Das Landessozialgericht Berlin‑Brandenburg hatte im Eilverfahren zu klären, ob ein Jobcenter Mietschulden übernehmen muss, wenn diese wegen einer psychischen bzw. seelischen Erkrankung entstanden sind. Konkret ging es um die Anwendung von § 22 Abs. 8 SGB II, der die darlehensweise Übernahme von Mietschulden vorsieht, um Wohnungslosigkeit zu verhindern.
Der Fall: Mietschulden wegen seelischer Erkrankung
Die betroffene Person bezog Bürgergeld (Grundsicherung für Arbeitsuchende) und war aufgrund einer psychischen/seelischen Erkrankung längere Zeit nicht in der Lage, ihre Miete zuverlässig zu überweisen. Es entstanden erhebliche Mietrückstände, Vermieter-mahnungen und eine akute Kündigungs- bzw. Räumungsgefahr. Das Jobcenter lehnte die Übernahme der Mietschulden ab bzw. zögerte, obwohl der Verlust der Wohnung drohte.
Daraufhin stellte die Betroffene über ihre Vertretung einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht und später im Beschwerdeverfahren beim LSG Berlin‑Brandenburg. Ziel war eine schnelle, vorläufige Entscheidung über die Übernahme der Mietschulden, um die Kündigung und Wohnungslosigkeit noch rechtzeitig zu stoppen.
Rechtsgrundlage: § 22 Abs. 8 SGB II und Eilverfahren
Nach § 22 Abs. 8 SGB II können Mietschulden übernommen werden, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage erforderlich ist. Die Leistung „soll“ in der Regel als Darlehen gewährt werden, wenn sonst Wohnungslosigkeit droht und die Unterkunft voraussichtlich erhalten bleibt.
Im Eilverfahren nach § 86b Abs. 2 SGG prüft das Gericht summarisch die Erfolgsaussichten und führt eine Folgenabwägung durch. Maßgeblich ist, welche irreversiblen Nachteile eintreten würden, wenn das Gericht nicht rechtzeitig eine vorläufige Regelung trifft – im Mietschuldenfall also der Verlust der Wohnung und mögliche Obdachlosigkeit.
Kernaussagen des Beschlusses L 1 AS 863/25 B ER
Das LSG stellt klar, dass krankheitsbedingte Mietschulden besonders schutzwürdig sind, weil sie nicht auf bloßer Verantwortungslosigkeit oder „Unwillen“ beruhen. Eine psychische oder seelische Erkrankung kann die Fähigkeit, Post zu bearbeiten, Überweisungen zu tätigen oder Fristen einzuhalten, massiv einschränken – genau das muss das Jobcenter im Rahmen des § 22 Abs. 8 SGB II berücksichtigen.
Nach Auffassung des Gerichts überwiegt der Schutz vor Wohnungslosigkeit die fiskalischen Interessen des Jobcenters deutlich, wenn eine realistische Chance besteht, dass die Wohnung nach Übernahme der Schulden dauerhaft gehalten werden kann. Diese positive Zukunftsprognose stützte das Gericht etwa auf laufende Behandlung, Stabilisierung der Lebenssituation und die Möglichkeit, die laufende Miete künftig (wieder) sicherzustellen.
Darlehen statt Zuschuss – aber klare Pflicht zur Hilfe
Die Übernahme der Mietschulden erfolgt – wie vom Gesetz vorgesehen – in der Regel als Darlehen, nicht als Zuschuss. Das Gericht sieht darin einen angemessenen Ausgleich: Die öffentliche Hand schützt die Unterkunft, ohne die Schulden „zu verschenken“, während die Rückzahlung flexibel geregelt werden kann.
Wichtig: Das LSG lehnt pauschale, starre Obergrenzen für Mietschulden-Darlehen ab und folgt damit der Linie anderer Landessozialgerichte, wonach § 22 Abs. 8 SGB II keine feste Höchstsumme normiert. Entscheidend ist stets der Einzelfall: Höhe der Schulden, Bedeutung der Wohnung, familiäre Situation und tatsächliche Chancen, die Unterkunft langfristig zu halten.
Was heißt das für Bürgergeld-Empfänger mit Mietschulden?
Das Urteil stärkt die Rechtsposition von Bürgergeld-Beziehenden, die wegen psychischer Erkrankungen in Mietrückstand geraten sind. Jobcenter können sich nicht pauschal auf „eigene Schuld“ berufen, wenn ärztliche Unterlagen oder Therapie-Nachweise belegen, dass die Erkrankung maßgebliche Ursache der Zahlungsprobleme war.
Klar ist: Droht eine Kündigung oder bereits eine Räumungsklage, muss das Jobcenter ernsthaft prüfen, ob eine darlehensweise Übernahme der Mietschulden nötig ist, um Wohnungslosigkeit zu verhindern. Wird die Übernahme abgelehnt, ist der Weg ins Eilverfahren beim Sozialgericht eröffnet, wobei der Beschluss des LSG Berlin‑Brandenburg (L 1 AS 863/25 B ER) ein starkes Argument darstellt.
