Was das Kabinett beschlossen hat
Die Reform soll aus dem bisherigen Bürgergeld eine „neue Grundsicherung“ machen, die stärker auf Pflichtenerfüllung und schnelle Arbeitsaufnahme setzt. Im Zentrum stehen verschärfte Sanktionen, strengere Mitwirkungspflichten sowie eine straffere Prüfung von Vermögen und Wohnkosten, während an den Grundstrukturen des Systems festgehalten wird.
Der Gesetzentwurf wurde auf Drängen der Union kurz vor der Kabinettsbefassung noch einmal nachgeschärft, insbesondere bei Sanktionen und Kontrollmechanismen. Genau dieses Nachverhandeln in letzter Minute kritisieren Teile der SPD-Fraktion als unausgewogen und sozialpolitisch riskant.
Kritik aus der SPD – vor allem am Vorgehen
Annika Klose, zuständige Berichterstatterin der SPD-Bundestagsfraktion für das Thema Bürgergeld, bezeichnet das Vorgehen rund um die Reform als „wirklich sehr schwierig“. Hintergrund ist, dass der Entwurf sowohl in der internen Frühabstimmung als auch unmittelbar vor der Kabinettsentscheidung erneut verschärft wurde, ohne dass die sozialpolitischen Bedenken umfassend berücksichtigt worden seien.
Innerhalb der SPD gibt es die Sorge, dass der Kurswechsel – weg von „Fördern und Absichern“, hin zu stärkerem „Fordern und Sanktionieren“ – das Vertrauen vieler Leistungsbeziehender untergraben könnte. Kritisiert wird zudem, dass komplexe Fälle, etwa bei psychischen Erkrankungen oder Mehrfachbelastungen, in einem stark sanktionsorientierten System leichter durchs Raster fallen.
Psychisch Erkrankte und andere Härtefälle
Im Mittelpunkt der Kritik steht der Umgang mit Menschen, die wegen Krankheit, Behinderung oder psychischen Belastungen nicht oder nur eingeschränkt arbeitsfähig sind. Für diese Gruppe fordert Klose „hohe Schützhürden“, also klare, rechtssichere Schutzmechanismen, bevor Leistungen gekürzt oder ganz entzogen werden dürfen.
Härtefälle sollen nach Vorstellung der SPD-Sozialpolitikerin nicht durch starre Sanktionslogiken erfasst werden, sondern über individuelle Prüfungen, medizinische Gutachten und enge Zusammenarbeit mit Fachstellen abgesichert werden. Dazu gehören etwa längere Fristen, niedrigere Kürzungssätze oder vollständiger Sanktionsschutz bei nachgewiesener gesundheitlicher Einschränkung.
Sanktionen und Mitwirkungspflichten im Entwurf
Der Gesetzentwurf sieht vor, Sanktionen bei Pflichtverletzungen – etwa Nichterscheinen zu Terminen, Ablehnung zumutbarer Arbeit oder fehlende Mitwirkung – spürbar zu verschärfen. Im Raum stehen höhere Kürzungsquoten und längere Sanktionszeiträume, die im Extremfall sogar einen vollständigen Wegfall des Regelbedarfs ermöglichen könnten.
Sozialverbände wie Für soziales Leben e.V., und Teile der SPD warnen, dass solche Vollsanktionen verfassungsrechtlich heikel sein könnten, weil sie das Existenzminimum antasten. Besonders problematisch sei dies bei Personen, deren mangelnde Mitwirkung mit psychischen Erkrankungen, Suchtproblemen oder instabilen Lebensverhältnissen zusammenhängt.
Was Klose im Parlament ändern will
Annika Klose kündigt an, den Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren „noch einmal anfassen“ zu wollen – also gezielt Änderungen zu erarbeiten. Im Fokus dürften dabei klare Härtefallregeln, abgesenkte Sanktionsstufen für besonders vulnerable Gruppen und eine präzisere Definition von Zumutbarkeit und Mitwirkungspflichten stehen.
Ziel der SPD-Sozialpolitiker ist es, einerseits die von der Koalition angestrebte höhere Verbindlichkeit im System abzubilden, andererseits jedoch Fehlsteuerungen zu verhindern, bei denen Menschen in Notlagen durch Sanktionen zusätzlich destabilisiert werden. Erwartet wird, dass insbesondere im Arbeits- und Sozialausschuss des Bundestags noch um Nachbesserungen gerungen wird.
Was das für Betroffene bedeutet
Für Bürgergeld- bzw. künftige Grundsicherungsbeziehende bleibt vorerst alles beim Alten, solange das parlamentarische Verfahren läuft und das Gesetz noch nicht in Kraft getreten ist. Änderungen an Sanktionen und Vermögensregeln greifen erst mit dem Starttermin der neuen Grundsicherung, der für Mitte 2026 vorgesehen ist.
Betroffene mit gesundheitlichen Einschränkungen, insbesondere psychischen Erkrankungen, sollten jede ärztliche Diagnose und Therapie möglichst gut dokumentieren, um im Zweifel einen Härtefallstatus belegen zu können. Beratungsstellen, Sozialverbände und Anwälte für Sozialrecht rechnen damit, dass nach der Reform vermehrt Widersprüche und Klagen zu Sanktionen nötig sein könnten.


