Arbeit im Alter steuerfrei – das neue Konzept der Aktivrente
Die Bundesregierung hat am 15. Oktober 2025 den Gesetzentwurf zum Aktivrentengesetz beschlossen. Ziel ist es, Menschen im Rentenalter zu motivieren, freiwillig weiterzuarbeiten – und sie dafür steuerlich zu entlasten. Die Maßnahme soll dem Arbeitskräftemangel entgegenwirken, die Wirtschaft stärken und älteren Beschäftigten erlauben, von ihrer Tätigkeit stärker zu profitiert.
Der Kern des Gesetzes: Wer das gesetzliche Rentenalter erreicht hat, darf ab 1. Januar 2026 bis zu 2.000 Euro pro Monat steuerfrei hinzuverdienen, sofern er sozialversicherungspflichtig weiterarbeitet. Das neue Modell ist damit keine rentenrechtliche Reform, sondern eine steuerpolitische Anerkennung für Erwerbstätige im Ruhestand.
Hintergrund: Warum die Aktivrente eingeführt wird
Deutschland steht vor einer demografischen Zeitenwende. Millionen Babyboomer erreichen in den nächsten Jahren das Rentenalter. Gleichzeitig fehlen in vielen Branchen – etwa Pflege, Handwerk und Verwaltung – erfahrene Kräfte.
Laut Finanzminister Lars Klingbeil soll die Aktivrente ein „doppelter Gewinn“ sein:
„Wir brauchen die Erfahrung und Kompetenz älterer Menschen – und wir wollen, dass sich Weiterarbeiten lohnt“. bundesfinanzministerium.de
Das Gesetz verbindet somit Arbeitsmarktpolitik mit Steuerförderung. Durch den steuerfreien Zusatzverdienst sollen ältere Arbeitnehmer ihren Lebensstandard sichern, ohne dass der Staat sie durch zusätzliche Steuern oder Anrechnungen belastet.
Was ist die Aktivrente?
Die Aktivrente ist kein neuer Rententyp im Sinne des Sozialgesetzbuches, also keine neue Rente, sondern eine Steuerregelung im Einkommensteuerrecht. Sie wird als § 3 Nr. 21 EStG‑neu in das Einkommensteuergesetz eingefügt.
Kernprinzip:
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die das gesetzliche Rentenalter (Regelaltersgrenze) erreicht haben, können ihre Beschäftigung fortsetzen und bis zu 2.000 Euro monatlich – also bis zu 24.000 Euro im Jahr – steuerfrei verdienen.
Darüber hinausgehendes Einkommen wird regulär versteuert. Der steuerfreie Betrag wird direkt beim Lohnsteuerabzug berücksichtigt – das heißt, das zusätzliche Netto zeigt sich sofort in der Gehaltsabrechnung.
Die wichtigsten Eckpunkte des Aktivrentengesetzes
Laut Regierungsentwurf ist die Aktivrente klar abgegrenzt in Zielgruppe, Umfang und Wirkung. Hier die zentralen Bestimmungen:
1. Personenkreis
Die Aktivrente gilt nur für sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, die
- die Regelaltersgrenze (derzeit 67 Jahre, mit Übergangsregelung für Geburtsjahrgänge bis 1963) erreicht haben,
- weiterhin in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis stehen,
- und ggf. bereits eine Rente beziehen oder aufschieben.
Ausgenommen sind:
- Selbstständige und Freiberufler,
- Land- und Forstwirte,
- Minijobber (§ 8 SGB IV),
- Beamtinnen und Beamte,
- Personen ohne gesetzliche Sozialversicherungspflicht.
Diese Einschränkung ist umstritten, da Kritiker sie als Ungleichbehandlung ansehen. Das BMF begründet sie damit, dass die Aktivrente gezielt sozialversicherungspflichtige Beschäftigung fördern soll – also jene Arbeitnehmer, die weiterhin aktiv ins Beitrags- und Steueraufkommen einzahlen.
2. Steuerfreibetrag und Berechnung
Die Steuerbefreiung gilt für bis zu 2.000 Euro Bruttoeinkommen pro Monat aus abhängiger Beschäftigung.
