Versorgungsausgleich: Grundidee der gerechten Rente nach der Ehe
Der Versorgungsausgleich ist ein zentrales familienrechtliches Verfahren in Deutschland (§§ 1587 ff. BGB, später Versorgungsausgleichsgesetz/VG). Sein Zweck: Eine gerechte Aufteilung von Rentenansprüchen, die während der Ehezeit erworben wurden.
Das bedeutet: Wer beispielsweise während der Ehe gearbeitet und dadurch Rentenpunkte gesammelt hat, teilt diese anteilig mit dem anderen Ehepartner, der womöglich Kindererziehung oder Hausarbeit übernommen hat. Damit soll eine Benachteiligung von Ehepartnern ohne eigenes Einkommen verhindert werden.
Wichtig: Maßgeblich sind nicht nur Rentenpunkte bei der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern alle relevanten Alters- und Versorgungsansprüche – dazu gehören auch betriebliche Altersvorsorge, private Rentenversicherungen oder Beamtenpensionen.
Wie funktioniert die Berechnung? – Die Rolle der Ehezeit
1. Ehezeit als Kernkriterium
Die sogenannte „Ehezeit“ für den Versorgungsausgleich wird nach § 3 Abs. 1 Versorgungsausgleichsgesetz (VersAusglG) festgelegt. Sie beginnt mit dem Monat der Eheschließung und endet mit dem Monat, in dem der Scheidungsantrag eingeht.
Beispiel:
- Eheschließung: 15. Juli 2005
- Scheidungsantrag beim Gericht: 10. Februar 2019
➡️ Ehezeit = August 2005 bis Februar 2019
2. Berechnung der Rentenanwartschaften
Jeder Ehepartner erhält von seiner Rentenversicherung eine Mitteilung über die während der Ehezeit erworbenen Rentenanwartschaften. Diese werden in sogenannte Entgeltpunkte (Rentenpunkte) umgerechnet.
- Partner A: 25,0 Rentenpunkte
- Partner B: 10,0 Rentenpunkte
➡️ Differenz: 15,0 Punkte
➡️ Ausgleich: Partner A gibt 7,5 Punkte an Partner B ab.
Nach der Scheidung verfügen beide Partner je über 17,5 Punkte (für die Ehezeit).
3. Ausgleich auch bei Beamten und Selbstständigen
Bei Beamten erfolgt die Berechnung nicht über Rentenpunkte, sondern über Pensionsansprüche. Auch diese werden geteilt. Selbstständige ohne Rentenversicherungspflicht können einbezogen werden, wenn sie private Vorsorgeverträge abgeschlossen haben.
Welche Ansprüche werden im Versorgungsausgleich berücksichtigt?
Folgende Versorgungen können im Ausgleich berücksichtigt werden:
- Gesetzliche Rentenversicherung (DRV – Deutsche Rentenversicherung)
- Betriebsrenten (z. B. Direktversicherungen, Pensionsfonds)
- Private Altersvorsorgeverträge (Riester, Rürup, private Rentenversicherung)
- Beamtenpensionen
- Versorgungsanrechte aus berufsständischen Versorgungswerken (z. B. Ärzte, Rechtsanwälte)
Nicht berücksichtigt werden hingegen:
- Kapitallebensversicherungen ohne Rentenoption
- Vermögen, Sparguthaben, Immobilien oder Erbschaften → Diese werden gesondert im Zugewinnausgleich behandelt.
Sonderfälle beim Versorgungsausgleich
Kurze Ehen
Besteht die Ehe kürzer als drei Jahre, wird kein Versorgungsausgleich durchgeführt – es sei denn, ein Ehepartner beantragt ihn ausdrücklich.
Ausschluss durch Vereinbarung
Ehepartner können den Versorgungsausgleich im Ehevertrag ausschließen oder individuell regeln. Dies muss jedoch notariell beurkundet werden.
Härtefälle
Ein Versorgungsausgleich kann ausgeschlossen werden, wenn er „grob unbillig“ wäre (§ 27 VersAusglG) – zum Beispiel bei schwerem Fehlverhalten eines Ehepartners oder bei extrem unverhältnismäßiger Benachteiligung.
Auslandsscheidungen
Bei binationalen Ehen oder Scheidungen im Ausland entscheidet das internationale Privatrecht, ob ein Versorgungsausgleich nach deutschem Recht stattfindet.
Praktische Auswirkungen: Wie wirkt sich die Scheidung später auf die Rente aus?
Die größte Konsequenz zeigt sich bei der gesetzlichen Altersrente:
- Durch die Übertragung von Rentenpunkten steigt die spätere Rente desjenigen Ehepartners, der weniger verdient hat.
- Gleichzeitig sinkt die Rente desjenigen, der mehr Punkte erworben hat.
