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Eltern im Pflegeheim – BGH stärkt Kinder beim Elternunterhalt: So viel müssen Gutverdiener trotz 100.000 € Brutto zahlen

Der Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 7.5.2025, Az. XII ZB 563/24, konkretisiert den Selbstbehalt beim Elternunterhalt und stärkt damit die Position unterhaltspflichtiger Kinder – ohne den Elternunterhalt als solchen in Frage zu stellen. Der BGH macht klar: Weder eine pauschale Anhebung des Selbstbehalts auf „Luxusniveau“ noch eine starre Orientierung an der 100.000‑Euro-Grenze des Angehörigen-Entlastungsgesetzes sind zulässig, vielmehr kommt es auf eine differenzierte Einzelfallprüfung an. Bürger & Geld, das Nachrichtenmagazin des Vereins Für soziales Leben e.V. analisiert die Entscheidung des obersten deutschen Zivilgerichts!

Hintergrund: Elternunterhalt nach dem Angehörigen-Entlastungsgesetz

Seit dem Angehörigen-Entlastungsgesetz haftet ein Kind gegenüber dem Sozialamt grundsätzlich nur noch, wenn sein Jahresbruttoeinkommen über 100.000 Euro liegt. Die zivilrechtliche Unterhaltspflicht nach dem BGB blieb aber bestehen, sodass weiterhin um die Höhe des Selbstbehalts und die konkrete Leistungsfähigkeit gestritten wird. Bereits in Beschlüssen vom 23.10.2024 (XII ZB 6/24) und 22.01.2025 (XII ZB 148/24) hatte der BGH Leitplanken für die Berechnung des Selbstbehalts gezogen.

Der aktuelle Beschluss des BGH mit dem Az: XII ZB 563/24 knüpft an diese Linie an und präzisiert, wie Gerichte den angemessenen Eigenbedarf beim Elternunterhalt in der Praxis zu bemessen haben. Dabei betont der BGH, dass das Angehörigen-Entlastungsgesetz nicht dazu dient, besonders gut verdienende Kinder zusätzlich zu privilegieren, sondern nur den Regress auf „Normalverdiener“ zu begrenzen.

Der Fall: Sozialamt gegen gut verdienenden Sohn

Im entschiedenen Fall verlangte ein Sozialhilfeträger von einem Sohn Elternunterhalt, nachdem er für die im Heim lebende Mutter erhebliche Pflege- und Unterbringungskosten übernommen hatte. Der Sohn erzielte ein hohes Einkommen deutlich oberhalb der 100.000‑Euro-Grenze, hatte aber zugleich eigene Verpflichtungen und machte einen weitreichenden Selbstbehalt geltend.

Die Vorinstanz hatte den Selbstbehalt in Anlehnung an neuere obergerichtliche Entscheidungen sehr großzügig festgelegt und dem Sohn einen großen Teil seines Einkommens zusätzlich zu einem hohen Mindestselbstbehalt belassen. Dagegen wandte sich der Sozialhilfeträger mit der Beschwerde – mit Erfolg: Der BGH hob die Entscheidung auf und verwies die Sache zur erneuten Prüfung zurück.

Kernaussagen des BGH-Beschlusses XII ZB 563/24

Der BGH bestätigt zunächst seine Grundlinie: Unterhaltspflichtige Kinder haben Anspruch auf einen „angemessenen Selbstbehalt“, der den Eigenbedarf gegenüber volljährigen Kindern maßvoll übersteigt. Dieser Selbstbehalt soll sicherstellen, dass auch bei Elternunterhalt der eigene Lebensstandard und die eigene Altersvorsorge nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt werden.

Zugleich lehnt der BGH eine pauschale Anhebung auf Selbstbehaltsbeträge jenseits von 4.800 bis 5.500 Euro ab, wenn dadurch Unterschiede in den individuellen Verhältnissen weitgehend nivelliert würden. Der Mindestselbstbehalt darf nicht so hoch angesetzt werden, dass Einkommenserhöhungen bei den meisten Kindern faktisch kaum noch zu höherer Unterhaltspflicht führen.

Verhältnis zur 100.000-Euro-Grenze

Ein besonders wichtiger Punkt der Entscheidung: Der BGH trennt klar zwischen der sozialhilferechtlichen 100.000‑Euro-Grenze und der zivilrechtlichen Unterhaltsbemessung. Die Jahresgrenze aus § 94 Abs. 1a SGB XII ist ein Filter dafür, ob der Sozialhilfeträger überhaupt Regress nehmen darf – sie ersetzt aber nicht die unterhaltsrechtliche Prüfung von Leistungsfähigkeit und Selbstbehalt.

