Warum die Diskussion um die Rente mit 70 hochkocht
Kaum ein Thema erhitzt die Gemüter in Deutschland derzeit so stark wie die Frage nach der Anhebung des Renteneintrittsalters. Angesichts des demografischen Wandels und einer alternden Gesellschaft wird die Forderung nach einer Rente mit 70 immer häufiger laut. Während die einen darin einen unausweichlichen Schritt sehen, um die langfristige Finanzierung der Renten zu sichern, warnen andere vor sozialen Ungerechtigkeiten und Überlastung der Arbeitnehmer. Doch wer will die Rente mit 70 wirklich vorantreiben, wer lehnt sie ab, welche Vorteile könnte sie mit sich bringen – und welche anderen Wege gibt es, die Rente nachhaltig abzusichern?
Wer fordert die Rente mit 70?
Die Befürworter einer Anhebung des Renteneintrittsalters kommen häufig aus der Politik, von Wirtschaftsverbänden und auch von Teilen der Forschung.
Junge Union (JU):
Die Nachwuchsorganisation der CDU/CSU hat sich mehrfach für eine Rente mit 70 ausgesprochen. Ihr Argument: Junge Generationen müssten die Lasten der älteren tragen, und ohne Anpassungen drohe eine finanzielle Schieflage. Die JU fordert daher, das Rentenalter an die steigende Lebenserwartung zu koppeln.
Arbeitgeberverbände:
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und andere Wirtschaftslobbys betonen, dass längere Erwerbszeiten notwendig seien, um die Rentenkassen zu entlasten und den Fachkräftemangel zu entschärfen.
Wirtschaftsnahe Institute:
Insbesondere das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) und teilweise auch die Wirtschaftsweisen haben eine Anhebung des Rentenalters als „realistisch“ und „alternativlos“ bezeichnet. Sie warnen: Ohne solche Anpassungen würden die Beitragssätze massiv ansteigen.
Teile der CDU/CSU:
Einige Spitzenpolitiker in CDU und CSU zeigen sich zumindest offen für eine Diskussion über die Rente mit 70. Argumentiert wird, dass sonst zusätzliche Belastungen für die jüngere Generation unausweichlich sind.
Wer lehnt die Rente mit 70 ab?
Mindestens ebenso laut sind die Stimmen der Gegner:
Arbeitnehmerflügel der CDU (CDA) & Karl-Josef Laumann:
Laumann, CDU-Sozialpolitiker und NRW-Arbeitsminister, gilt als Stimme der Arbeitnehmer. Er sprach sich klar gegen die Rente mit 70 aus und nannte sie „Lebensrealitäts-fremd“ für Menschen in körperlich harten Berufen. Damit stellt er sich innerhalb der CDU gegen Teile der Jungen Union.
Gewerkschaften (DGB, ver.di, IG Metall):
Die großen Arbeitnehmervertretungen warnen, dass eine Rente mit 70 für viele Beschäftigte schlicht unmöglich ist. Schon heute erreichen viele Beschäftigte in Pflege oder Bauarbeit nicht einmal das derzeitige Renteneintrittsalter von 67 gesund.
Sozialverbände:
Organisationen wie Der Paritätische Wohlfahrtsverband, die Sozialverbände VdK und SoVD oder Für soziales Leben e.V. warnen, dass die Rente mit 70 vor allem Geringverdiener treffen würde. Wer früher aus gesundheitlichen Gründen aufhört, bekäme empfindliche Abschläge.
SPD, Grüne und Linke:
Die linken Parteien lehnen eine Rente mit 70 grundsätzlich ab. Sie sehen darin eine unsoziale Maßnahme, die bestehende Ungleichheiten im Alter verschärfen würde. SPD und Grüne setzen eher auf eine breitere Finanzierungsbasis (Einbeziehung von Selbstständigen und Beamten), die Linke fordert langfristig sogar eine Mindestrente.
Bevölkerung allgemein:
Umfragen zeigen immer wieder: Eine deutliche Mehrheit der deutschen Bevölkerung lehnt die Rente mit 70 ab. Selbst Anhänger der Union äußern große Skepsis, wenn sie in harten Berufen tätig sind.
Welche Vorteile bietet die Rente mit 70?
Trotz der Kritik lassen sich auch Vorteile nicht leugnen.
- Finanzielle Stabilität des Rentensystems: Je länger Menschen einzahlen, desto größer die Einnahmen der Rentenkasse – und desto später beginnen Auszahlungen.