Da ein Rentenpunkt derzeit (2025) einen Wert von 40,79 € im Westen beziehungsweise 40,79 € im Osten hat (seit 1. Juli 2025 gilt ein einheitlicher Rentenwert), können diese Übertragungen spürbare Unterschiede ausmachen.
Beispielrechnung:
- 10 Punkte Übertragung = 10 × 40,79 € = 407,90 € weniger Rente für Partner A
- 10 Punkte Übertragung = 407,90 € mehr Rente für Partner B
Verfahren: Wie läuft der Versorgungsausgleich praktisch ab?
- Antrag auf Scheidung beim Familiengericht
Der Versorgungsausgleich wird automatisch vom Gericht geprüft. - Formular der Deutschen Rentenversicherung
Das Familiengericht fordert beide Ehepartner auf, sämtliche Informationen zu Renten- und Vorsorgeansprüchen offenzulegen. - Ermittlung der Anwartschaften
Die Versorgungsträger (z. B. DRV, Versorgungswerke, Versicherungen) werden vom Gericht angeschrieben und liefern Berechnungen. - Gerichtlicher Ausgleichsbeschluss
Das Familiengericht spricht den Ausgleich mit einem Beschluss zu. Dieser ist verbindlich und wird an die jeweiligen Rentenversicherungsträger weitergeleitet.
Der Versorgungsausgleich stellt sicher, dass während der Ehe gemeinsam erworbene Rentenanwartschaften fair zwischen den Ehepartnern aufgeteilt werden. Wie das Verfahren im Detail abläuft und welche Rechte und Pflichten die Beteiligten haben, erklären offizielle Stellen wie die Deutsche Rentenversicherung ausführlich und verständlich.
Auswirkungen auf Witwen- und Witwerrenten
Auch künftige Ansprüche auf Hinterbliebenenrente können beeinflusst werden. Entscheidend ist, wie hoch die durch den Versorgungsausgleich veränderten Rentenanwartschaften zum Zeitpunkt des Todes des geschiedenen Ehepartners sind. In der Regel gilt: Eine geschiedene Ehefrau oder ein geschiedener Ehemann hat keinen Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente, nur auf den Versorgungsausgleich.
Steuerliche Aspekte des Versorgungsausgleichs
- Rentenzahlungen nach Versorgungsausgleich unterliegen der nachgelagerten Besteuerung.
- Übertragene Rentenpunkte erhöhen die steuerpflichtige Rente beim Empfänger.
- Bei privaten Rentenversicherungen entstehen teilweise schwierige steuerliche Konstellationen, die im Einzelfall geprüft werden müssen.
Vor- und Nachteile des Versorgungsausgleichs
Vorteile:
- Gerechte Verteilung der Rentenansprüche
- Schutz nicht erwerbstätiger Ehepartner (z. B. wegen Kindererziehung)
- Automatisches Verfahren ohne zusätzliche Kosten
Nachteile:
- Kürzung der eigenen Rente bei höherem Verdienst
- Längere Verfahren durch komplizierte Anrechte (besonders bei Betriebsrenten)
- Mitunter als ungerecht empfunden, wenn ein Partner mehr Eigenvorsorge betrieben hat
FAQ – Häufig gestellte Fragen
Kann man den Versorgungsausgleich verhindern?
Ja, durch einen notariellen Ehevertrag. Allerdings prüft das Gericht, ob die Vereinbarung sittenwidrig ist.
Was passiert, wenn einer der Partner neu heiratet?
Neuvermählungen haben keinen Einfluss auf den bereits vollzogenen Versorgungsausgleich.
Gilt der Ausgleich auch nach langer Trennung ohne Scheidung?
Nein. Nur durch eine gerichtliche Scheidung wird ein Versorgungsausgleich ausgelöst.
Ist der Versorgungsausgleich endgültig?
Ja. Nach Rechtskraft des Beschlusses ist er bindend und kann nur in seltenen Ausnahmefällen geändert werden (z. B. wenn später eine erhebliche Täuschung festgestellt wird).
Werden auch Auslandspensionen geteilt?
Die Einbeziehung hängt von internationalen Abkommen und Anerkennungsregelungen ab.
Fazit – Der Versorgungsausgleich als zentrale Säule sozialer Gerechtigkeit
Der Versorgungsausgleich sorgt dafür, dass Ehen rentenrechtlich fair behandelt werden und insbesondere Partner ohne eigenes Einkommen nicht benachteiligt sind. Auch wenn er für Gutverdiener schmerzliche Kürzungen bringt, ist er eine tragende Säule der sozialen Gerechtigkeit im Familien- und Rentenrecht.
Besonders wichtig ist, dass Betroffene ihre individuellen Ansprüche genau prüfen, sich rechtzeitig bei der Deutschen Rentenversicherung informieren und ggf. anwaltliche Beratung in Anspruch nehmen. Denn gerade bei Betriebs- oder privaten Renten können Details entscheidend sein.