Ein Leben lang gearbeitet – und dann das?
„Ich kann mit 64 Jahren und zehn Monaten abschlagsfrei in Rente gehen – nach fast 49 Jahren Arbeit! Das ist wirklich verdient“, schreibt Gerhard Bayer, Jahrgang 1963. Andere berichten von ihren Enttäuschungen: „Ich gehe mit 63 Jahren mit einem Abschlag von 14,4 Prozent in Rente, obwohl ich 46 Jahre gearbeitet habe“, klagt René. Besonders hart ist es für Menschen, die früh ihren Beruf gar nicht mehr ausüben können: Ramona sagt, sie müsse noch drei Jahre schuften, um ohne Abschläge gehen zu dürfen, aber sie schaffe das körperlich gar nicht mehr. Viele fragen sich, ob sie ihre Gesundheit nicht vollends aufs Spiel setzen, nur um ein paar Euro Rente mehr zu retten.
Warum immer weniger Arbeitnehmer tatsächlich mit 63 abschlagsfrei in Rente gehen können
Der Begriff „Rente mit 63“ sorgt heute oft für Verwirrung. Nur die Jahrgänge 1951 und 1952 konnten wirklich mit 63 Jahren abschlagsfrei in den Ruhestand. Danach wurde das Einstiegsalter Schritt für Schritt erhöht. Wer heute zwischen 1960 und 1964 geboren ist, erreicht die abschlagsfreie Rente für besonders langjährig Versicherte erst mit 64 oder 65 Jahren – vorausgesetzt, es kommen 45 Versicherungsjahre zusammen.
Eine Frau fasst es so zusammen: „Früher habe ich gedacht, ich schaffe es mit 63 in Rente. Als ich dann erfahren habe, dass ich als Jahrgang 1960 bis 64 und vier Monate warten muss, fiel mir das wie Schuppen von den Augen.“
Die juristische Falle: Die 24-Monats-Regel
Doch selbst wenn alle Versicherungsjahre zusammenkommen, gibt es eine bürokratische Hürde, die viele übersehen: die 24-Monats-Regel. Wer nämlich in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn Arbeitslosengeld I bezieht (außer bei Insolvenz oder vollständiger Geschäftsaufgabe), dem werden diese Monate bei den 45 Versicherungsjahren NICHT angerechnet.
So passiert es, dass Menschen nach Jahrzehnten harter Arbeit kurz vor der Ziellinie ausgebremst werden – sei es durch Umstrukturierungen, Krankheit oder schlicht Pech am Arbeitsmarkt. „Ich habe 48 Jahre als Dachdecker gearbeitet und war gesundheitlich angeschlagen“, berichtet Gerold Pfister, Jahrgang 1959. „Nach einer langen Krankschreibung und fast zwei Jahren Arbeitslosigkeit wurden mir die Monate für die Rente nicht gezählt. Das war bitter. Am Ende bekam ich zwar meine Rente, aber auch eine dauerhafte Kürzung.“ Viele empfinden die Rente als späte Gerechtigkeit – oder als große Enttäuschung.
Die Folgen: Weniger Rente, mehr Unsicherheit
Zwei Probleme entstehen dadurch:
Erstens erreichen viele die magische Grenze von 45 Jahren nicht, obwohl sie ihr gesamtes Berufsleben lang gearbeitet haben. Zweitens bleiben beim vorzeitigen Renteneintritt oft nur Renten mit hohen Abschlägen – bis zu 14,4 Prozent weniger für den Rest des Lebens. „Was ich jetzt als Rente bekomme, ist ein Lacher“, so wird ein Betroffener zitiert. Finanzielle Engpässe treten ein; der sorglos geplante Ruhestand schrumpft massiv.
Wer kann noch wirklich mit 63 abschlagsfrei gehen?
Am einfachsten ist die Antwort: Heute fast niemand mehr. Nur für die Jahrgänge 1951/1952 galt diese echte Ausnahmeregelung. Danach wurde die Hürde jedes Jahr ein wenig höher gelegt:
Jahrgang 1953 startet mit 63 Jahren und zwei Monaten,
Jahrgang 1958 schon erst mit 64 Jahren,
ab 1964 ist die Grenze bei 65 Jahren erreicht.
Junge Arbeitnehmer können also von der „Rente mit 63“ nur noch träumen – für sie bleibt dieses Versprechen eine historische Fußnote.
Warum gibt es diese Regel überhaupt?
Die Politik wollte verhindern, dass Arbeitslosengeld als „Brücke“ in die Rente genutzt wird. Das sollte den Rententopf schützen – führt aber häufig dazu, dass ehrliche Erwerbstätige, die ihren Job unverschuldet verlieren, am Ende finanziell bestraft werden.
Die emotionale Seite: Unsicherheiten und Hoffnungen
Viele erleben die Rente als emotionales Wechselbad: Hoffnung auf Freiheit, Enttäuschung über die Höhe der Zahlungen, Angst vor Armut, Freude über gewonnene Zeit, aber auch Unsicherheit, ob das Geld reicht. Einige freuen sich auf den Ausstieg: „Ich habe früher schon 600 Euro monatlich zur Seite gelegt, meine Lebensfreude steigt mit der neu gewonnenen Freiheit und Zeit für Familie und Hobbys.“ Andere müssen sich nach Rückschlägen und Entlassungen erst neu erfinden, erleben Sorgen um Gesundheit und soziale Einsamkeit.
Wie sollen Betroffene reagieren?
Am wichtigsten ist frühzeitige Planung. Nur wer das eigene Geburtsjahr, die aktuelle Gesetzeslage und die Tücken der 24-Monats-Regel kennt, kann Überraschungen vermeiden. Regelmäßige Renteninformation, individuelle Beratung – etwa bei der Deutschen Rentenversicherung oder bei Sozialverbänden – und eine ehrliche Lebensplanung helfen, Risiken zu erkennen und gegenzusteuern.
Doch am Ende bleibt eine bittere Wahrheit: Rente mit 63 – das ist für die meisten Arbeitnehmer heute nicht mehr erreichbar. Wer sicher im Ruhestand leben will, muss das System kennen, Alternativen prüfen und notfalls Einschnitte akzeptieren.
Fazit
Die Generation, die Jahrzehnte lang zum Wohlstand des Landes beigetragen hat, fühlt sich oft um den verdienten Lohn gebracht. „Ich hoffe, dass ich meine Rente überhaupt lange und in Gesundheit genießen kann“, schreibt ein langjährig Versicherter. Dem bleiben nur Hoffnung, gute Planung – und der Realismus, dass Träume wie die abschlagsfreie Rente mit 63 in Deutschland heute nur noch für wenige wahr werden.