Checkliste: Welche Unterlagen solltest du sammeln?
- Mietvertrag, Mahnungen, Kündigungsandrohung, ggf. Räumungsklage oder Zwangsräumungstermin.
- Kontoauszüge mit erkennbaren Mietrückständen und Zeitraum der Nichtzahlung.
- Ärztliche Atteste, Facharztberichte, Klinikberichte oder Therapie-Bescheinigungen, die eine psychische/seelische Erkrankung und deren Auswirkungen auf dein Alltags- und Zahlungsverhalten belegen.
- Schriftliche Kommunikation mit dem Jobcenter (Antrag, Ablehnung, Rückfragen).
Je besser die Unterlagen belegen, dass die Mietschulden krankheitsbedingt und nicht vorsätzlich entstanden sind, desto höher sind die Chancen, dass das Jobcenter nach § 22 Abs. 8 SGB II tätig werden muss.
So stellst du den Antrag beim Jobcenter
- Schriftlichen Antrag formulieren: Klar beantragen, dass das Jobcenter nach § 22 Abs. 8 SGB II die bestehenden Mietschulden als Darlehen übernimmt, um Wohnungslosigkeit zu verhindern.
- Dringlichkeit begründen: Auf Kündigung, Räumungsandrohung oder Fristen des Vermieters hinweisen und diese Unterlagen in Kopie beifügen.
- Erkrankung darlegen: Kurz und sachlich erklären, dass die Mietrückstände krankheitsbedingt entstanden sind, und ärztliche Unterlagen mitschicken.
- Zukunftsprognose schildern: Aufzeigen, wie die laufende Miete künftig gesichert werden soll (z. B. Direktzahlung an Vermieter, Betreuungsangebote, rechtliche Betreuung, Budget- oder Schuldnerberatung).
Wichtig ist, Fristen des Vermieters und Gerichtstermine im Blick zu behalten und im Antrag ausdrücklich auf die Eilbedürftigkeit hinzuweisen.
Wenn das Jobcenter ablehnt: Eilverfahren nutzen
Lehnt das Jobcenter den Antrag ganz oder teilweise ab oder reagiert es nicht rechtzeitig, kann beim zuständigen Sozialgericht ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nach § 86b Abs. 2 SGG gestellt werden. In der Begründung sollte ausdrücklich auf § 22 Abs. 8 SGB II, die drohende Wohnungslosigkeit und den Beschluss des LSG Berlin‑Brandenburg vom 12.09.2025 – L 1 AS 863/25 B ER verwiesen werden.
Im Gerichtsverfahren prüft das Gericht nur summarisch, also vereinfacht, aber die existenzielle Gefahr des Wohnungsverlustes wiegt sehr schwer. Oft entscheidet das Gericht, dass das Jobcenter die Mietschulden vorläufig darlehensweise übernehmen muss, bis im Hauptsacheverfahren eine endgültige Klärung erfolgt.
FAQ zum Urteil L 1 AS 863/25 B ER
Ab welcher Höhe müssen Mietschulden übernommen werden?
Das Urteil nennt keine feste Summe; § 22 Abs. 8 SGB II enthält ebenfalls keine starre Obergrenze. Entscheidend sind die Gesamtumstände: ob dadurch die Unterkunft gesichert werden kann und ob die Übernahme wirtschaftlich vertretbar ist.
Muss das Jobcenter immer zahlen, wenn jemand psychisch krank ist?
Nein, aber psychische oder seelische Erkrankungen müssen ernsthaft geprüft werden und dürfen nicht ignoriert werden. Besteht eine realistische Chance, dass die Wohnung bei Übernahme der Schulden gehalten wird und die laufende Miete gesichert ist, steigen die Chancen auf ein Darlehen erheblich.
Kann das Jobcenter verlangen, dass die Miete direkt an den Vermieter gezahlt wird?
Ja, das Jobcenter kann zur Sicherung der Unterkunft die Direktzahlung an den Vermieter anordnen oder mit dir vereinbaren. Das Gericht sieht solche Sicherungsmaßnahmen als zulässiges Mittel an, um Missverständnisse oder erneute Zahlungsprobleme zu vermeiden.
Was ist, wenn die Räumung schon terminiert ist?
Das Problem: Räumung kann nur terminiert werden, wenn das Räumungsurteil schon rechtskräftig ist. Dann dürften Zahlungen auf die offene Miete nicht mehr helfen.
Zusammenfassung des Urteils
Das Jobcenter muss krankheitsbedingte Mietschulden im Eilverfahren übernehmen (L 1 AS 863/25 B ER)!


