Merz’ Forderung: Härtere Sanktionen und Leistungsentzug
Bundeskanzler Friedrich Merz und die CDU/CSU wollen Bürgergeld – Bezieher, die mehrfach Arbeitsangebote ablehnen oder ihren Mitwirkungspflichten nicht nachkommen, strenger sanktionieren. Das zentrale Ziel: Mehr Druck auf sogenannte „Totalverweigerer“. Neben schnelleren, unbürokratischen Sanktionen wird im Koalitionsvertrag explizit ein vollständiger Leistungsentzug gefordert – also die Streichung des gesamten Bürgergeld-Regelsatzes, teilweise sogar für mehrere Monate.
Die Regierung verspricht sich davon mehr Anreiz für Arbeitsaufnahme sowie Millionen-Einsparungen im Bundeshaushalt. Fachleute und wissenschaftliche Studien bezweifeln jedoch, dass strengere Sanktionen die gewünschte Wirkung erzielen. Gerade die Gruppe der „Totalverweigerer“ macht laut Bundesagentur für Arbeit nur wenige Prozent aller Leistungsempfänger aus.
Verfassungsrechtliche Grenzen: Urteil des Bundesverfassungsgerichts (2019)
Bereits 2019 urteilte das Bundesverfassungsgericht eindeutig: Kürzungen von mehr als 30% des Regelsatzes sind mit dem Grundgesetz und dem Gebot auf ein menschenwürdiges Existenzminimum nicht vereinbar. Ein vollständiger oder monatelanger Leistungsentzug – wie von Merz gefordert – führt zu existenzbedrohenden Zuständen, dem Verlust von Wohnung und Krankenversicherung und verletzt zentrale Grundrechte.
Kernpunkte des Urteils:
- Sanktionen maximal bis zu 30% des Regelsatzes sind zulässig.
- Totalsanktionen oder der vollständige Wegfall der Leistungen sind verfassungswidrig, da sie das Existenzminimum gefährden.
- Sanktionen müssen verhältnismäßig sein und dürfen nur erfolgen, wenn sie zielführend, notwendig und zumutbar sind.
Das Urteil bindet den Gesetzgeber und limitiert den Spielraum für zukünftige Reformen. Trotz kleiner Ausnahmen lässt die Rechtsprechung Totalsanktionen faktisch nicht zu.
Kritik und politische Folgen
Sozialverbände, Linke, Grüne und Teile der SPD kritisieren die Merz-Pläne als verfassungswidrig und sozialpolitisch kontraproduktiv. Auch Experten etwa vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sehen keinen direkten Zusammenhang zwischen härteren Sanktionen und gesteigerter Arbeitsaufnahme. Vielmehr können einschneidende Kürzungen zur Verfestigung von Armut führen.
Gewerkschaften und Initiativen weisen darauf hin, dass Sanktionen oft die am stärksten benachteiligten Menschen treffen: Wohnungslose, psychisch Kranke oder Menschen mit geringer Bildung. Das Ziel der sozialen Teilhabe und Integration wird so untergraben. Zudem profitieren Arbeitgeber, die niedrige Löhne zahlen, von der repressiven Sanktionspraxis.
Aktueller Stand und Perspektiven
Obwohl die CDU/CSU striktere Regeln durchsetzen will, dürfte eine Ausweitung über die 30-Prozent-Grenze rechtlich nicht zu halten sein. Auch SPD-Arbeitsministerin Bärbel Bas bekräftigte: Das Existenzminimum ist verfassungsrechtlich geschützt, ein vollständiger Leistungsentzug nicht zulässig. Neue Gesetzentwürfe und Reformdebatten stehen zwar an, stoßen aber auf das Karlsruher Urteil, das den Rahmen eng absteckt.
Für Bürgergeld-Beziehende bedeutet das: Wer sich weigert, zumutbare Arbeit aufzunehmen oder an Maßnahmen teilzunehmen, muss mit Sanktionen von bis zu 168 Euro monatlich (30% bei 563 Euro Regelsatz) rechnen – mehr aber nicht. So bleibt das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum gewahrt.
Der Verein Für soziales Leben e.V nimmt zu geplanten Verschärfungen der Bürgergeld-Sanktionen wie folgt Stellung
Als Verein, der sich seit Jahren für soziale Gerechtigkeit und die Wahrung des Existenzminimums einsetzt, lehnen wir die von Herrn Merz und der Unionsregierung vorgeschlagenen Totalsanktionen und Leistungskürzungen beim Bürgergeld entschieden ab. Die historischen und aktuellen Erfahrungen mit Sanktionen im Sozialrecht zeigen, dass massive Kürzungen insbesondere die ohnehin am stärksten benachteiligten Menschen treffen: psychisch Kranke, Arbeitsuchende mit Behinderung, junge Erwachsene aus schwierigen Verhältnissen und Wohnungslose.
Das Bundesverfassungsgericht hat zuletzt 2019 eindeutig festgestellt, dass Kürzungen von mehr als 30 % des Bürgergeld-Regelsatzes verfassungswidrig sind, weil sie das menschenwürdige Existenzminimum gefährden. Einen vollständigen Leistungsentzug – wie von Bundeskanzler Merz gefordert – lehnen wir als Organisation daher strikt ab. Ein solches Vorgehen wäre nicht nur sozialpolitisch kontraproduktiv, sondern auch verfassungsrechtlich unzulässig.
Die Praxis zeigt außerdem: Härtere Sanktionen führen nicht zu höherer Arbeitsaufnahme, sondern zur Verfestigung von Armut, sozialer Ausgrenzung und zu unwürdigen Lebensverhältnissen. Sie untergraben das Ziel der gesellschaftlichen Teilhabe und Integration und sind damit nicht förderlich für eine solidarische Gesellschaft.
Wir fordern die Bundesregierung und die Abgeordneten auf, an den verfassungsrechtlichen Grenzen festzuhalten und vielmehr die Ursachen von Langzeitarbeitslosigkeit anzugehen: Verbesserter Zugang zu Bildung, mehr individuelle Förderung, bessere Sozialberatung und ausreichend Angebote für Menschen, die sich am Arbeitsmarkt besonders schwer tun.
Strenge Sanktionen lehnen wir ab – das Existenzminimum muss für alle Menschen garantiert bleiben.
Für soziales Leben e.V., Oktober 2025
Fazit zur Verfassungsmäßigkeit von Bürgergeld Sanktionen
Die von Friedrich Merz und der CDU/CSU geforderte Verschärfung der Bürgergeld-Sanktionen stößt in der Praxis auf verfassungsrechtliche Schranken. Ein vollständiger Leistungsentzug ist nach der aktuellen Rechtslage nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und bleibt politisch und juristisch umstritten. Strengere Sanktionen können zwar umgesetzt werden, aber nicht unbegrenzt – das Existenzminimum muss gewahrt bleiben.
Quellen: Bundesverfassungsgericht, tagesschau.de, Süddeutsche Zeitung, FR, Merkur, Fokus Sozialrecht, Correctiv.


