Der Sachverhalt: Warum musste ein Vater persönliche Finanzdaten offenlegen?
Ausgangspunkt des Verfahrens war die Aufforderung eines Grundsicherungsträgers (Jobcenter) an einen Vater, seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse umfassend offenzulegen. Das Jobcenter vermutete, dass der Vater gegenüber seinem (ggf. minderjährigen) Kind unterhaltspflichtig sein könnte. Die Behörde wünschte sich daher weitreichende Auskünfte, um den potentiellen Anspruch auf Bürgergeld korrekt berechnen zu können und zu klären, ob und inwieweit der Unterhalt die Bedürftigkeit mindert.
Der Vater weigerte sich, alle geforderten Unterlagen zu übermitteln, und legte Widerspruch gegen den behördlichen Auskunftsbescheid ein. Das Hauptargument: Die zum Auskunftsanspruch herangezogenen Rechtsvorschriften (§ 60 Abs. 2 SGB II i.V.m. § 21 Abs. 1 SGB X) seien nicht ausreichend, und seine Unterhaltspflicht stehe ohnehin noch gar nicht fest.
Das Sozialgericht Potsdam wies die Klage ab. Es folgte die Berufung zum Landessozialgericht.
Die wichtigsten Urteilsgründe:
1. Formelle Rechtmäßigkeit der Auskunftsanordnung
Das Gericht stellte klar, dass die Auskunftsanordnung grundsätzlich rechtmäßig war. Selbst ein möglicher Anhörungsmangel vor Erlass des Ursprungsbescheids wurde durch das nachfolgende Widerspruchsverfahren geheilt. Entscheidend ist, dass der Betroffene im Rahmen des Widerspruchs ausreichend Gelegenheit bekommt, sich zu äußern. Ein separates, komplexes Verwaltungsverfahren ist nicht notwendig.
2. Materielle Rechtmäßigkeit: Reichweite der Auskunftspflicht
Die materielle Rechtmäßigkeit des Bescheids wurde besonders ausführlich begründet:
- Die Auskunftspflicht besteht bereits dann, wenn nicht offensichtlich ausgeschlossen werden kann, dass eine Unterhaltsverpflichtung besteht.
- Ziel der Auskunft ist es gerade, einer Behörde die Einschätzung zu ermöglichen, ob und inwieweit eine Leistungspflicht des Auskunftspflichtigen besteht.
- Bleiben nach erster Prüfung Zweifel, ob eine Unterhaltsverpflichtung vorliegt, bleibt die Verpflichtung zur Auskunftserteilung bestehen.
- Es genügt, dass die Möglichkeit einer Unterhaltspflicht nicht eindeutig widerlegt ist – dann muss die betreffende Person die verlangten Informationen liefern.
3. Praktische Konsequenzen für Betroffene
Wer als potenzieller Unterhaltsschuldner (meist Eltern oder nahe Verwandte) von der Behörde zur Offenlegung seiner Einkommensverhältnisse aufgefordert wird, kann sich nur von dieser Pflicht befreien, wenn klar und dokumentierbar keine Unterhaltsverpflichtung existiert. Solange die Behörde dies nicht ausschließen kann, muss man kooperieren.
Zudem wird durch das Urteil klargestellt, dass Behörden keinen hohen Darlegungsaufwand haben, solange die Unterhaltspflicht nicht „offensichtlich“ entfällt.
Bedeutung und Folgen des Urteils
Das Urteil hat erhebliche praktische Bedeutung für das Bürgergeld und die Verwaltungspraxis deutscher Jobcenter:
- Stärkere Transparenz: Behörden können künftig Auskünfte zu Einkommen/Vermögen konsequenter verlangen.
- Schutz der Grundsicherung: Die genaue Prüfung möglicher Unterhaltsansprüche sichert, dass Bürgergeld nur gezahlt wird, wenn tatsächlich eine Bedürftigkeit vorliegt.
- Kein „Vorbehalt der Unterhaltspflicht“: Die Auskunftspflicht besteht bereits im Vorfeld, nicht erst wenn eine Unterhaltspflicht feststeht.
- Weniger Blockade durch Formalien: Ein Anwalt oder Betroffener kann sich kaum noch mit dem Verweis auf ungeklärte rechtliche Pflichten gegen die Auskunft wehren.
FAQ: Wer ist vom Urteil betroffen?
Wer muss nach dem Urteil Auskünfte erteilen?
Alle potenziellen Unterhaltsschuldner, bei denen die Behörde eine Leistungspflicht nicht ausschließen kann.
Muss ich wirklich alle Kontodaten offenlegen?
Ja, sofern die Behörde berechtigte Zweifel an einer fehlenden Unterhaltspflicht hat.
Gibt es Ausnahmen von der Auskunftspflicht?
Nur wenn Sie nachweisen können, dass definitiv keine Unterhaltspflicht besteht.
Fazit: Mehr Pflichten für Unterhaltsschuldner – Bürgergeld – Empfänger im Fokus
Das Urteil L 34 AS 895/22 schafft Klarheit: Behörden dürfen schon bei Verdacht auf eine Unterhaltspflicht zügig und umfassend Auskünfte einfordern. Das Urteil verpflichtet Unterhaltsschuldner zur Offenlegung aller Finanzdaten!
Das LSG Berlin-Brandenburg hat entschieden: Wer als Vater oder Verwandter für einen Bürgergeld-Empfänger in Betracht kommt, muss Jobcenter-Anfragen zu Einkommen und Vermögen umfassend beantworten. Das gilt, solange eine Unterhaltspflicht nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden kann.