Für soziales Leben e. V.

gemeinnützig & unabhängig

Stand:

Autor: Experte:

Mythos „Totalverweigerer“ beim Bürgergeld: Was die Zahlen wirklich zeigen

Der Mythos der „Totalverweigerer“ beim Bürgergeld hält sich hartnäckig in Politik und Medien. Doch tatsächlich sind sie mit nur 0,4 Prozent aller Bürgergeldempfänger eine absolute Minderheit. Der Artikel räumt mit Vorurteilen auf, liefert Fakten und zeigt, wie vielfältig das Leben von Bürgergeldbeziehenden wirklich aussieht – fernab populistischer Klischees. Lesen Sie alle Details bei Bürger & Geld, dem Nachrichtenmagazin des Vereins Für soziales Leben e. V.

Was ist das Bürgergeld?

Das Bürgergeld wurde vor über 2 Jahren als Nachfolger des Arbeitslosengelds II („Hartz IV“) eingeführt. Es soll Menschen in finanzieller Not helfen, die ihren Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten können. Das Bürgergeld sichert das Existenzminimum ab und unterstützt Empfänger bei der Integration in den Arbeitsmarkt.

Wer sind die „Totalverweigerer“?

Als „Totalverweigerer“ werden Personen bezeichnet, die ohne triftigen Grund eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder Maßnahme des Jobcenters ablehnen. Diese Gruppe steht in der öffentlichen Debatte besonders im Fokus, weil ihr vorgeworfen wird, das System auszunutzen und nicht arbeiten zu wollen.

Die Realität: Wie viele „Totalverweigerer“ gibt es wirklich?

Statistiken der Bundesagentur für Arbeit zeigen, dass die Zahl der „Totalverweigerer“ verschwindend gering ist. Zwischen Januar und November 2023 erhielten rund 5,5 Millionen Menschen Bürgergeld. In diesem Zeitraum wurden in 13.838 Fällen Leistungen gemindert, weil eine Arbeit, Ausbildung oder Weiterbildung verweigert wurde. Hochgerechnet auf das gesamte Jahr ergibt das etwa 16.000 bis 17.000 Fälle – also lediglich 0,4 Prozent aller Bürgergeldbeziehenden.

Die große Mehrheit der Leistungsminderungen (über 80 Prozent) erfolgte nicht wegen Arbeitsverweigerung, sondern wegen Meldeversäumnissen – zum Beispiel, wenn Empfängerinnen oder Empfänger einen Termin beim Jobcenter versäumten.

Warum ist der Mythos so verbreitet?

Der Mythos der „Totalverweigerer“ ist attraktiv, weil er einfache Schuldzuweisungen ermöglicht und gesellschaftliche Ängste vor dem eigenen sozialen Abstieg bedient. Politiker nutzen ihn, um ihre Forderungen nach schärferen Sanktionen zu begründen. Dabei wird suggeriert, dass viele Menschen im Bürgergeldbezug aus Bequemlichkeit nicht arbeiten wollten – ein Vorwurf, der die Lebensrealität der meisten Betroffenen ignoriert.

Was machen Bürgergeld – Empfänger tatsächlich?

Die meisten Bürgergeldbeziehenden sind keineswegs untätig:

  • Kinder und Jugendliche gehen zur Schule!
  • Alleinerziehende oder Pflegende leisten Care-Arbeit!
  • Menschen mit gesundheitlichen Problemen sind damit beschäftigt, gesund zu werden!
  • Viele nehmen an Maßnahmen des Jobcenters teil, verschicken Bewerbungen oder erwerben zusätzliche Qualifikationen!

Wer ohne triftigen Grund eine zumutbare Arbeit ablehnt oder einen Termin beim Jobcenter versäumt, riskiert eine Leistungskürzung von bis zu 30 Prozent für mehrere Monate, als Sanktion. Die sogenannten „Totalverweigerer“ machen jedoch nur einen sehr kleinen Anteil aus.

Sanktionen und rechtliche Grenzen

Das Bundesverfassungsgericht hat 2019 entschieden, dass das Existenzminimum auch bei Sanktionen nicht unterschritten werden darf. Eine vollständige Streichung des Bürgergelds ist daher verfassungswidrig. Die aktuellen Sanktionsregeln wurden allerdings verschärft: Wer eine zumutbare Arbeit oder Maßnahme ablehnt, muss mit einer Leistungskürzung von 30 Prozent für drei Monate rechnen. Wer Termine beim Jobcenter versäumt, erhält eine Kürzung von 30 Prozent für einen Monat.