Der BGH warnt ausdrücklich davor, den Selbstbehalt so stark anzuheben, dass die 100.000‑Euro-Grenze faktisch deutlich höher läge und der gesetzgeberische Regressverzicht unterlaufen würde. Gleichzeitig eröffnet er den Tatrichtern Spielräume: Es sei rechtlich nicht zu beanstanden, wenn Unterhaltspflichtigen – im Lichte des Entlastungsgedankens – mehr als die Hälfte des den Mindestselbstbehalt übersteigenden bereinigten Einkommens verbliebe, etwa bis zu 70 Prozent.

Praktische Konsequenzen für den Selbstbehalt

Für die Praxis bedeutet der Beschluss:

  • Es bleibt bei einem bundesweit relativ einheitlichen Mindestselbstbehalt, der sich leicht oberhalb des angemessenen Eigenbedarfs gegenüber volljährigen Kindern bewegt (oft im Bereich 2.650 bis rund 2.800 Euro, je nach Leitlinien der OLG).
  • Darüber hinaus entscheidet der Einzelfall, welcher Anteil des darüber hinausgehenden Einkommens für Elternunterhalt herangezogen wird, wobei Gerichte zwischen 50 und 70 Prozent als Grenze ziehen können.

Kredite, hohe Wohnkosten, eigene Altersvorsorge, Unterhalt für Kinder oder Ehegatten sowie besondere Belastungen können dazu führen, dass der tatsächlich verfügbare Betrag für Elternunterhalt deutlich geringer ausfällt. Umgekehrt stellt der BGH klar, dass Spitzenverdiener mit Einkommen weit über 100.000 Euro sich nicht pauschal auf extrem hohe Selbstbehalte zurückziehen können, sondern die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit konkret zu prüfen ist.

Beispielrechnung zum Elternunterhalt beim einem Jahresbruttoeinkommen von mehr als 100.000 Euro

Ein lediger Sohn mit einem Jahresbruttoeinkommen von 120.000 Euro soll nach der BGH-Entscheidung vom 7.5.2025 (Az. XII ZB 563/24) Elternunterhalt zahlen. Im Folgenden eine Beispielrechnung, die die 100.000‑Euro-Grenze und die vom BGH geforderte zweistufige Prüfung (Selbstbehalt + Quote vom Überschuss) berücksichtigt.

Ausgangsdaten des Beispiels

  • Lediger Sohn, keine Kinder
  • Jahresbrutto: 120.000 Euro → ca. 6.000 Euro netto/Monat (vereinfachte Annahme)
  • Warmmiete: 1.500 Euro
  • Private Altersvorsorge (z. B. ETF, Rürup): 500 Euro/Monat
  • Sonstige Kreditverpflichtungen: 300 Euro/Monat

Die Mutter lebt im Pflegeheim; nach Anrechnung ihrer eigenen Rente und Leistungen der Pflegeversicherung bleiben 900 Euro monatlich ungedeckt, die der Sozialhilfeträger ausgleichen und anschließend beim Sohn regressieren möchte.

Schritt 1: Prüfung der 100.000‑Euro-Grenze (§ 94 Abs. 1a SGB XII)

Mit 120.000 Euro Jahresbrutto liegt der Sohn über der gesetzlichen Grenze von 100.000 Euro.
→ Der Sozialhilfeträger darf grundsätzlich Regress nehmen, die Grenze ersetzt aber nicht die zivilrechtliche Unterhaltsberechnung.

Schritt 2: Bereinigtes Nettoeinkommen

Ausgangspunkt ist das monatliche Nettoeinkommen, bereinigt um anerkannte Vorsorge- und Belastungspositionen.

  • Nettoeinkommen: 6.000 Euro
  • Abzug private Altersvorsorge: 500 Euro
  • Abzug Kreditverpflichtungen: 300 Euro

Bereinigtes Nettoeinkommen:
6.000 Euro – 500 Euro – 300 Euro = 5.200 Euro

Schritt 3: Angemessener Selbstbehalt

Der BGH verlangt einen „angemessenen Selbstbehalt“, der sich am Eigenbedarf beim Unterhalt für volljährige Kinder orientiert und diesen maßvoll übersteigt (Orientierungsgröße häufig ca. 2.650–2.800 Euro, je nach Leitlinien).

Im Beispiel:

  • Selbstbehalt: 2.800 Euro

Überschuss oberhalb des Selbstbehalts:
5.200 Euro – 2.800 Euro = 2.400 Euro

Schritt 4: Quote vom Überschuss nach BGH

Nach XII ZB 563/24 ist nicht das gesamte überschießende Einkommen einzusetzen, sondern regelmäßig nur ein Anteil (z. B. 50–70%), damit der eigene Lebensstandard und die Altersvorsorge gewahrt bleiben.
Im Beispiel wird – realistisch zwischen Mitte und Obergrenze – mit 60% gearbeitet:

  • 60% von 2.400 Euro = 1.440 Euro

Theoretisch verfügbarer Betrag für Elternunterhalt: 1.440 Euro/Monat.