Beispiel:
Eine Seniorin arbeitet nach Erreichen der Regelaltersgrenze 20 Stunden pro Woche für 2.500 Euro monatlich.
Davon sind 2.000 Euro steuerfrei, 500 Euro werden regulär versteuert.
Der steuerfreie Teil bleibt vom Progressionsvorbehalt ausgenommen – er erhöht also nicht den Steuersatz für das übrige Einkommen.
Damit unterscheidet sich die Aktivrente von vielen bisherigen Steuerermäßigungen, bei denen steuerfreie Beträge das Gesamteinkommen indirekt erhöhen konnten.
3. Sozialversicherungsbeiträge
Die Aktivrente ändert nicht die Sozialabgabenpflicht. Beschäftigte zahlen weiterhin die regulären Beiträge zur:
- Krankenversicherung,
- Pflegeversicherung.
Arbeitgeber leisten zudem ihre üblichen Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung. Das ist bewusst so geregelt – das Finanzministerium will die Finanzierung der Sozialversicherung nicht schwächen.haufe
Rentner profitieren aber indirekt, weil ihre zusätzlichen Lohnbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung auch ihre spätere Rente weiter leicht erhöhen können (wenn sie dem zustimmen).
4. Kombination mit bestehender Rente
Die Aktivrente ist unabhängig davon, ob jemand bereits eine Rente bezieht oder sie aufschiebt. Sie gilt also
- sowohl für aktive Rentnerinnen und Rentner, die parallel arbeiten,
- als auch für Personen, die weiterarbeiten, ohne die Rente zu beantragen.
In beiden Fällen ist die Steuerbegünstigung identisch. Es erfolgt keine Anrechnung auf die Altersrente.
Das heißt praktisch: Die Hinzuverdienstgrenze bleibt wie seit 2023 aufgehoben – die Aktivrente bringt aber erstmals eine zusätzliche steuerliche Entlastung.
5. Keine Änderungen beim Rentenrecht
Wichtig: Der Gesetzentwurf ändert nicht das Rentenrecht (SGB VI).
- Es gibt keine Anpassung des Rentenzuschlags von 0,5 % pro aufgeschobenem Monat.
- Die Flexi-Rente bleibt bestehen.
Das Aktivrentengesetz ist damit ausschließlich steuerrechtlich verortet – die gesetzlichen Rentenregeln bleiben unberührt.
6. Wirkung auf Lohnsteuer und Steuererklärung
Die Steuerfreiheit wird im Lohnsteuerverfahren automatisch berücksichtigt: Arbeitgeber tragen sie direkt ein. Betroffene Arbeitnehmer müssen den Freibetrag nicht gesondert beantragen.
- Keine Steuererklärung nötig, um ihn geltend zu machen.
- Der Freibetrag gilt monatlich, nicht rückwirkend.
- Wird er überschritten, greift regulär die Lohn- und Einkommensteuerpflicht.
Laut BMF profitieren insbesondere Personen mit moderaten Einkommen – also Beschäftigte zwischen 2.000 und 4.000 Euro brutto, deren Steuerlast dadurch deutlich sinkt.
7. Zeitplan und Inkrafttreten
- Oktober 2025: Kabinettsbeschluss.
- Ende 2025: Bundestagsdebatte und Bundesratsbefassung.
- Start: 1. Januar 2026.
Eine gesetzlich vorgesehene Evaluierung soll nach zwei Jahren erfolgen, um Wirkung auf Beschäftigung und Steueraufkommen zu prüfen.
8. Zielgruppen, die profitieren sollen
Die Aktivrente richtet sich vor allem an:
- Fachkräfte in Mangelberufen (Pflege, Handwerk, Logistik),
- Rentnerinnen und Rentner, die freiwillig länger aktiv bleiben wollen,
- Teilzeitbeschäftigte im Ruhestand mit regulären Arbeitsverträgen.
Nach Schätzungen der Bundesregierung könnten etwa 150.000 bis 170.000 Menschen im ersten Jahr von der Steuerbefreiung profitieren.
