Bürgergeld und der Mythos über die „Totalverweigerer“ – Fakten statt Vorurteile

Das Thema Bürgergeld sorgt regelmäßig für hitzige Debatten – besonders der Mythos der „Totalverweigerer“ prägt das öffentliche Bild. Doch wie sieht die Realität wirklich aus? In diesem Beitrag klären wir, wie viele Menschen tatsächlich ohne triftigen Grund Leistungen ablehnen und warum Vorurteile oft an der Wirklichkeit vorbeigehen

Datum:

In der öffentlichen Diskussion über das Bürgergeld ist der Begriff der „Totalverweigerer“ allgegenwärtig. Politiker und Medien suggerieren regelmäßig, dass viele Empfänger von Bürgergeld nicht arbeiten wollten und sich bewusst dem Arbeitsmarkt entzögen. Doch was steckt wirklich hinter diesem Mythos – und wie sieht die Wirklichkeit aus? In unserem Artikel auf Bürger & Geld beleuchten wir die Fakten und Hintergründe, widerlegen gängige Vorurteile und zeigen, warum das Narrativ der „Totalverweigerer“ beim Bürgergeld irreführend ist. Der Verein “Für soziales Leben e. V.” stellt sich gegen Fakenews!

Was ist das Bürgergeld?

Das Bürgergeld wurde vor über 2 Jahren als Nachfolger des Arbeitslosengelds II („Hartz IV“) eingeführt. Es soll Menschen in finanzieller Not helfen, die ihren Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten können. Das Bürgergeld sichert das Existenzminimum ab und unterstützt Empfänger bei der Integration in den Arbeitsmarkt.

Wer sind die „Totalverweigerer“?

Als „Totalverweigerer“ werden Personen bezeichnet, die ohne triftigen Grund eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder Maßnahme des Jobcenters ablehnen. Diese Gruppe steht in der öffentlichen Debatte besonders im Fokus, weil ihr vorgeworfen wird, das System auszunutzen und nicht arbeiten zu wollen.

Die Realität: Wie viele „Totalverweigerer“ gibt es wirklich?

Statistiken der Bundesagentur für Arbeit zeigen, dass die Zahl der „Totalverweigerer“ verschwindend gering ist. Zwischen Januar und November 2023 erhielten rund 5,5 Millionen Menschen Bürgergeld. In diesem Zeitraum wurden in 13.838 Fällen Leistungen gemindert, weil eine Arbeit, Ausbildung oder Weiterbildung verweigert wurde. Hochgerechnet auf das gesamte Jahr ergibt das etwa 16.000 bis 17.000 Fälle – also lediglich 0,4 Prozent aller Bürgergeldbeziehenden.

Die große Mehrheit der Leistungsminderungen (über 80 Prozent) erfolgte nicht wegen Arbeitsverweigerung, sondern wegen Meldeversäumnissen – zum Beispiel, wenn Empfängerinnen oder Empfänger einen Termin beim Jobcenter versäumten.

Warum ist der Mythos so verbreitet?

Der Mythos der „Totalverweigerer“ ist attraktiv, weil er einfache Schuldzuweisungen ermöglicht und gesellschaftliche Ängste vor dem eigenen sozialen Abstieg bedient. Politiker nutzen ihn, um ihre Forderungen nach schärferen Sanktionen zu begründen. Dabei wird suggeriert, dass viele Menschen im Bürgergeldbezug aus Bequemlichkeit nicht arbeiten wollten – ein Vorwurf, der die Lebensrealität der meisten Betroffenen ignoriert.

Was machen Bürgergeld – Empfänger tatsächlich?

Die meisten Bürgergeldbeziehenden sind keineswegs untätig:

  • Kinder und Jugendliche gehen zur Schule!
  • Alleinerziehende oder Pflegende leisten Care-Arbeit!
  • Menschen mit gesundheitlichen Problemen sind damit beschäftigt, gesund zu werden!
  • Viele nehmen an Maßnahmen des Jobcenters teil, verschicken Bewerbungen oder erwerben zusätzliche Qualifikationen!

Wer ohne triftigen Grund eine zumutbare Arbeit ablehnt oder einen Termin beim Jobcenter versäumt, riskiert eine Leistungskürzung von bis zu 30 Prozent für mehrere Monate, als Sanktion. Die sogenannten „Totalverweigerer“ machen jedoch nur einen sehr kleinen Anteil aus.

Sanktionen und rechtliche Grenzen

Das Bundesverfassungsgericht hat 2019 entschieden, dass das Existenzminimum auch bei Sanktionen nicht unterschritten werden darf. Eine vollständige Streichung des Bürgergelds ist daher verfassungswidrig. Die aktuellen Sanktionsregeln wurden allerdings verschärft: Wer eine zumutbare Arbeit oder Maßnahme ablehnt, muss mit einer Leistungskürzung von 30 Prozent für drei Monate rechnen. Wer Termine beim Jobcenter versäumt, erhält eine Kürzung von 30 Prozent für einen Monat.

Zusammenfassung zum Mythos Totalverweigerer: Fakten statt Vorurteile

Die Behauptung, dass es im Bürgergeldbezug eine große Zahl von „Totalverweigerern“ gebe, ist ein Mythos. Die tatsächliche Zahl liegt bei etwa 0,4 Prozent aller Empfängerinnen und Empfänger. Die große Mehrheit der Bürgergeldbeziehenden ist bereit, mitzuwirken oder kann aus guten Gründen nicht arbeiten.

Populistische Debatten, die eine ganze Gruppe in Misskredit bringen, lenken von den realen Herausforderungen ab und erschweren eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema Grundsicherung. Wer sich für eine Verbesserung des Systems einsetzen will, sollte an den Fakten orientiert bleiben – und nicht an Vorurteilen.

Redakteure

  • dt e1691505015533

    Unser Redaktionsmitglied Dirk van der Temme (Jahrgang 1973) hat in Düsseldorf Diplom-Sozialarbeit studiert und erfolgreich  abgeschlossen. Schon als Schüler hat er sich sozial engagiert und die Liebe zu den Menschen beibehalten. Er hat die Entwicklung der Sozialhilfe, die Hartz Gesetze und die Einführung des Bürgergeldes mit großem Interesse verfolgt. Seine Beiträge in unserem Magazin zeigen, dass er weiß, worüber er schreibt.

    Alle Beiträge ansehen
  • ik
    Experte:

    Ingo Kosick ist ein renommierter Experte im Bereich des Sozialrechts in Deutschland. Er engagiert sich seit über 30 Jahren in diesem Feld und hat sich als führende Autorität etabliert. Als Vorsitzender des Vereins Für soziales Leben e.V., der 2005 in Lüdinghausen gegründet wurde, setzt er sich für die Unterstützung von Menschen ein, die von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen sind. Der Verein bietet über das Internet Informationen, Beratung und Unterstützung für sozial benachteiligte Menschen an. Ingo Kosick ist zudem ein zentraler Autor und Redakteur auf der Plattform buerger-geld.org, die sich auf Themen wie Bürgergeld, Sozialleistungen, Rente und Kindergrundsicherung spezialisiert hat. Seine Artikel bieten fundierte Analysen und rechtlich aufgearbeitete Informationen, die Menschen in schwierigen Lebenssituationen unterstützen sollen. Durch seine langjährige Erfahrung und sein Engagement hat Ingo Kosick maßgeblich dazu beigetragen, dass sozial benachteiligte Menschen in Deutschland besser informiert und unterstützt werden können.

    Alle Beiträge ansehen