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Mietschulden bei Bürgergeld / Grundsicherung: Wann das Jobcenter die Rückstände übernehmen muss

Beim Bürgergeld kann das Jobcenter Mietschulden grundsätzlich als Darlehen übernehmen, wenn dadurch Wohnungslosigkeit verhindert oder eine vergleichbare Notlage beseitigt wird – in bestimmten Konstellationen besteht nach aktueller Rechtsprechung sogar ein direkter Anspruch gegen das Jobcenters. Dessen Ermessensausübung kann auf Null reduziert sein. Die Hilfe wird nur darlehensweise gewährt und anschließend über Aufrechnung mit dem Bürgergeld zurückgezahlt. Alle Einzelheiten zur Übernahme von Mietschulden durch das Jobcenter im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende hier auf Bürger & Geld, dem Nachrichtenmagazin des Vereins Für soziales Leben e.V.!

Gesetzliche Grundlage zur Übernahme von Mietschulden durch das Jobcenter

Rechtsgrundlage für die Übernahme von Mietschulden beim Bürgergeld, der Grundsicherung für Arbeitsuchende, ist § 22 Abs. 8 SGB II (Hilfen zur Sicherung der Unterkunft). Danach können Schulden übernommen werden, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist; sie sollen übernommen werden, wenn ansonsten Wohnungslosigkeit droht.
Die Hilfe erfolgt regelmäßig als Darlehen nach § 42a SGB II, das später durch monatliche Einbehalte vom Bürgergeld zurückgezahlt wird.

Wann das Jobcenter bei Mietschulden zahlen muss

Das Jobcenter muss prüfen, ob durch die Übernahme der Mietrückstände die Wohnung voraussichtlich erhalten werden kann (positive Prognose). In der Praxis werden Mietschulden übernommen, wenn bereits eine fristlose Kündigung oder Räumungsklage droht und das Mietverhältnis durch Ausgleich der Rückstände fortgesetzt werden kann.
Keine Übernahme erfolgt typischerweise, wenn die Wohnung ohnehin als dauerhaft untragbar (z.B. dauerhaft unangemessen teuer) eingeschätzt wird oder wenn trotz Zahlung der Rückstände mit weiteren Schulden zu rechnen ist und keine Stabilisierung erkennbar ist.

Darlehen oder Zuschuss?

Nach der klaren Linie von Verwaltungspraxis und Kommentarliteratur werden Mietschulden im SGB-II-Bereich im Regelfall als Darlehen gewährt, nicht als Zuschuss. Zuschüsse kommen nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht, etwa wenn keine Rückzahlungsfähigkeit besteht und besondere Härten vorliegen (z.B. bei SGB XII), während beim Bürgergeld fast ausschließlich Darlehen eingesetzt werden.
Die Rückzahlung wird per Aufrechnung geregelt; die BA-Weisungen zu § 42a SGB II definieren, wie hoch der monatliche Einbehalt sein darf, um das Existenzminimum zu sichern.​

Voraussetzungen für die Übernahme der Mietschulden im Überblick

Voraussetzungen für eine Übernahme von Mietschulden beim Bürgergeld sind:

  • Bezug von Bürgergeld bzw. Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II.
  • Tatsächliche Mietschulden für eine bewohnte Wohnung, die grundsätzlich angemessen ist.
  • Konkrete Gefährdung der Unterkunft (Kündigung, Räumungsklage, Sperrandrohung, ernsthafte Mahnungen).
  • Positive Prognose, dass mit der Hilfe die Wohnung gehalten und laufende Miete künftig gezahlt werden kann.

Daneben müssen die allgemeinen Voraussetzungen der „Gerechtfertigt- und Notwendigkeit“ erfüllt sein; das Jobcenter hat dabei einen Beurteilungsspielraum, der aber durch aktuelle Urteile deutlich begrenzt wurde. Persönliche Gründe wie Krankheit oder Suchterkrankung dürfen nicht pauschal gegen den Leistungsberechtigten gewertet werden, wenn sie die Schulden mitverursacht haben.

Wichtige Urteile des Bundessozialgerichts

Das Bundessozialgericht (BSG) hat mit Urteil vom 13.07.2022 (Az. B 7/14 AS 52/21 R) die Anforderungen an die Übernahme von Mietschulden konkretisiert. In dem Verfahren ging es um die Frage, ob das Jobcenter Mietschulden als Darlehen übernehmen muss.

Zentrale Aussagen des BSG:

  • Mietschulden sind grundsätzlich als Darlehen zu übernehmen, wenn die Voraussetzungen des § 22 Abs. 8 SGB II erfüllt sind.
  • Eine drohende Wohnungslosigkeit ist keine zwingende Voraussetzung; entscheidend ist die Sicherung der Unterkunft.
  • Ein gesonderter, förmlicher Darlehensantrag ist nicht erforderlich; es genügt, wenn das Jobcenter von der Notlage (Mietrückstand, Kündigungsandrohung) weiß und vor einem Privatdarlehen entscheidungsfähig gewesen wäre.

Weitere BSG-Entscheidungen betonen die Abgrenzung von laufenden Unterkunftskosten zu Schulden und die Pflicht, das Ermessen fehlerfrei auszuüben; wird das Ermessen nicht richtig genutzt, kann sich daraus eine Verpflichtung zur Darlehensgewährung ergeben.

