Es ist eine Geschichte, die tief unter die Haut geht – und kein Einzelfall:
Ursula K., 64 Jahre alt, geschieden, jahrzehntelang berufstätig, kämpft um ihre Existenz. Trotz eines ganzen Arbeitslebens droht sie in die Altersarmut abzurutschen. Der Grund: Sie darf nach der Scheidung nicht zurück in die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) – und muss nun Hunderte Euro im Monat für eine private Krankenversicherung aufbringen, die sie kaum noch bezahlen kann.
„Ich habe mein ganzes Leben gearbeitet, Kinder großgezogen, Steuern gezahlt – und jetzt soll ich mir die Krankenkasse nicht mehr leisten können?“, sagt sie verzweifelt.
Der Sozialverband VdK spricht von einem „offenen Systemversagen“. Immer mehr ältere Menschen – vor allem Frauen – geraten durch starre Regeln in eine existenzielle Falle. Der Verband fordert eine grundlegende Reform: Eine einheitliche Bürgerversicherung für alle.
Wenn Scheidung zum Armutsrisiko wird
Ursula K. war über 20 Jahre mit einem Beamten verheiratet. Sie selbst arbeitete zeitweise in Teilzeit, später freiberuflich – und war in der privaten Krankenversicherung (PKV) ihres Mannes mitversichert. Nach der Scheidung vor fünf Jahren endete dieser Schutz abrupt.
Ein Wechsel zurück in die gesetzliche Krankenversicherung? Abgelehnt. Mit 64 Jahren gilt für sie die Versicherungspflichtgrenze, und wer zu lange privat versichert war, kommt schlicht nicht mehr zurück.
Diese Lücke betrifft besonders Frauen, die während der Ehe häufig weniger verdient haben oder wegen Kindererziehung auf eine Vollzeittätigkeit verzichteten. Sie rutschen im Krankheitsfall oder beim Übergang in die Rente in eine finanzielle Zwickmühle – trotz eines ganzen Lebens voller Arbeit und Pflichten.
Private Krankenversicherung wird zur Kostenfalle
Was früher als attraktive Alternative galt, entwickelt sich für viele ältere Versicherte zum Albtraum:
Steigende Beiträge, oft über 800 Euro monatlich – während die Rente kaum 1200 Euro beträgt. Zuschüsse vom Rentenversicherungsträger helfen nur begrenzt. „Ich esse inzwischen oft nur noch warm, wenn ich bei meiner Tochter bin“, sagt Ursula K. leise.
Der VdK dokumentiert immer mehr solcher Fälle. Die Beratungsstellen des Verbandes berichten, dass gerade geschiedene oder verwitwete Frauen mit Teilzeitbiografien zunehmend in die Armutsgefahr geraten.
„Das Problem ist strukturell“, mahnt VdK-Präsidentin Verena Bentele. „Wir haben ein System, das Menschen für Lebensentscheidungen von vor 30 Jahren bestraft. Das ist weder sozial noch gerecht.“
VdK fordert: Eine Bürgerversicherung für alle
Der Sozialverband VdK fordert deshalb eine grundlegende Neuordnung des Krankenversicherungssystems. Das Ziel: Eine einheitliche Bürgerversicherung, in die jeder einzahlt – unabhängig von Beruf, Einkommen oder Lebenssituation.
„Es kann nicht sein, dass ein Mensch in Deutschland von seiner Krankenversicherung abhängig gemacht wird, nur weil er einmal Beamter war oder verheiratet war“, so Bentele.
Das Zwei-Klassen-System zwischen gesetzlich und privat sei sozial überholt und verschärfe die Ungleichheit zwischen Arm und Reich, zwischen Arbeitnehmern und Beamten, zwischen Männern und Frauen.
Die Politik ringt seit Jahren um eine Lösung, doch der Widerstand ist groß: Beamtenbund, Ärzteverbände und Teile der Wirtschaft warnen vor einem Verlust von Versorgungsqualität. Der VdK hält dagegen: „Soziale Gerechtigkeit ist keine Frage der Effizienz, sondern der Haltung.“
Die Frage der „amtsangemessenen Alimentation“
Die Diskussion um soziale Fairness führt auch in ein anderes politisches Spielfeld: die sogenannte amtsangemessene Alimentation. Damit ist gemeint, dass der Staat seinen Beamten und Richtern ein Gehalt und Versorgungniveau zahlt, das ihrem Amt entspricht – auch um ihre Unabhängigkeit zu sichern.
Doch Kritiker sehen darin zunehmend ein Spannungsfeld. Denn während die Einkommen von Beamten und ihre Absicherungen regelmäßig steigen, geraten Rentnerinnen wie Ursula K. immer stärker unter Druck. Der Staat achtet sehr genau darauf, dass die Alimentation „amtsangemessen“ bleibt – aber wer sorgt dafür, dass die soziale Absicherung für alle anderen ebenfalls angemessen ist?
Gerade kinderreiche Beamtenfamilien profitieren doppelt: durch familienbezogene Zuschläge und spätere Pensionsvorteile. Familien mit vielen Kindern im Angestelltenverhältnis dagegen kämpfen häufig mit steigenden Mieten, hohen Lebenshaltungskosten und geringer Absicherung.
„Es darf nicht sein, dass der Staat seine eigenen Bediensteten besserstellt, während andere Bürgerinnen und Bürger in Altersarmut fallen“, sagt Bentele.
Soziale Schieflage spitzt sich zu
Deutschland altert – und das Sozialsystem steht unter Druck. Schon jetzt leben laut Statistischem Bundesamt mehr als drei Millionen Senioren an oder unter der Armutsgrenze. Frauen sind besonders betroffen: geringere Löhne, Teilzeitarbeit, Pflege von Angehörigen und Kindererziehung führen zu deutlich niedrigeren Rentenansprüchen.
Das Beispiel von Ursula K. zeigt, wie ein komplexes Netz aus Sozial-, Familien- und Beamtenrecht in der Praxis zu Ungerechtigkeiten führen kann.
Während der Staat über „amtsangemessene Alimentation“ und Pensionssteigerungen diskutiert, müssen Menschen wie sie entscheiden, ob sie ihre Medikamente oder das Heizöl bezahlen.
VdK will politischen Druck erhöhen
Der VdK kündigt an, das Thema Bürgerversicherung im kommenden Jahr offensiv auf die politische Agenda zu setzen. Geplant ist eine bundesweite Kampagne mit dem Titel: „Gesundheit darf kein Luxus sein“.
Ziel ist, Politiker aller Parteien an ihre Verantwortung zu erinnern: Krankenversicherung darf kein Privileg bleiben.
Auch Ursula K. wird sich beteiligen. „Ich habe keine Kraft mehr, aber ich will, dass andere Frauen es besser haben als ich.“
Ein Satz, der bleibt.


