%) des Regelbedarfs für bis zu 3 Monate. Die gesetzlichen und praktischen Hürden zur Umsetzung dieser schärfsten Sanktion sind jedoch hoch. Zwei Drittel der befragten Mitarbeiter halten die Voraussetzungen für die volle Kürzung für wenig realitätsnah, unter Führungskräften sind es sogar über 90%.
Kürzungen, vorläufige Zahlungseinstellung und Bürokratie
Neben Sanktionen gibt es das Mittel der vorläufigen Zahlungseinstellung: Bürgergeld wird zunächst gestoppt, falls Unterlagen oder Mitwirkung fehlen. Erst wenn der Sachverhalt geklärt wird, erfolgt eine Nachzahlung. 60% der Mitarbeitenden sehen in dieser Methode eine unbürokratische Alternative zu klassischen Sanktionen, da sie flexibler ist und weniger Verwaltungsaufwand erzeugt. Dieses Instrument kommt besonders oft bei Nichterreichbarkeit, verpassten Terminen oder unerlaubter Ortsabwesenheit zum Einsatz.
Ziele von Sanktionen: Kontrolle, Missbrauchsprävention und Arbeitsmarkteffekte?
Mit Sanktionen, insbesondere den neuen 100-Prozent-Kürzungen, möchte der Gesetzgeber Druck aufbauen und Arbeitssuchende aktivieren. Die meisten Jobcenter-Beschäftigten sehen als wichtigstes Ziel, die Bürgergeld-Bezieher zur persönlichen Vorsprache zu zwingen, um die Arbeitsvermittlung voran zu bringen. Missbrauchsprävention spielt ebenfalls eine bedeutende Rolle – jeder zweite sieht dieses Ziel klar im Fokus. Den langfristigen Sprung in den Arbeitsmarkt erwarten allerdings deutlich weniger Mitarbeiter. Führungskräfte sind gerade in diesem Punkt noch skeptischer.
Einsparungen: Hoffnung oder Illusion?
Ein zentrales politisches Argument für strengere Sanktionen sind erwartete Einsparungen für den Bundeshaushalt. Die Praxis in den Jobcentern zeichnet jedoch ein differenziertes Bild:
- Viele Beschäftigte schätzen das Einsparpotenzial durch harte Sanktionen zurückhaltend ein.
- 42% glauben, dass eingesparte Gelder durch mehr Verwaltungs- und Rechtskosten (z.B. Klagen, Widersprüche) wieder aufgezehrt werden.
- Führungskräfte äußern hier noch größere Zweifel: 60% glauben, dass unter dem Strich wenig gespart werden kann.
Vertrauen und Beratungsklima: Ein unterschätzter Nebeneffekt
Fast 30% der befragten Mitarbeiter in Beratung und Vermittlung sehen das Vertrauensverhältnis durch harte Sanktionen beeinträchtigt. Gerade in Beratungsgesprächen kann die Angst vor Leistungsentzug das Klima verschlechtern und damit Vermittlungserfolge erschweren. Das widerspricht, wie Expertinnen warnen, dem Geist der jüngsten Reform, die auf „Beratung auf Augenhöhe“ setzt.
Wissenschaftlicher Stand: Nur kurzfristig wirksam, mit Nebenwirkungen
Forschungen bestätigen: Schon die Ankündigung von Sanktionen kann Jobcenterkunden zu mehr Mitwirkung und Beschäftigungsaufnahme bewegen (Ex-ante-Effekt). Werden Einkommen tatsächlich gekürzt, nehmen kurzfristige Übergänge in Arbeit zu, allerdings oft in schlecht bezahlte oder unsichere Jobs. Ein klarer kausaler Beleg, dass schärfere Sanktionen langfristig effizienter sind, existiert derzeit nicht. Gleichzeitig sind die Nebenwirkungen für Betroffene gravierend – bis hin zu Wohnungslosigkeit oder psychischen Problemen.
Fazit: Bürgergeld Kürzungen – die Meinung der Jobcenter Mitarbeiter
Jobcenter-Mitarbeiter schätzen hohe Sanktionsmöglichkeiten als notwendigen Hebel für Verbindlichkeit und Kontrolle im Bürgergeldsystem – sind aber skeptisch, ob damit wirklich Einsparungen erzielt und gewünschte Arbeitsmarkteffekte erreicht werden. Entscheidend für erfolgreiche Vermittlung bleibt das gegenseitige Vertrauen. Die Neukalibrierung des Bürgergelds sollte daher auf einfache, klare Regeln setzen – und die soziale Balance zwischen Fördern und Fordern im Blick behalten.