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Kleine Rente, große Folgen: Wie eine Mini-Rente Rentnerinnen aus der Familienversicherung wirft

Dieser Artikel auf Bürger & Geld, dem Nachrichtenmagazin des Vereins Für soziales Leben e. V., beleuchtet einen aktuellen Fall vor dem Landesozialgericht Berlin-Brandenburg. Eine Rentnerin verlor ihre Familienversicherung, weil ihre ausländische Mini-Rente als Einkommen gewertet wurde – mit weitreichenden Folgen für viele Betroffene.

Fallstudie: Wenn die ausländische Rente die Krankenversicherung gefährdet

Eine Frau, Jahrgang 1957, lebt seit 2008 in Deutschland. 2011 heiratet sie einen gesetzlich versicherten Mann und ist fortan über die Familienversicherung kostenfrei mitversichert. Sie selbst arbeitet nicht, bezieht jedoch eine kleine Altersrente aus Polen. Eine deutsche Rente beantragte sie nie. Was auf den ersten Blick unproblematisch wirkt, führte Jahre später zu einem Gerichtsverfahren.

Der Grund: Auch ausländische Rentenzahlungen gelten in Deutschland als Einkommen. Diese Anrechnung kann die Einkommensgrenze für die Familienversicherung überschreiten und so den Verlust des Versicherungsschutzes nach sich ziehen. Genau das geschah im vorliegenden Fall – und musste letztlich vor dem Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg geklärt werden.

Rechtlicher Hintergrund: Familienversicherung in Deutschland

Die Familienversicherung innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gilt als eine der sozialpolitisch wichtigsten Absicherungen. Ehepartner und Kinder können ohne eigene Beiträge kostenlos versichert werden – allerdings nur, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind:

  • Hauptversicherte Person ist Mitglied in der GKV.
  • Ehegatten bzw. Kinder dürfen nur ein geringfügiges Einkommen haben.
  • Diese Einkommensgrenze liegt aktuell bei 485 Euro monatlich (2025), für Minijobs bei 520 Euro.

Alles, was als Einkommen gilt (Renten, Zinsen, Miet- und Kapitaleinnahmen), wird vollständig berücksichtigt – egal ob die Einkünfte aus Deutschland oder dem Ausland stammen.

Im Fall der Klägerin entschied das Gericht: Die polnische Altersrente ist Einkommen nach den Regeln des Sozialgesetzbuchs (SGB V). Damit überschritt sie die zulässige Grenze, verlor die Beitragsfreiheit und musste sich eigene Krankenversicherungsbeiträge sichern.

Das Urteil des Landesozialgerichts Berlin-Brandenburg

Das Gericht bestätigte klar:

  • Auch eine Mini-Rente aus dem Ausland hebt den Ausschluss der Familienversicherung aus.
  • Die Klägerin muss sich als eigenständiges Mitglied der GKV versichern.
  • Eine Rückkehr in die kostenfreie Familienversicherung ist ausgeschlossen, solange die Einkommensgrenzen überschritten werden.

Das Urteil zeigt: Unwissenheit schützt nicht vor Rechtsfolgen. Selbst geringe ausländische Renten führen zum Verlust der Versicherungsfreiheit.

Folgen für Betroffene: Finanzielle Belastung durch Eigenversicherung

Die meisten Betroffenen merken das Problem erst, wenn die Krankenkasse ihre Familienversicherung überprüft oder einen Abgleich mit Rentenbehörden durchführt. Dann kann die Überraschung groß sein – im schlimmsten Fall sogar mit Nachzahlungen.

Für die Klägerin bedeutete das:

  • Statt kostenfreier Mitversicherung muss sie eigene Beiträge zahlen.
  • Die monatlichen Kosten können je nach Krankenkasse und Beitragssatz spürbar sein, oft über 200 Euro pro Monat.
  • Besonders für Menschen mit geringen Auslandseinkünften bedeutet dies eine enorme Zusatzbelastung.

Europäische Dimension: Rentenkoordinierung und deutsche Krankenkassen

Deutschland ist durch europäische Regelungen verpflichtet, Renten aus anderen EU-Mitgliedsstaaten voll anzurechnen. Das gilt für:

  • Polen, Tschechien, Rumänien, Bulgarien
  • aber auch für Staaten wie Italien, Spanien oder Frankreich.

