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Signal für tausende Kranke: Gericht stärkt Rechte von Schwerbehinderten

Für viele Betroffene ist es ein Moment des Aufatmens: Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass der Schwerbehindertenausweis eines an Lymphdrüsenkrebs erkrankten Mannes nicht einfach aberkannt werden darf. Ein Urteil mit Signalwirkung für Tausende chronisch Kranke in Deutschland.

Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat am 10. Juni 2025 (Az. L 11 SB 24/23) zugunsten eines 66-jährigen Mannes entschieden, dem die Behörde den Grad der Behinderung von 50 auf 30 herabstufen wollte. Grund: angeblich verbesserter Gesundheitszustand.

Doch die Richter kamen zu einem klaren Ergebnis: Ohne schlüssige Nachweise darüber, dass sich der Gesundheitszustand wesentlich gebessert hat, darf kein GdB herabgesetzt werden. Die Beweislast liegt beim Amt.

Worum es im Fall ging

Der Kläger leidet seit Jahren an einem follikulären Non-Hodgkin-Lymphom – einer langsam verlaufenden, aber nicht heilbaren Krebsart. Trotz längerer Therapie zeigte sich keine vollständige Heilung.

Die Versorgungsverwaltung hatte den Grad der Behinderung 2023 mit der Begründung auf 30 reduziert, der Zustand habe sich gebessert. Der Betroffene wehrte sich, da er weiterhin regelmäßig in Behandlung war und erhebliche Nebenwirkungen trug.

Gericht stärkt Rechte chronisch Kranker

Das Landessozialgericht stellte klar, dass Behörden bei Änderungen des GdB handfeste Beweise vorlegen müssen. Dazu gehören aktuelle ärztliche Gutachten, Laborwerte und Therapieberichte.

Wie das Gericht urteilte, reicht es nicht, wenn Amtsärzte bloß eine allgemeine Stabilisierung feststellen. Entscheidend sei, ob sich die funktionellen Einschränkungen „wesentlich“ verringert hätten – was hier nicht nachgewiesen wurde.

Das Urteil hebt hervor: Der bestehende Schwerbehindertenstatus bleibt bestehen, solange keine eindeutigen Belege für eine deutliche Verbesserung vorliegen.

Bedeutung des Urteils für andere Betroffene

Für Menschen mit chronischen oder onkologischen Erkrankungen ist das Urteil ein starkes Signal. Es zeigt, dass Versorgungsämter nicht eigenmächtig handeln dürfen, wenn die Datenlage unklar ist.

Gerade bei Krebsformen wie Non-Hodgkin-Lymphomen oder Leukämien, die oft schubweise verlaufen, sind stabile Phasen kein Grund für eine Herabstufung.

Rechtsanwältin Anne Vogt, spezialisiert auf Sozialrecht, erklärte gegenüber Bürger & Geld, das Urteil habe „präventiven Charakter“. Behörden müssten künftig genau prüfen, „ob die medizinischen Grundlagen für GdB-Änderungen wirklich tragfähig sind“.

Das sagen Sozialverbände

Sozialverbände wie der VdK und der Paritätische begrüßten die Entscheidung. Die Vorsitzende des Sozialverbands Deutschland (SoVD) betonte, es sei ein „deutliches Zeichen gegen bürokratische Willkür“.

Laut SoVD zeige das Urteil, dass Krebspatienten Anspruch auf einen fairen Umgang mit ihren Unterlagen hätten – auch Jahre nach der Erstbewilligung.

Fachliche Einordnung: Wann darf der GdB gesenkt werden?

Eine Herabstufung ist nur möglich, wenn:

  • sich der Gesundheitszustand dauerhaft verbessert und
  • diese Verbesserung durch schulmedizinische Befunde bestätigt wird.

Die folgende Tabelle zeigt, wie sich GdB-Stufen auf Rechte und Nachteilsausgleiche auswirken:

Grad der BehinderungStatusTypische Nachteilsausgleiche
20–40Gleichgestellt ohne Ausweisvereinzelte Erleichterungen, aber kein besonderer Kündigungsschutz
50–70Schwerbehinderterhöhter Kündigungsschutz, Zusatzurlaub, Steuerfreibeträge
ab 80Schwerbehindert mit erheblicher Einschränkungzusätzliche Mobilitäts- und Nachteilsausgleiche

Beispielhafte Auswirkungen

Bleibt der GdB bei 50, behält der Kläger wichtige Rechte: Sonderurlaub, Schutz im Arbeitsleben, steuerliche Entlastungen und bevorzugte Vermittlung durch die Agentur für Arbeit.

