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Schwerbehindertenausweis schützt nach Neufestsetzung von GdB nicht vor höheren Steuern – Urteil Bundesfinanzhof!

Ein wegweisendes Urteil des Bundesfinanzhofs (Az. VI B 95/13) schafft Klarheit darüber, wie sich die Herabsetzung des Grades der Behinderung (GdB) auf steuerliche Vergünstigungen auswirkt. Im Mittelpunkt steht die Frage, ab wann der Anspruch auf steuerliche Vorteile entfällt, wenn bei einem schwerbehinderten Menschen der GdB neu festgestellt und herabgesetzt wird. Einzelheiten zum Urteil hier auf Bürger & Geld, dem Nachrichtenmagazin des Vereins Für soziales Leben e.V.!

Rückwirkende Neufestsetzung des GdB und gültiger Schwerbehindertenausweis

Der klagende Steuerpflichtige war als schwerbehindert anerkannt (GdB von 80 und Merkzeichen “G”) und nutzte die damit verbundenen steuerlichen Vorteile, z.B. erhöhte Fahrtkostenpauschalen im Rahmen der Einkommensteuer. In einem späteren Neufeststellungsverfahren wurde sein GdB jedoch rückwirkend auf unter 50 herabgesetzt. Der Ausweis als amtlicher Nachweis über die Behinderung war zwar weiterhin gültig, aber der Bescheid zur Herabsetzung lag vor.

Das Finanzamt erkannte daraufhin für die betreffenden Jahre die steuerlichen Vergünstigungen nicht mehr an, da die Herabsetzung des GdB im Steuerrecht maßgeblich sei.

Bundesfinanzhof: nicht Schwerbehindertenausweis, sondern Feststellungsbescheid entscheidet über Steuervergünstigung

Der BFH entschied: Im Einkommensteuerrecht kommt es für die Steuervergünstigungen ausschließlich auf das Datum des Neufeststellungsbescheids zum GdB an, nicht auf die Gültigkeit des Schwerbehindertenausweises. Sobald ein neuer Bescheid den GdB mindert und kein Anspruch mehr auf das Merkzeichen besteht, entfallen die steuerlichen Vorteile – und zwar ab dem im Bescheid genannten Zeitpunkt.

Die bisher oft angenommene “Schutzfrist” von mehreren Monaten, während derer der alte Ausweis noch fortgeltend war, findet im Steuerrecht keine Anwendung.

Urteilsgründe im Detail

Keine steuerliche Schutzfrist

Das Gericht argumentierte, dass § 9 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 EStG (Fahrtkostenpauschalen für Schwerbehinderte) keine Schutzvorschrift gemäß dem Behindertenrecht, insbesondere § 116 SGB IX (heute § 199 SGB IX), enthält. Steuerliche Begünstigungen erfordern eine aktuelle und anerkannte Schwerbehinderung – maßgeblich ist allein der Änderungsbescheid der zuständigen Behörde.

Bedeutung des Schwerbehindertenausweises

Entscheidend für die Steuer ist damit nicht mehr die bloße Vorlage des Ausweises, sondern der aktuelle Sachstand laut Feststellungsbescheid. Wird der GdB nachträglich gemindert, entfallen die Steuervergünstigungen sofort ab diesem Zeitpunkt.

Bindungswirkung von Feststellungsbescheiden

Feststellungen des Versorgungsamts zum GdB wirken als sogenannter Grundlagenbescheid auf die Finanzverwaltung. Eine Änderung ist nicht von einer Schutzfrist abhängig, sondern tritt direkt mit dem neuen Verwaltungsakt ein.

Gesetzliche Regelungen

Folgende Paragraphen und Regelungen sind relevant:

  • § 9 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 EStG (Einkommensteuergesetz): Hier sind die Fahrtkostenpauschalen für Menschen mit Behinderung geregelt.
  • § 33b EStG: Bestimmt die Behinderten-Pauschbeträge.
  • § 116 SGB IX (bis 2018, heute § 199 SGB IX): Regelt die sog. Nachwirkung (Schutzfrist) bei befristeter Feststellung des Behinderungsgrades.
  • § 175 AO (Abgabenordnung): Grundlagenbescheid und dessen Wirkung auf die Steuerfestsetzung.