Da der ungedeckte Bedarf der Mutter 900 Euro beträgt, ist der Sohn in diesem Beispiel vollständig leistungsfähig und müsste die vollen 900 Euro Elternunterhalt zahlen.

Variante: Höhere Wohnkosten und stärkere Vorsorge

Gleicher Bruttolohn (120.000 Euro), aber:

  • Warmmiete: 2.200 Euro
  • Altersvorsorge: 800 Euro
  • Kredit: 400 Euro

Dann könnte das Gericht – entsprechend XII ZB 563/24 – die Vorsorgequote höher anerkennen und die Quote vom Überschuss eher bei 50% als bei 60–70% ansetzen, um die besondere Belastung abzubilden. Ergebnis:

  • Bereinigtes Netto (vereinfachend): 6.000 – 800 – 400 = 4.800 Euro
  • Selbstbehalt 2.800 Euro → Überschuss 2.000 Euro
  • 50% davon = 1.000 Euro theoretisch einsetzbar

Der Sohn bliebe zwar leistungsfähig, müsste aber z. B. statt 900 Euro nur bis zur tatsächlichen Leistungsgrenze zahlen, falls weitere individuelle Belastungen (z. B. Unterhalt für Kinder) hinzukämen.

Zusammenfassung: Elternunterhalt und Kosten des Pflegeheims

Für unterhaltspflichtige Kinder schafft der Beschluss Rechtssicherheit: Der Elternunterhalt bleibt bestehen, wird aber auf einer klaren, bundesweit einheitlicheren Grundlage bemessen. Wer vom Sozialamt in Anspruch genommen wird, sollte den Mindestselbstbehalt, die Leitlinien des zuständigen Oberlandesgerichts und die 50–70‑Prozent-Regelung für das darüber hinausgehende Einkommen genau prüfen lassen.

Für Sozialhilfeträger bedeutet die Entscheidung, dass sie sich nicht auf sehr großzügige Selbstbehaltsansätze der Instanzgerichte verweisen lassen müssen, sondern auf eine differenzierte Betrachtung drängen können. Anwältinnen und Anwälte im Familien- und Sozialrecht erhalten mit XII ZB 563/24 einen zentralen Referenzbeschluss, der zusammen mit XII ZB 6/24 und XII ZB 148/24 den neuen Rahmen des Elternunterhalts in der „Post-Entlastungsgesetz“-Ära definiert.

Redakteure

  • ik

    Sozialrechtsexperte und Redakteur

    Ingo Kosick ist ein renommierter Experte im Bereich des Sozialrechts in Deutschland. Er engagiert sich seit über 30 Jahren in diesem Feld und hat sich als führende Autorität etabliert. Als Vorsitzender des Vereins Für soziales Leben e.V., der 2005 in Lüdinghausen gegründet wurde, setzt er sich für die Unterstützung von Menschen ein, die von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen sind. Der Verein bietet über das Internet Informationen, Beratung und Unterstützung für sozial benachteiligte Menschen an.

    Ingo Kosick ist zudem ein zentraler Autor und Redakteur auf der Plattform buerger-geld.org, die sich auf Themen wie Bürgergeld, Sozialleistungen, Rente und Kindergrundsicherung spezialisiert hat. Seine Artikel bieten fundierte Analysen und rechtlich aufgearbeitete Informationen, die Menschen in schwierigen Lebenssituationen unterstützen sollen.

    Durch seine langjährige Erfahrung und sein Engagement hat Ingo Kosick maßgeblich dazu beigetragen, dass sozial benachteiligte Menschen in Deutschland besser informiert und unterstützt werden können.

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  • Peter Kosick
    Experte:

    Jurist und Redakteur

    Peter Kosick hat an der Universität Münster Rechtswissenschaften studiert und beide juristische Staatsexamen in Nordrhein-Westfalen mit Erfolg abgelegt. Er arbeitet als freiberuflicher Jurist, ist Autor verschiedener Publikationen und hält Vorträge im Bereich Arbeits- und Sozialrecht. Seit mehr als 30 Jahren engagiert er sich im sozialen Bereich und ist seit der Gründung des Vereins "Für soziales Leben e.V." dort Mitglied. Peter Kosick arbeitet in der Online Redaktion des Vereins und ist der CvD. Seinen Artikeln sieht man an, dass sie sich auf ein fundiertes juristisches Fachwissen gründen.

    Peter hat ebenfalls ein Herz für die Natur, ist gern "draußen" und setzt sich für den Schutz der Umwelt ein.

    Seine Arbeit im Redaktionsteam von buerger-geld.org gibt ihm das Gefühl,  etwas Gutes für das Gemeinwohl zu tun.

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