Wer in mehreren Ländern Versicherungszeiten gesammelt hat, erhält später Renten aus verschiedenen Quellen – und gerät schnell in die Anrechnungsfalle.

Prävention: Was Versicherte tun können

Damit es nicht zu bösen Überraschungen kommt, empfiehlt es sich:

  1. Frühzeitige Information: Bei der Krankenkasse nachfragen, welche Einkünfte relevant sind.
  2. Renten aus dem Ausland melden: Auch kleine Beträge müssen angegeben werden.
  3. Einkommensgrenzen im Blick behalten: Jede Überschreitung kostet die Familienversicherung.
  4. Alternative prüfen: Freiwillige Mitgliedschaft in der GKV oder, wenn möglich, private Absicherungen vergleichen.

Experteneinschätzung: Gesetzgeberische Klarstellung notwendig

Fachanwälte und Sozialverbände kritisieren regelmäßig, dass die Regeln für die Familienversicherung zu rigide sind. Eine Mini-Rente von vielleicht 70 Euro monatlich kann denselben Ausschluss bewirken wie ein Nebeneinkommen von mehreren Hundert Euro.

Das sorgt für Unverhältnismäßigkeit: Menschen mit kleinen Rentenanwartschaften werden oft stärker belastet als gedacht. Der Gesetzgeber müsste hier prüfen, ob Bagatellgrenzen oder gestaffelte Modelle sinnvoll wären.

FAQ: Häufige Fragen zur Familienversicherung und Rente

Zählt eine kleine ausländische Rente wirklich als Einkommen?

Ja. Jede Rentenzahlung, egal aus welchem Land, wird beim Gesamteinkommen berücksichtigt.

Kann man diese Anrechnung verhindern?

Nein, es handelt sich um klare gesetzliche Vorgaben des SGB V.

Was passiert, wenn ich die Rente nicht melde?

Verschweigen kann zu erheblichen Nachzahlungen und sogar strafrechtlichen Folgen führen.

Wie hoch sind die aktuellen Einkommensgrenzen für die Familienversicherung?

2025: 485 Euro monatlich (ohne Minijob), 520 Euro bei Minijob.

Könnte man in die private Krankenversicherung wechseln?

Nur wenn die Voraussetzungen gegeben sind – für ältere Menschen meist kaum realistisch.

Fazit: Ein Einzelfall mit Signalwirkung

Das Urteil zeigt deutlich, dass jede Einkunftsart zählt – auch im Ausland erworbene Mini-Renten. Für viele Menschen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland leben, kann das unerwartet zum Problem werden.

Die Entscheidung des Landesozialgerichts Berlin-Brandenburg macht klar: Familienversicherung ist an strenge Regeln gebunden. Betroffene sollten sich rechtzeitig informieren, um böse Überraschungen zu vermeiden.

So sehr die Familienversicherung Solidarität abbildet – im Einzelfall kann ihre strenge Ausgestaltung den sozialen Schutzzweck auch konterkarieren. Für eine gerechtere Lösung wären politische Nachjustierungen dringend geboten.

Redakteur

  • Peter Kosick

    Jurist und Redakteur

    Peter Kosick hat an der Universität Münster Rechtswissenschaften studiert und beide juristische Staatsexamen in Nordrhein-Westfalen mit Erfolg abgelegt. Er arbeitet als freiberuflicher Jurist, ist Autor verschiedener Publikationen und hält Vorträge im Bereich Arbeits- und Sozialrecht. Seit mehr als 30 Jahren engagiert er sich im sozialen Bereich und ist seit der Gründung des Vereins "Für soziales Leben e.V." dort Mitglied. Peter Kosick arbeitet in der Online Redaktion des Vereins und ist der CvD. Seinen Artikeln sieht man an, dass sie sich auf ein fundiertes juristisches Fachwissen gründen. Peter hat ebenfalls ein Herz für die Natur, ist gern "draußen" und setzt sich für den Schutz der Umwelt ein. Seine Arbeit im Redaktionsteam von buerger-geld.org gibt ihm das Gefühl,  etwas Gutes für das Gemeinwohl zu tun.

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