Hintergrund der Entscheidung: die etwas andere Aufteilung der Rente
Gegenstand des Verfahrens war die Scheidung einer fast vierzigjährigen Ehe, bei der die Eheleute schon seit 1995 – also mehr als 28 Jahre – getrennt lebten. Beide Parteien verfügten über Altersvorsorgeanrechte und wollten den Versorgungsausgleich unterschiedlich gestaltet wissen. Die Antragsgegnerin begehrte, den Ausgleich von Zeiten für die Rente nur für den Zeitraum des ehelichen Zusammenlebens vorzunehmen und machte geltend, dass die Durchführung über die gesamte Ehezeit, angesichts der langen Trennung und wirtschaftlichen Verselbständigung, grob unbillig sei.
Das Amtsgericht hatte zunächst den Versorgungsausgleich für die gesamte Ehezeit vorgenommen, vom 01.12.1984 bis zum 31.12.2023. Gegen diese Entscheidung legte die Antragsgegnerin Beschwerde ein und hatte beim OLG Brandenburg Erfolg.
Die Rechtslage: Versorgungsausgleich und Härteklausel hinsichtlich der Rente
Der Versorgungsausgleich dient grundsätzlich der hälftigen Teilung aller während der Ehezeit erworbenen Versorgungsanrechte (§§ 1 ff. VersAusglG). Er spiegelt den Gedanken wider, dass die Ehe auch eine Versorgungsgemeinschaft ist und beide Partner gemeinsam für die Altersvorsorge einstehen.
Mit der Härteklausel des § 27 VersAusglG eröffnet das Gesetz die Möglichkeit, von diesem Grundsatz abzuweichen, falls eine vollständige Teilung im Einzelfall grob unbillig wäre. Das ist immer dann der Fall, wenn die schematische Teilung zu einer „Prämierung“ einer groben Verletzung von ehelichen Pflichten führen würde oder die wirtschaftliche Verflechtung schon lange aufgehoben ist und die Interessenlage dies im Ergebnis verlangt.
Die Bewertung des OLG Brandenburg
Das OLG Brandenburg bestätigte die Beschwerde der Antragsgegnerin und beschränkte den Versorgungsausgleich auf die Zeit bis zum frühestmöglichen Scheidungsantrag nach Trennungsjahr. Das Gericht stützte sich dabei auf folgende Aspekte:
- Die Ehegemeinschaft war bereits seit 1995, also über 28 Jahre, aufgehoben.
- Die tatsächliche Ehezeit betrug 39 Jahre, das heißt mehr als zwei Drittel der Ehezeit war von Trennung und vollständiger wirtschaftlicher Verselbständigung geprägt.
- Beide Parteien hatten ihre Altersvorsorge nach der Trennung unabhängig voneinander gestaltet und keine gemeinsame wirtschaftliche Strategie oder gegenseitige Unterstützung mehr verfolgt.
Das Gericht berücksichtigte die aktuelle Rechtslage sowie einschlägige Entscheidungen des BGH und des Bundesverfassungsgerichts, wonach eine lange Trennungszeit mit wirtschaftlicher Verselbstständigung eine durchgehende Teilung der Versorgungsgüter grob unbillig macht.
Praktische Auswirkungen des Urteils für die Rente nach Scheidung
Für die Praxis bedeutet das Urteil, dass ein Versorgungsausgleich sehr wohl zeitlich eingeschränkt werden kann. Die Absicht hinter dem Gesetz, während der gemeinsamen Lebensphase gemeinsam angesparte Renten zu teilen, wird gewahrt – die Phase der vollständigen wirtschaftlichen Trennung bleibt dagegen ausgespart. Insbesondere bei sehr langjährigen Ehen, bei denen ein Großteil der Ehezeit faktisch kein „Gemeinschaftsleben“ mehr vorlag, führt diese Rechtsprechung zu einer gerechteren Verteilung der Altersvorsorge.
Das OLG Brandenburg betonte ebenfalls, dass es nicht darauf ankommt, ob das Trennungsjahr für die Scheidung willentlich ausgedehnt wurde. Entscheidend bleibt, dass beide Eheleute ab der Trennung wirtschaftlich unabhängig waren und kein Austausch oder Unterhaltsverhältnis mehr bestand.
Beispielhafte Ausführungen zur Berechnung der Rentenpunkte für den Versorgungsausgleich
Das Urteil umfasst auch die konkrete Berechnung der übertragenen Entgeltpunkte:
- Der Antragsteller und die Antragsgegnerin erhielten jeweils Anrechte über mehrere hundert Entgeltpunkte, die dann in entsprechenden Teilbeträgen intern übertragen wurden (Entgeltpunkte von Antragsteller zu Antragsgegnerin, und umgekehrt).
- Bei Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes wurden Versorgungspunkte ebenfalls anteilig übertragen – immer bezogen auf die relevante Zeit des Zusammenlebens.
- Die Kosten des Verfahrens wurden zwischen den Beteiligten geteilt.
Bedeutung des Urteils für Betroffene und Fachpraxis
Das Urteil des OLG Brandenburg ist richtungsweisend für vergleichbare Verfahren. Es zeigt, dass Gerichte bei außergewöhnlich langer Trennungszeit und vollständiger wirtschaftlicher Verselbstständigung den Versorgungsausgleich beschränken können. Beide Parteien haben damit die Chance, ihre Altersvorsorge stärker am tatsächlichen Lebensverlauf orientiert zu erhalten und eine einseitige Belastung zu vermeiden.
Die Entscheidung gibt Familiengerichten klare Argumentationslinien an die Hand: Eine dauerhafte Trennung über Jahrzehnte mit eigenständiger Vorsorge rechtfertigt es, den Ausgleich auf den Zeitraum bis zur Trennung oder zur frühestmöglichen Scheidung zu begrenzen.
Zusammenfassung zum Urteil: Fairness und Lebensrealität im Versorgungsausgleich
Der Beschluss unter dem Az. 13 UF 101/24 des OLG Brandenburg sorgt für mehr Fairness in der Aufteilung der Altersvorsorge bei Scheidung nach langer Trennungszeit. Die Gerichtspraxis orientiert sich damit stärker an den realen Lebensumständen und gewährleistet, dass der Versorgungsausgleich nicht zu unverhältnismäßigen Nachteilen für den wirtschaftlich unabhängigen Ehegatten wird.
Quelle
Originaltext Beschluss OLG Brandenburg
https://gerichtsentscheidungen.brandenburg.de/gerichtsentscheidung/26364