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Urteil: Auskunftspflichten beim Bürgergeld: Was das für Unterhaltsschuldner bedeutet

Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (Az.: L 34 AS 895/22) hat im Mai 2025 eine bedeutsame Entscheidung zur Auskunftspflicht beim Bürgergeld getroffen. Das Urteil ist wegweisend für alle, die als potenziell unterhaltspflichtige Personen gegenüber einem Bürgergeld-Empfänger vom Jobcenter zur Offenlegung ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse aufgefordert werden. Doch worum ging es genau – und was bedeutet das Urteil für Betroffene? Die Antworten lesen Sie hier auf Bürger & Geld, dem Nachrichtenmagazin des Vereins Für soziales Leben e.V.!

Der Sachverhalt: Warum musste ein Vater persönliche Finanzdaten offenlegen?

Ausgangspunkt des Verfahrens war die Aufforderung eines Grundsicherungsträgers (Jobcenter) an einen Vater, seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse umfassend offenzulegen. Das Jobcenter vermutete, dass der Vater gegenüber seinem (ggf. minderjährigen) Kind unterhaltspflichtig sein könnte. Die Behörde wünschte sich daher weitreichende Auskünfte, um den potentiellen Anspruch auf Bürgergeld korrekt berechnen zu können und zu klären, ob und inwieweit der Unterhalt die Bedürftigkeit mindert.

Der Vater weigerte sich, alle geforderten Unterlagen zu übermitteln, und legte Widerspruch gegen den behördlichen Auskunftsbescheid ein. Das Hauptargument: Die zum Auskunftsanspruch herangezogenen Rechtsvorschriften (§ 60 Abs. 2 SGB II i.V.m. § 21 Abs. 1 SGB X) seien nicht ausreichend, und seine Unterhaltspflicht stehe ohnehin noch gar nicht fest.

Das Sozialgericht Potsdam wies die Klage ab. Es folgte die Berufung zum Landessozialgericht.

Die wichtigsten Urteilsgründe:

1. Formelle Rechtmäßigkeit der Auskunftsanordnung

Das Gericht stellte klar, dass die Auskunftsanordnung grundsätzlich rechtmäßig war. Selbst ein möglicher Anhörungsmangel vor Erlass des Ursprungsbescheids wurde durch das nachfolgende Widerspruchsverfahren geheilt. Entscheidend ist, dass der Betroffene im Rahmen des Widerspruchs ausreichend Gelegenheit bekommt, sich zu äußern. Ein separates, komplexes Verwaltungsverfahren ist nicht notwendig.

2. Materielle Rechtmäßigkeit: Reichweite der Auskunftspflicht

Die materielle Rechtmäßigkeit des Bescheids wurde besonders ausführlich begründet:

  • Die Auskunftspflicht besteht bereits dann, wenn nicht offensichtlich ausgeschlossen werden kann, dass eine Unterhaltsverpflichtung besteht.
  • Ziel der Auskunft ist es gerade, einer Behörde die Einschätzung zu ermöglichen, ob und inwieweit eine Leistungspflicht des Auskunftspflichtigen besteht.
  • Bleiben nach erster Prüfung Zweifel, ob eine Unterhaltsverpflichtung vorliegt, bleibt die Verpflichtung zur Auskunftserteilung bestehen.
  • Es genügt, dass die Möglichkeit einer Unterhaltspflicht nicht eindeutig widerlegt ist – dann muss die betreffende Person die verlangten Informationen liefern.

3. Praktische Konsequenzen für Betroffene

Wer als potenzieller Unterhaltsschuldner (meist Eltern oder nahe Verwandte) von der Behörde zur Offenlegung seiner Einkommensverhältnisse aufgefordert wird, kann sich nur von dieser Pflicht befreien, wenn klar und dokumentierbar keine Unterhaltsverpflichtung existiert. Solange die Behörde dies nicht ausschließen kann, muss man kooperieren.

Zudem wird durch das Urteil klargestellt, dass Behörden keinen hohen Darlegungsaufwand haben, solange die Unterhaltspflicht nicht „offensichtlich“ entfällt.

