Die Zahl der sogenannten Aufstocker in Deutschland steigt wieder: Rund 826.000 Menschen haben im vergangenen Jahr trotz Erwerbstätigkeit zusätzlich Bürgergeld beziehen müssen, weil ihr Gehalt nicht zum Leben reichte. Erstmals seit Einführung des gesetzlichen Mindestlohns im Jahr 2015 ist damit die Zahl der Aufstocker wieder nach oben gegangen – ein Signal für die wachsende Herausforderung, dass viele Arbeitnehmer trotz Job auf staatliche Hilfe angewiesen sind. Einzelheiten in unserem Nachrichtenmagazin Bürger & Geld.
Was sind Aufstocker?
Aufstocker sind erwerbstätige Menschen, deren Einkommen nicht ausreicht, um den Lebensunterhalt zu sichern. Sie erhalten ergänzend Bürgergeld, um die Lücke zwischen ihrem Gehalt und dem Existenzminimum zu schließen. In der Regel arbeiten diese Personen im Niedriglohnsektor, viele sind geringfügig beschäftigt oder in Teilzeit tätig. Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung sind knapp die Hälfte der Aufstocker Minijobber, und rund zwei Drittel verdienen weit unterdurchschnittlich.
Warum steigt die Zahl der Aufstocker?
Nach der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns 2015 war die Zahl der Aufstocker zunächst kontinuierlich gesunken – von über 1,2 Millionen auf rund 796.000 im Jahr 2023. Seitdem ist der Mindestlohn zwar mehrfach erhöht worden und liegt aktuell bei 12,82 Euro pro Stunde. Dennoch reicht das Einkommen vieler Arbeitnehmer nicht aus, um die gestiegenen Lebenshaltungskosten zu decken – insbesondere für Familien oder Alleinerziehende.
Die Zahl der sogenannten Bürgergeld-Aufstocker – also erwerbstätige Personen, die zusätzlich Bürgergeld erhalten, weil ihr Einkommen nicht zum Leben reicht – ist im Jahr 2024 erstmals seit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns im Jahr 2015 wieder gestiegen. Nach Angaben der Bundesregierung erhielten im vergangenen Jahr rund 826.000 Erwerbstätige ergänzende Bürgergeldzahlungen.
Die staatlichen Ausgaben für das ergänzende Bürgergeld sind im vergangenen Jahr von 6,19 Milliarden auf 6,99 Milliarden Euro gestiegen. Unterstützt werden damit nicht nur die erwerbstätigen Aufstocker selbst, sondern auch sogenannte Bedarfsgemeinschaften, etwa Familien oder Paare, die insgesamt mit 11,61 Milliarden Euro gefördert wurden.
Wer hat Anspruch auf Bürgergeld zur Aufstockung?
Grundsätzlich kann jeder, der erwerbstätig ist, aber mit seinem Einkommen nicht den Lebensunterhalt bestreiten kann, Bürgergeld zur Aufstockung beantragen. Vorrangig werden allerdings andere Leistungen wie Elterngeld, Kindergeld oder Unterhaltsvorschüsse geprüft. Erst wenn diese nicht ausreichen, wird Bürgergeld gezahlt. Die Höhe der Aufstockung richtet sich nach dem individuellen Bedarf und dem tatsächlichen Einkommen.
Einkommensfreibeträge beim Bürgergeld
Grundsätzlich gilt: Nicht das gesamte Einkommen wird bei der Berechnung des Bürgergelds angerechnet. Es gibt Freibeträge, die anrechnungsfrei bleiben und so das Haushaltseinkommen von Aufstockern erhöhen:
- Die ersten 100 Euro des Bruttoeinkommens sind immer anrechnungsfrei.
- Zwischen 100,01 Euro und 520 Euro bleiben 20 Prozent des Bruttoeinkommens anrechnungsfrei.
- Zwischen 520,01 Euro und 1.000 Euro bleiben zusätzlich 30 Prozent des Bruttoeinkommens anrechnungsfrei.
- Zwischen 1.000,01 Euro und 1.200 Euro (bzw. 1.500 Euro mit mindestens einem minderjährigen Kind) bleiben weitere 10 Prozent anrechnungsfrei.
Diese Staffelung sorgt dafür, dass Erwerbstätige mit Bürgergeld-Aufstockung deutlich mehr Geld zur Verfügung haben als Nicht-Erwerbstätige, weil ein Teil ihres Einkommens nicht auf das Bürgergeld angerechnet wird.
Wohngeld und Kinderzuschlag gehen dem Bürgergeld vor
Bürgergeld ist eine nachrangige Leistung. Das bedeutet, dass zunächst geprüft werden muss, ob ein Anspruch auf vorrangige Leistungen wie Wohngeld und Kinderzuschlag besteht. Nur wenn diese nicht ausreichen, um den Lebensunterhalt zu sichern, kann Bürgergeld als Aufstockung beantragt werden. Wohngeld und Kinderzuschlag können parallel bezogen werden und bieten für viele Familien sogar eine höhere finanzielle Unterstützung als das Bürgergeld allein.
Die Familienkasse soll künftig bei der Beantragung des Kinderzuschlags automatisch prüfen, ob auch ein Anspruch auf Wohngeld besteht, damit beide Leistungen optimal kombiniert werden können. Das ist jedenfalls Plan der neuen Bundesregierung
Erst wenn durch diese Leistungen die Hilfebedürftigkeit nicht ausreichend gedeckt werden kann, kommt das Bürgergeld ins Spiel.
Politische Debatte und Forderungen
Die steigende Zahl der Aufstocker sorgt für politische Diskussionen. Der Linken-Abgeordnete Cem Ince fordert eine deutliche Anhebung des Mindestlohns, da es „nicht sein kann, dass Hunderttausende trotz Arbeit auf staatliche Hilfe angewiesen sind“. Bundeskanzler Friedrich Merz hat eine Erhöhung auf 15 Euro im Jahr 2026 für erreichbar und wünschenswert erklärt, während Arbeitgeberverbände dies für zu hoch halten.
Unsere Meinung: Wir, der Verein Für soziales Leben, fordern ebenfalls eine Anhebung des Mindestlohns. 15 Euro sind allerdings nicht genug. Das sieht man, wenn man rechnet: 45 Jahre arbeiten mit Mindestlohn von 15 Euro würde eine Rente unterhalb der Armutsgrenze ergeben!
Zusammenfassung: immer mehr Aufstocker im Bürgergeld
Die Entwicklung zeigt: Trotz steigender Mindestlöhne und guter Beschäftigungslage reicht das Einkommen vieler Arbeitnehmer nicht aus, um den Lebensunterhalt zu sichern. Die Zahl der Aufstocker ist erstmals seit Jahren wieder gestiegen – ein deutliches Signal, dass die Politik kurzfristig gefordert ist, um prekäre Beschäftigungsverhältnisse und Armut trotz Arbeit zu bekämpfen.