Aktuelle Rechtsprechung der Landessozialgerichte

Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat 2025 im Eilverfahren entschieden, dass das Jobcenter krankheitsbedingte Mietschulden als Darlehen übernehmen muss, wenn Wohnungslosigkeit droht und die Wohnung voraussichtlich gehalten werden kann (Beschluss L 1 AS 863/25 B ER). Das Gericht hob hervor, dass der Schutz vor Wohnungslosigkeit die fiskalischen Interessen des Jobcenters überwiegt, wenn eine realistische Stabilisierung der Situation erkennbar ist.
Zudem lehnt das Gericht starre Obergrenzen bei Mietschulden-Darlehen ab; § 22 Abs. 8 SGB II enthalte keine feste Höchstsumme, weshalb immer der Einzelfall (Höhe der Schulden, familiäre Situation, Bedeutung der Wohnung) maßgeblich ist.​

Typische Fehler der Jobcenter, wenn es um Mietschulden geht

In der Praxis kommt es häufig zu rechtswidrigen Ablehnungen, etwa weil Jobcenter:

  • vorschnell „Eigenverschulden“ annehmen und psychische oder gesundheitliche Ursachen nicht berücksichtigen,
  • fälschlich davon ausgehen, dass ein privates Darlehen den Anspruch entfallen lässt, oder
  • die Ermessensausübung nicht dokumentieren und pauschal ablehnen.

Die Gerichte stellen klar, dass private Hilfe den Anspruch nicht automatisch beseitigt, wenn das Jobcenter rechtzeitig hätte reagieren können. Fehlerhafte Ermessensentscheidungen führen dazu, dass Gerichte das Jobcenter zur Darlehensgewährung verpflichten.

So stellen Betroffene den Antrag auf Übernahme der Mietschulden

Auch wenn formal kein besonderer Antrag nötig ist, sollten Betroffene schriftlich beantragen, dass das Jobcenter nach § 22 Abs. 8 SGB II Mietschulden als Darlehen übernimmt, um Wohnungslosigkeit zu verhindern. Dem Schreiben sollten Nachweise wie Kündigungsandrohung, Räumungsklage, Mietkontoauszug und ggf. ärztliche Unterlagen beigefügt werden, um die Notlage zu dokumentieren.
Viele Kommunen bieten eigene Formulare oder Online-Anträge für die Übernahme von Mietrückständen an; die Hilfe wird meist direkt an den Vermieter gezahlt, teils verbunden mit einer Direktüberweisung der laufenden Miete durch das Jobcenter.

Fazit: Praxis-Tipps für Bürgergeld-Beziehende bei Mietschulden

Für Bürgergeld-Beziehende mit Mietschulden lassen sich folgende Kernpunkte festhalten:

  • Früh handeln: Sobald erste Mahnungen oder Kündigungsandrohungen eingehen, das Jobcenter schriftlich informieren und Unterlagen einreichen.
  • Darlehensrückzahlungen einkalkulieren: In der Regel zahlt das Jobcenter nur als Darlehen, das später vom Bürgergeld einbehalten wird.
  • Auf Urteile hinweisen: Auf das BSG-Urteil B 7/14 AS 52/21 R und andere Gerichtsurteile hinweisen, wenn das Jobcenter die Notlage oder seine Pflicht zur Darlehensgewährung bestreitet.

Wer eine Ablehnung vom Jobcenter erhält, dieses als die Mietschulden nicht übernehmen will, muss fristgerecht Widerspruch einlegen und bei akut drohender Wohnungslosigkeit ein Eilverfahren beim Sozialgericht durchführen.

Redakteure

  • ik

    Sozialrechtsexperte und Redakteur

    Ingo Kosick ist ein renommierter Experte im Bereich des Sozialrechts in Deutschland. Er engagiert sich seit über 30 Jahren in diesem Feld und hat sich als führende Autorität etabliert. Als Vorsitzender des Vereins "Für soziales Leben e.V.", der 2005 in Lüdinghausen gegründet wurde, setzt er sich für die Unterstützung von Menschen ein, die von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen sind. Der Verein bietet über das Internet Informationen, Beratung und Unterstützung für sozial benachteiligte Menschen an.

    Ingo Kosick ist zudem Autor und Redakteur beim Nachrichtenmagazin Bürger & Geld, das der Verein "Für soziales Leben e.V." herausgibt. Ingo hat sich auf Themen wie Bürgergeld, Sozialleistungen, Rente und Kindergrundsicherung spezialisiert. Seine Artikel bieten fundierte Analysen und rechtlich aufgearbeitete Informationen, die Menschen in schwierigen Lebenssituationen unterstützen sollen.

    Durch seine langjährige Erfahrung und sein Engagement hat Ingo Kosick maßgeblich dazu beigetragen, dass sozial benachteiligte Menschen in Deutschland besser informiert und unterstützt werden können.

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  • Peter Kosick
    Experte:

    Jurist und Redakteur

    Peter Kosick hat an der Universität Münster Rechtswissenschaften studiert und beide juristische Staatsexamen in Nordrhein-Westfalen mit Erfolg abgelegt. Er arbeitet als freiberuflicher Jurist, ist Autor verschiedener Publikationen und hält Vorträge im Bereich Arbeits- und Sozialrecht. Seit mehr als 30 Jahren engagiert er sich im sozialen Bereich und ist seit der Gründung des Vereins "Für soziales Leben e.V." dort Mitglied. Peter Kosick arbeitet in der Online Redaktion des Nachrichtenmagazins Bürger & Geld, das der Verein herausgibt und ist der CvD. Seinen Artikeln sieht man an, dass sie sich auf ein fundiertes juristisches Fachwissen gründen.

    Peter hat ebenfalls ein Herz für die Natur, ist gern "draußen" und setzt sich für den Schutz der Umwelt ein.

    Seine Arbeit im Redaktionsteam von Bürger & Geld gibt ihm das Gefühl,  etwas Gutes für das Gemeinwohl zu tun.

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