Ein Verlust dieser Einstufung hätte bedeutet: kein Schwerbehindertenstatus, keine besonderen Rechte im Rentenrecht und keine Steuervergünstigungen mehr.

Stimmen aus der Medizin

Onkologin Dr. Marita Lenz aus Berlin erklärte gegenüber Bürger & Geld, dass Lymphome zwar oft lange stabil bleiben, eine Heilung jedoch selten sei. „Die Herabstufung wäre medizinisch riskant, da sie die tatsächliche Belastung des Patienten unterschätzt“, so Lenz.

Fazit

Das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg stärkt den Rechtsschutz für Schwerbehinderte deutlich. Der Fall macht klar: Behörden dürfen nur dann den GdB kürzen, wenn medizinische Fakten zweifelsfrei eine dauerhafte Verbesserung belegen.

Für viele Krebspatientinnen und -patienten ist dies ein gemeinsames Signal: Der Schwerbehindertenausweis bleibt ein Schutzschild – kein Privileg.

FAQ zum Urteil und zum Grad der Behinderung

Was ist der Grad der Behinderung (GdB)?

Der GdB misst die Auswirkungen einer gesundheitlichen Beeinträchtigung auf das tägliche Leben. Er wird zwischen 20 und 100 festgelegt.

Wann darf eine Behörde den GdB ändern?

Nur, wenn sich der Gesundheitszustand wesentlich verbessert oder verschlechtert und entsprechende ärztliche Nachweise vorliegen.

Was kann ich tun, wenn mein GdB herabgestuft werden soll?

Betroffene sollten Widerspruch einlegen und ärztliche Gutachten oder Therapieberichte beifügen. Sozialverbände bieten kostenlose Unterstützung.

Wie lange gilt ein Schwerbehindertenausweis?

Er gilt in der Regel unbegrenzt, es sei denn, er ist zeitlich befristet oder der Gesundheitszustand ändert sich erheblich.

Redakteure

  • Peter Kosick

    Jurist und Redakteur

    Peter Kosick hat an der Universität Münster Rechtswissenschaften studiert und beide juristische Staatsexamen in Nordrhein-Westfalen mit Erfolg abgelegt. Er arbeitet als freiberuflicher Jurist, ist Autor verschiedener Publikationen und hält Vorträge im Bereich Arbeits- und Sozialrecht. Seit mehr als 30 Jahren engagiert er sich im sozialen Bereich und ist seit der Gründung des Vereins "Für soziales Leben e.V." dort Mitglied. Peter Kosick arbeitet in der Online Redaktion des Vereins und ist der CvD. Seinen Artikeln sieht man an, dass sie sich auf ein fundiertes juristisches Fachwissen gründen.

    Peter hat ebenfalls ein Herz für die Natur, ist gern "draußen" und setzt sich für den Schutz der Umwelt ein.

    Seine Arbeit im Redaktionsteam von buerger-geld.org gibt ihm das Gefühl,  etwas Gutes für das Gemeinwohl zu tun.

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  • ik
    Experte:

    Sozialrechtsexperte und Redakteur

    Ingo Kosick ist ein renommierter Experte im Bereich des Sozialrechts in Deutschland. Er engagiert sich seit über 30 Jahren in diesem Feld und hat sich als führende Autorität etabliert. Als Vorsitzender des Vereins Für soziales Leben e.V., der 2005 in Lüdinghausen gegründet wurde, setzt er sich für die Unterstützung von Menschen ein, die von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen sind. Der Verein bietet über das Internet Informationen, Beratung und Unterstützung für sozial benachteiligte Menschen an.

    Ingo Kosick ist zudem ein zentraler Autor und Redakteur auf der Plattform buerger-geld.org, die sich auf Themen wie Bürgergeld, Sozialleistungen, Rente und Kindergrundsicherung spezialisiert hat. Seine Artikel bieten fundierte Analysen und rechtlich aufgearbeitete Informationen, die Menschen in schwierigen Lebenssituationen unterstützen sollen.

    Durch seine langjährige Erfahrung und sein Engagement hat Ingo Kosick maßgeblich dazu beigetragen, dass sozial benachteiligte Menschen in Deutschland besser informiert und unterstützt werden können.

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