Sachverhalt: wiederholte Einladungen durch das Jobcenter missachtet
Die Klägerin erhielt Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II, also Bürgergeld bzw. Neue Grundsicherung für Arbeitsuchende. Nach einiger Zeit teilte sie der Behörde mit, dass sie die Pflege ihrer Mutter übernommen habe und hierfür Pflegegeld beziehe. Nach mehreren nicht wahrgenommenen Terminen bei der Arbeitsvermittlung reagierte die Behörde mit insgesamt zehn Sanktionsbescheiden, die die Grundsicherung (Bürgergeld) für die Klägerin jeweils um 10 % kürzten.
Ablauf der Sanktionen beim Bürgergeld
Innerhalb eines Jahres versäumte die Klägerin zahlreiche Termine beim Jobcenter. Für jeden Versäumnisfall erließ die Behörde einen Sanktionsbescheid mit einer dreimonatigen Leistungsminderung. Zugleich wurden bewilligte Leistungen entsprechend gekürzt und Teilaufhebungen der Bewilligungsbescheide verfügt.
Die Klage und deren Begründung
Die Klägerin legte gegen die Sanktionsbescheide des Jobcenters jeweils Widerspruch ein – zum Teil mit Erfolg, zum Teil erfolglos. Im Fokus der Klage standen insbesondere die Sanktionen im Zeitraum von September bis Februar. Sie argumentierte, dass ihre familiäre Pflegesituation nicht angemessen berücksichtigt und die Sanktionen deshalb ungerechtfertigt seien.
Urteil des Sozialgerichts und Berufungsverfahren
Das Sozialgericht Hamburg hob einen Sanktionsbescheid samt Teilaufhebung auf und bemängelte die Ermessensausübung der Behörde. Im Berufungsverfahren vor dem LSG Hamburg blieb die Entscheidung bestehen: Die wiederholten, gleichlautenden Meldeaufforderungen ohne Anpassung an den Einzelfall genügen nicht den gesetzlichen Anforderungen an pflichtgemäße Ermessensausübung und können daher nicht Sanktionen rechtfertigen, so das Gericht.
Juristische Kernaussagen des Urteils zu den Bürgergeld Sanktionen
- Meldeaufforderung und Sanktionen: Gemäß § 32 SGB II muss eine Meldeaufforderung einen zulässigen Zweck verfolgen. Sanktionen dürfen nur verhängt werden, wenn die Aufforderung rechtmäßig war und eine ordnungsgemäße Rechtsfolgenbelehrung erfolgt ist.
- Ermessensausübung der Behörde: Die Behörde muss bei wiederholten Versäumnissen alternative Eingliederungswege prüfen und individuelle Umstände des Einzelfalls nachvollziehbar in ihre Entscheidungsfindung einbeziehen.
- Rechtswidrigkeit der Sanktionen: Bei ständig wiederholt versäumten Meldeterminen muss die Behörde erklären, warum sie weiterhin am bisherigen Verfahren festhält und nicht andere Maßnahmen ergreift (z. B. Hausbesuch, Eingliederungsvereinbarung, medizinische Untersuchung).
- Keine pauschale Sanktionierung: Das Gericht betonte, die Sanktionen dürfen nicht das Ziel haben, die Leistungsempfänger systematisch zu „bestrafen“ oder den Leistungsanspruch durch viele Sanktionen faktisch zu beseitigen. Stattdessen müssen Meldeaufforderungen dazu dienen, die Eingliederungschancen der Betroffenen zu fördern.
Bedeutung des Urteils für die Bürgergeld Praxis
Das Urteil unterstreicht, dass Jobcenter bei Sanktionsentscheidungen ihr Ermessen aktiv und transparent ausüben müssen. Wiederholte, gleichlautende Meldeaufforderungen ohne Berücksichtigung individueller Problemlagen sind nicht ausreichend. Leistungsbeziehende können sich künftig auf dieses Urteil berufen, wenn die Behörde zu undifferenziert sanktioniert.
Revision und Grundsatzbedeutung
Das Gericht ließ die Revision zu. Es sah eine grundsätzliche Bedeutung darin, da die Praxis der raschen Folge von Sanktionen und Meldeaufforderungen bei deutschen Jobcentern weit verbreitet ist und eine Klärung der Rechtslage für verschiedene Fallgestaltungen notwendig erscheint.
Zusammenfassung: Sanktionen bei Terminversäumins und Ermessen des Jobcenters
Das Urteil zeigt, dass individuelle Umstände und pflichtgemäße Ermessensausübung bei Sanktionen nach dem SGB II entscheidend sind. Die pauschale und wiederholte Sanktionierung ohne Anpassung an den Einzelfall ist rechtswidrig und verstößt gegen den Grundsatz des Förderns und Forderns beim Bürgergeld, der Grundsicherung für Arbeitsuchende, im Sozialrecht.
Quelle
Urteil L 4 AS 282/16 des Landessozialgerichts Hamburg auf sozialgerichtsbarkeit.de