Der BFH stellt klar: Während das SGB IX sozialrechtliche Schutzregelungen bietet, gelten diese im Steuerrecht nicht automatisch.

Folgen für schwerbehinderte Menschen

Die Entscheidung kann zu erheblichen Belastungen führen, wie der konkrete Fall zeigt: Der Steuerpflichtige verlor für zurückliegende Jahre rückwirkend alle steuerlichen Vorteile – einschließlich spezieller Fahrtkosten – und musste nachzahlen. Auch für laufende Steuerjahre entfällt die Begünstigung ab dem Änderungsbescheid, selbst wenn der Ausweis noch nicht abgelaufen ist.

Betroffene sollten jährliche Steuerbescheide und Feststellungsbescheide genau prüfen und ggf. Steuerberater konsultieren.

Fazit: Strenge Konsequenz im Steuerrecht aus Feststellungsbescheid zur Schwerbehinderung

Das BFH-Urteil VI B 95/13 zeigt deutlich: Steuerliche Begünstigungen für Menschen mit Behinderung setzen immer einen aktuellen, rechtskräftigen Anerkennungsbescheid voraus. Der Schwerbehindertenausweis allein reicht nicht aus. Nachträgliche Änderungen werden auch steuerlich sofort wirksam – Schutzfristen nach Sozialrecht gelten im Steuerrecht nicht. Also: gültiger Schwerbehindertenausweis geht aktuellem Feststellungsbescheid im Rang nach!

Quelle

Bundesfinanzhof, Urteil VI B 95/13

Redakteure

  • Peter Kosick

    Jurist und Redakteur

    Peter Kosick hat an der Universität Münster Rechtswissenschaften studiert und beide juristische Staatsexamen in Nordrhein-Westfalen mit Erfolg abgelegt. Er arbeitet als freiberuflicher Jurist, ist Autor verschiedener Publikationen und hält Vorträge im Bereich Arbeits- und Sozialrecht. Seit mehr als 30 Jahren engagiert er sich im sozialen Bereich und ist seit der Gründung des Vereins "Für soziales Leben e.V." dort Mitglied. Peter Kosick arbeitet in der Online Redaktion des Vereins und ist der CvD. Seinen Artikeln sieht man an, dass sie sich auf ein fundiertes juristisches Fachwissen gründen. Peter hat ebenfalls ein Herz für die Natur, ist gern "draußen" und setzt sich für den Schutz der Umwelt ein. Seine Arbeit im Redaktionsteam von buerger-geld.org gibt ihm das Gefühl,  etwas Gutes für das Gemeinwohl zu tun.

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  • ik
    Experte:

    Sozialrechtsexperte und Redakteur

    Ingo Kosick ist ein renommierter Experte im Bereich des Sozialrechts in Deutschland. Er engagiert sich seit über 30 Jahren in diesem Feld und hat sich als führende Autorität etabliert. Als Vorsitzender des Vereins Für soziales Leben e.V., der 2005 in Lüdinghausen gegründet wurde, setzt er sich für die Unterstützung von Menschen ein, die von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen sind. Der Verein bietet über das Internet Informationen, Beratung und Unterstützung für sozial benachteiligte Menschen an. Ingo Kosick ist zudem ein zentraler Autor und Redakteur auf der Plattform buerger-geld.org, die sich auf Themen wie Bürgergeld, Sozialleistungen, Rente und Kindergrundsicherung spezialisiert hat. Seine Artikel bieten fundierte Analysen und rechtlich aufgearbeitete Informationen, die Menschen in schwierigen Lebenssituationen unterstützen sollen. Durch seine langjährige Erfahrung und sein Engagement hat Ingo Kosick maßgeblich dazu beigetragen, dass sozial benachteiligte Menschen in Deutschland besser informiert und unterstützt werden können.

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