Bedeutung und Folgen des Urteils

Das Urteil hat erhebliche praktische Bedeutung für das Bürgergeld und die Verwaltungspraxis deutscher Jobcenter:

  • Stärkere Transparenz: Behörden können künftig Auskünfte zu Einkommen/Vermögen konsequenter verlangen.
  • Schutz der Grundsicherung: Die genaue Prüfung möglicher Unterhaltsansprüche sichert, dass Bürgergeld nur gezahlt wird, wenn tatsächlich eine Bedürftigkeit vorliegt.
  • Kein „Vorbehalt der Unterhaltspflicht“: Die Auskunftspflicht besteht bereits im Vorfeld, nicht erst wenn eine Unterhaltspflicht feststeht.
  • Weniger Blockade durch Formalien: Ein Anwalt oder Betroffener kann sich kaum noch mit dem Verweis auf ungeklärte rechtliche Pflichten gegen die Auskunft wehren.

FAQ: Wer ist vom Urteil betroffen?

Wer muss nach dem Urteil Auskünfte erteilen?

Alle potenziellen Unterhaltsschuldner, bei denen die Behörde eine Leistungspflicht nicht ausschließen kann.

Muss ich wirklich alle Kontodaten offenlegen?

Ja, sofern die Behörde berechtigte Zweifel an einer fehlenden Unterhaltspflicht hat.

Gibt es Ausnahmen von der Auskunftspflicht?

Nur wenn Sie nachweisen können, dass definitiv keine Unterhaltspflicht besteht.

Fazit: Mehr Pflichten für Unterhaltsschuldner – Bürgergeld – Empfänger im Fokus

Das Urteil L 34 AS 895/22 schafft Klarheit: Behörden dürfen schon bei Verdacht auf eine Unterhaltspflicht zügig und umfassend Auskünfte einfordern. Das Urteil verpflichtet Unterhaltsschuldner zur Offenlegung aller Finanzdaten!
Das LSG Berlin-Brandenburg hat entschieden: Wer als Vater oder Verwandter für einen Bürgergeld-Empfänger in Betracht kommt, muss Jobcenter-Anfragen zu Einkommen und Vermögen umfassend beantworten. Das gilt, solange eine Unterhaltspflicht nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden kann.

Redakteure

  • ik

    Sozialrechtsexperte und Redakteur

    Ingo Kosick ist ein renommierter Experte im Bereich des Sozialrechts in Deutschland. Er engagiert sich seit über 30 Jahren in diesem Feld und hat sich als führende Autorität etabliert. Als Vorsitzender des Vereins Für soziales Leben e.V., der 2005 in Lüdinghausen gegründet wurde, setzt er sich für die Unterstützung von Menschen ein, die von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen sind. Der Verein bietet über das Internet Informationen, Beratung und Unterstützung für sozial benachteiligte Menschen an. Ingo Kosick ist zudem ein zentraler Autor und Redakteur auf der Plattform buerger-geld.org, die sich auf Themen wie Bürgergeld, Sozialleistungen, Rente und Kindergrundsicherung spezialisiert hat. Seine Artikel bieten fundierte Analysen und rechtlich aufgearbeitete Informationen, die Menschen in schwierigen Lebenssituationen unterstützen sollen. Durch seine langjährige Erfahrung und sein Engagement hat Ingo Kosick maßgeblich dazu beigetragen, dass sozial benachteiligte Menschen in Deutschland besser informiert und unterstützt werden können.

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  • Peter Kosick
    Experte:

    Jurist und Redakteur

    Peter Kosick hat an der Universität Münster Rechtswissenschaften studiert und beide juristische Staatsexamen in Nordrhein-Westfalen mit Erfolg abgelegt. Er arbeitet als freiberuflicher Jurist, ist Autor verschiedener Publikationen und hält Vorträge im Bereich Arbeits- und Sozialrecht. Seit mehr als 30 Jahren engagiert er sich im sozialen Bereich und ist seit der Gründung des Vereins "Für soziales Leben e.V." dort Mitglied. Peter Kosick arbeitet in der Online Redaktion des Vereins und ist der CvD. Seinen Artikeln sieht man an, dass sie sich auf ein fundiertes juristisches Fachwissen gründen. Peter hat ebenfalls ein Herz für die Natur, ist gern "draußen" und setzt sich für den Schutz der Umwelt ein. Seine Arbeit im Redaktionsteam von buerger-geld.org gibt ihm das Gefühl,  etwas Gutes für das Gemeinwohl zu tun.

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