Zusammenfassung zum Mythos Totalverweigerer: Fakten statt Vorurteile

Die Behauptung, dass es im Bürgergeldbezug eine große Zahl von „Totalverweigerern“ gebe, ist ein Mythos. Die tatsächliche Zahl liegt bei etwa 0,4 Prozent aller Empfängerinnen und Empfänger. Die große Mehrheit der Bürgergeldbeziehenden ist bereit, mitzuwirken oder kann aus guten Gründen nicht arbeiten.

Populistische Debatten, die eine ganze Gruppe in Misskredit bringen, lenken von den realen Herausforderungen ab und erschweren eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema Grundsicherung. Wer sich für eine Verbesserung des Systems einsetzen will, sollte an den Fakten orientiert bleiben – und nicht an Vorurteilen.

Redakteure

  • Peter Kosick

    Jurist und Redakteur

    Peter Kosick hat an der Universität Münster Rechtswissenschaften studiert und beide juristische Staatsexamen in Nordrhein-Westfalen mit Erfolg abgelegt. Er arbeitet als freiberuflicher Jurist, ist Autor verschiedener Publikationen und hält Vorträge im Bereich Arbeits- und Sozialrecht. Seit mehr als 30 Jahren engagiert er sich im sozialen Bereich und ist seit der Gründung des Vereins "Für soziales Leben e.V." dort Mitglied. Peter Kosick arbeitet in der Online Redaktion des Vereins und ist der CvD. Seinen Artikeln sieht man an, dass sie sich auf ein fundiertes juristisches Fachwissen gründen. Peter hat ebenfalls ein Herz für die Natur, ist gern "draußen" und setzt sich für den Schutz der Umwelt ein. Seine Arbeit im Redaktionsteam von buerger-geld.org gibt ihm das Gefühl,  etwas Gutes für das Gemeinwohl zu tun.

    Alle Beiträge ansehen Peter Kosick
  • ik
    Experte:

    Sozialrechtsexperte und Redakteur

    Ingo Kosick ist ein renommierter Experte im Bereich des Sozialrechts in Deutschland. Er engagiert sich seit über 30 Jahren in diesem Feld und hat sich als führende Autorität etabliert. Als Vorsitzender des Vereins Für soziales Leben e.V., der 2005 in Lüdinghausen gegründet wurde, setzt er sich für die Unterstützung von Menschen ein, die von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen sind. Der Verein bietet über das Internet Informationen, Beratung und Unterstützung für sozial benachteiligte Menschen an. Ingo Kosick ist zudem ein zentraler Autor und Redakteur auf der Plattform buerger-geld.org, die sich auf Themen wie Bürgergeld, Sozialleistungen, Rente und Kindergrundsicherung spezialisiert hat. Seine Artikel bieten fundierte Analysen und rechtlich aufgearbeitete Informationen, die Menschen in schwierigen Lebenssituationen unterstützen sollen. Durch seine langjährige Erfahrung und sein Engagement hat Ingo Kosick maßgeblich dazu beigetragen, dass sozial benachteiligte Menschen in Deutschland besser informiert und unterstützt werden können.

    Alle Beiträge ansehen Ingo Kosick

Hinweis zur Redaktion und zum Faktencheck
Die Redaktion von Bürger & Geld prüft sämtliche Artikel vor Veröffentlichung sorgfältig nach aktuellen gesetzlichen Grundlagen, offiziellen Statistiken und seriösen Quellen wie Bundesministerien, Sozialverbänden und wissenschaftlichen Studien. Unser Redaktionsteam besteht aus erfahrenen Fachautorinnen für Sozialpolitik, die alle Inhalte regelmäßig überarbeiten und aktualisieren. Jeder Text durchläuft einen strukturierten Faktencheck-Prozess sowie eine redaktionelle Qualitätssicherung, um höchste Genauigkeit und Transparenz zu gewährleisten. Bei allen wesentlichen Aussagen werden Primärquellen direkt im Fließtext verlinkt. Die Unabhängigkeit von Werbung und Drittinteressen sichert neutralen Journalismus – zum Schutz unserer Leserinnen und zur Förderung der öffentlichen Meinungsbildung.


Verantwortlich für die Inhalte auf dieser Seite: Redaktion des Vereins Für soziales Leben e. V. – Ihre Experten rund um Soziale Sicherheit und Altersvorsorge.