Beispiele zur Aktivrente
Beispiel 1: Beschäftige Rentnerin
Frau Klein, 67, arbeitet als Steuerfachangestellte weiter und verdient 1.800 Euro im Monat.
→ Ihr Einkommen liegt vollständig unterhalb des steuerfreien Aktivrentenrahmens.
→ Sie zahlt keine Einkommensteuer auf dieses Gehalt.
Nur Sozialabgaben bleiben (ca. 10–12 %, abhängig von Krankenkasse und Pflegeversicherung).
Beispiel 2: Lehrer im Ruhestand
Herr Baumann arbeitet nach seiner Pensionierung als angestellter Nachhilfelehrer.
Da er pensionierter Beamter ist, erhält er keine Steuerfreiheit nach Aktivrentengesetz.
→ Sein Einkommen unterliegt nach wie vor der regulären Einkommensteuer, da das Gesetz nur für sozialversicherungspflichtige Angestellte gilt.
Beispiel 3: Rentnerin mit Nebenjob
Frau Yilmaz bezieht Altersrente und arbeitet zusätzlich in Teilzeit für 2.500 Euro monatlich.
→ 2.000 Euro steuerfrei, 500 Euro steuerpflichtig.
→ Ihr Netto-Einkommen steigt um rund 200 bis 250 Euro pro Monat gegenüber bisheriger Steuerregelung.
Auswirkungen auf Wirtschaft und Staat
Das BMF geht von einem Steuerminderausfall von etwa 1,3 Milliarden Euro pro Jahr aus.
Die Maßnahme soll sich jedoch langfristig selbst finanzieren:
- Mehr ältere Beschäftigte bedeuten höhere Sozialbeiträge,
- geringeren Fachkräftemangel,
- und mehr Wachstumsimpulse – insbesondere in kleinen und mittleren Betrieben.
Die Aktivrente passt damit in das wirtschaftspolitische Gesamtkonzept der Bundesregierung, das unter anderem auch steuerfreie Überstundenregelungen und Teilzeitprämien prüfen will. Diese wurden jedoch – anders als zunächst geplant – nicht Teil des vorliegenden Gesetzes.
Kritik und offene Fragen
Wirtschaftsverbände loben die Initiative als „überfälliges Signal“ für den Arbeitsmarkt.
Gewerkschaften und Sozialverbände äußern dagegen Skepsis:
- Sie befürchten, die Regelung könne einseitig Besserverdienende oder Gesunde begünstigen.
- Geringverdienende Rentner in gesundheitlich belastenden Berufen hätten weiterhin kaum Chancen, von der Aktivrente zu profitieren.
- Zudem bleibe Pflegearbeit, Ehrenamt oder Selbstständigkeit unberücksichtigt.
Trotzdem sehen Ökonomen die Aktivrente als wichtige Weichenstellung, um Arbeitskräftepotenzial jenseits des Rentenalters langfristig zu nutzen.
Fazit: Aktive Rentner sollen steuerfrei profitieren
Die Aktivrente ist keine neue Rentenformel, sondern eine Steuerbefreiung für Arbeit im Ruhestand. Sie setzt auf Motivation statt Zwang: Wer freiwillig weiterarbeitet, darf sein Einkommen bis 2.000 Euro monatlich steuerfrei behalten – bei voller sozialer Absicherung.
Damit stärkt die Regierung Beschäftigung im Alter, ohne die Rentenkasse zu belasten.
Das Modell bleibt zielgerichtet: sozialversicherungspflichtige Rentnerinnen und Rentner, die aktiv bleiben, erhalten Ausgleich für ihre Leistung – steuerlich, nicht rentenrechtlich.
Ob die Aktivrente tatsächlich das Potenzial älterer Arbeitnehmer stärker hebt, hängt davon ab, wie viele Betriebe entsprechende Arbeitsmodelle anbieten. Die Evaluierung 2028 wird zeigen, ob dieser Schritt ausreicht oder nur der Auftakt einer breiteren Reform war.