- Aktive Gesellschaft: Längeres Arbeiten kann den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern. Berufstätige bleiben geistig und körperlich aktiver, was die Lebensqualität steigern kann.
- Fachkräftemangel abfedern: In Zeiten von Arbeitskräftemangel könnten erfahrene Arbeitskräfte länger im Beruf wertvoll sein.
- Längere Lebenszeit sinnvoll nutzen: Da die Lebenserwartung stetig steigt, ergibt es in den Augen der Befürworter Sinn, die gewonnenen Jahre nicht vollständig in den Ruhestand, sondern teilweise in die Erwerbstätigkeit zu investieren.
Wer profitiert, wer leidet?
Die Rente mit 70 ist keineswegs für alle gleich. Akademiker und Menschen in Bürojobs haben meist höhere Chancen, gesundheitlich bis 70 im Beruf zu bleiben. Für Bauarbeiter, Pflegekräfte oder Fabrikarbeiter sieht die Realität anders aus. Somit besteht die Gefahr, dass eine Rente mit 70 soziale Unterschiede noch stärker verstärkt.
Alternativen zur Rente mit 70
Die Debatte zeigt: Ein höheres Renteneintrittsalter ist nicht die einzige Lösung, um das Rentensystem stabil zu halten. Es gibt mehrere alternative Ansätze:
- Private Altersvorsorge ausbauen: Zusätzliche Rentenmodelle wie Fondsrente, betriebliche Altersvorsorge oder Riester können helfen, die gesetzliche Rente zu entlasten.
- Breitere Finanzierungsbasis: Eine Ausweitung der Rentenversicherung auf Selbstständige und Beamte könnte die Einnahmen deutlich erhöhen.
- Einwanderung fördern: Gut integrierte Fachkräfte können langfristig zu mehr Beitragszahlern führen.
- Produktivität steigern: Wenn die Wirtschaft wächst und Löhne steigen, fließen automatisch mehr Beiträge ins Rentensystem.
- Flexiblere Rentenmodelle: Statt einer pauschalen „Rente mit 70“ könnten Modelle mit mehr Wahlfreiheit den Übergang in den Ruhestand individueller gestalten – etwa Teilrenten oder gleitende Übergänge.
Tabelle: Wer ist für, wer ist gegen die Rente mit 70?
Befürworter | Argumente | Gegner | Argumente |
---|---|---|---|
Junge Union (Nachwuchsorganisation der CDU/CSU) | Rentensystem nur über längere Lebensarbeitszeit finanzierbar; Anpassung an höhere Lebenserwartung | Karl-Josef Laumann (CDU, NRW-Arbeitsminister) | „Realitätsfremd“ für Menschen in körperlich harten Berufen, Gefahr größerer Altersarmut |
Arbeitgeberverbände (z. B. BDI, BDA) | Fachkräftemangel abfedern, Sozialabgaben stabilisieren | Gewerkschaften (DGB, IG Metall, ver.di) | Belastung für Beschäftigte, viele erreichen schon heute kaum 65 oder 67 gesund |
Wirtschaftsnahe Institute (z. B. IW, einzelne Wirtschaftsweise) | Beitragssätze bleiben tragbar, Wettbewerbsfähigkeit sichern | Sozialverbände (VdK, SoVD, Paritätischer) | Besonders Geringverdiener und Menschen mit niedrigerer Lebenserwartung betroffen |
Teile der CDU/CSU | Verweis auf Generationengerechtigkeit: Jüngere sollen nicht überlastet werden | SPD, Grüne, Linke | Grundsätzliche Ablehnung, Fokus stattdessen auf Erwerbstätigenversicherung und Steuerzuschüsse |
– | – | Bevölkerung (Umfragen) | Mehrheit klar dagegen, Rente mit 70 gilt als unsozial und belastend |
Fazit: Rente mit 70 bleibt ein Streitpunkt
Die Diskussion über die Rente mit 70 zeigt, wie stark Deutschland zwischen sozialer Gerechtigkeit und ökonomischer Vernunft ringt. Klar ist: Eine pauschale Lösung wird es nicht geben können. Während die Rente mit 70 für manche eine Chance ist, stellt sie für andere eine existenzielle Bedrohung dar. Entscheidend wird sein, wie Politik und Gesellschaft Modelle entwickeln, die Rentenfinanzierung sichern, ohne einzelne Gruppen zu benachteiligen. Alternativen zur Rente mit 70 sind vorhanden – es braucht jedoch politischen Willen, diese auch umzusetzen.