Rückwirkende Neufestsetzung des GdB und gültiger Schwerbehindertenausweis
Der klagende Steuerpflichtige war als schwerbehindert anerkannt (GdB von 80 und Merkzeichen “G”) und nutzte die damit verbundenen steuerlichen Vorteile, z.B. erhöhte Fahrtkostenpauschalen im Rahmen der Einkommensteuer. In einem späteren Neufeststellungsverfahren wurde sein GdB jedoch rückwirkend auf unter 50 herabgesetzt. Der Ausweis als amtlicher Nachweis über die Behinderung war zwar weiterhin gültig, aber der Bescheid zur Herabsetzung lag vor.
Das Finanzamt erkannte daraufhin für die betreffenden Jahre die steuerlichen Vergünstigungen nicht mehr an, da die Herabsetzung des GdB im Steuerrecht maßgeblich sei.
Bundesfinanzhof: nicht Schwerbehindertenausweis, sondern Feststellungsbescheid entscheidet über Steuervergünstigung
Der BFH entschied: Im Einkommensteuerrecht kommt es für die Steuervergünstigungen ausschließlich auf das Datum des Neufeststellungsbescheids zum GdB an, nicht auf die Gültigkeit des Schwerbehindertenausweises. Sobald ein neuer Bescheid den GdB mindert und kein Anspruch mehr auf das Merkzeichen besteht, entfallen die steuerlichen Vorteile – und zwar ab dem im Bescheid genannten Zeitpunkt.
Die bisher oft angenommene “Schutzfrist” von mehreren Monaten, während derer der alte Ausweis noch fortgeltend war, findet im Steuerrecht keine Anwendung.
Urteilsgründe im Detail
Keine steuerliche Schutzfrist
Das Gericht argumentierte, dass § 9 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 EStG (Fahrtkostenpauschalen für Schwerbehinderte) keine Schutzvorschrift gemäß dem Behindertenrecht, insbesondere § 116 SGB IX (heute § 199 SGB IX), enthält. Steuerliche Begünstigungen erfordern eine aktuelle und anerkannte Schwerbehinderung – maßgeblich ist allein der Änderungsbescheid der zuständigen Behörde.
Bedeutung des Schwerbehindertenausweises
Entscheidend für die Steuer ist damit nicht mehr die bloße Vorlage des Ausweises, sondern der aktuelle Sachstand laut Feststellungsbescheid. Wird der GdB nachträglich gemindert, entfallen die Steuervergünstigungen sofort ab diesem Zeitpunkt.
Bindungswirkung von Feststellungsbescheiden
Feststellungen des Versorgungsamts zum GdB wirken als sogenannter Grundlagenbescheid auf die Finanzverwaltung. Eine Änderung ist nicht von einer Schutzfrist abhängig, sondern tritt direkt mit dem neuen Verwaltungsakt ein.
Gesetzliche Regelungen
Folgende Paragraphen und Regelungen sind relevant:
- § 9 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 EStG (Einkommensteuergesetz): Hier sind die Fahrtkostenpauschalen für Menschen mit Behinderung geregelt.
- § 33b EStG: Bestimmt die Behinderten-Pauschbeträge.
- § 116 SGB IX (bis 2018, heute § 199 SGB IX): Regelt die sog. Nachwirkung (Schutzfrist) bei befristeter Feststellung des Behinderungsgrades.
- § 175 AO (Abgabenordnung): Grundlagenbescheid und dessen Wirkung auf die Steuerfestsetzung.
Der BFH stellt klar: Während das SGB IX sozialrechtliche Schutzregelungen bietet, gelten diese im Steuerrecht nicht automatisch.
Folgen für schwerbehinderte Menschen
Die Entscheidung kann zu erheblichen Belastungen führen, wie der konkrete Fall zeigt: Der Steuerpflichtige verlor für zurückliegende Jahre rückwirkend alle steuerlichen Vorteile – einschließlich spezieller Fahrtkosten – und musste nachzahlen. Auch für laufende Steuerjahre entfällt die Begünstigung ab dem Änderungsbescheid, selbst wenn der Ausweis noch nicht abgelaufen ist.
Betroffene sollten jährliche Steuerbescheide und Feststellungsbescheide genau prüfen und ggf. Steuerberater konsultieren.
Fazit: Strenge Konsequenz im Steuerrecht aus Feststellungsbescheid zur Schwerbehinderung
Das BFH-Urteil VI B 95/13 zeigt deutlich: Steuerliche Begünstigungen für Menschen mit Behinderung setzen immer einen aktuellen, rechtskräftigen Anerkennungsbescheid voraus. Der Schwerbehindertenausweis allein reicht nicht aus. Nachträgliche Änderungen werden auch steuerlich sofort wirksam – Schutzfristen nach Sozialrecht gelten im Steuerrecht nicht. Also: gültiger Schwerbehindertenausweis geht aktuellem Feststellungsbescheid im Rang nach!