Sozialgerichtsurteil: Regelsatz Grundsicherung / Bürgergeld im Fokus
Das Urteil L 8 SO 108/23 des Bayerischen Landessozialgerichts aus 2025 ist für alle Empfänger von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Bürgergeld) von hoher Bedeutung. Die zentrale Frage des Verfahrens: War der Regelsatz ausreichend und verfassungskonform – oder besteht Anspruch auf höhere Leistungen, auf 725 Euro plus Stromkosten, aufgrund der gestiegenen Inflation?
Hintergrund des Gerichtsurteils: der Sachverhalt
Der Kläger, alleinlebend, bezieht seit vielen Jahren Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) und erhält zusätzlich eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Im Verfahren beantragte er für verschiedene Zeiträume (2022 bis 2024) monatlich jeweils 200 € mehr Grundsicherung, da er die Höhe des vom Sozialgericht Augsburg festgesetzten Regelbedarfs als nicht ausreichend und verfassungswidrig ansah. Insgesamt fordert er einen Regelsatz von 725 Euro plus Stromkosten.
Zur Begründung verwies der Kläger insbesondere auf die rasch gestiegene Inflation, insbesondere bei Lebensmitteln und Energie. Die vorhandene Fortschreibung der Regelsätze habe die reale Preisentwicklung laut Kläger nicht angemessen berücksichtigt, was zu einer Unterversorgung und Unterschreitung des soziokulturellen Existenzminimums führe.
Rechtliche Ausgangslage und Ansprüche
Nach § 41 ff. SGB XII erhalten leistungsberechtigte Personen Grundsicherungsleistungen, falls der notwendige Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln nicht gedeckt werden kann. Die Höhe der Geldleistung ergibt sich aus dem Gesamtbedarf (Regelbedarf, Unterkunft, Heizung) abzüglich Einkommen und Vermögen. Für das Jahr 2022 lag der monatliche Regelbedarf für Alleinstehende bei 449 €, ab Januar 2023 bei 502 €, und ab Januar 2024 bei 563 €. 2025 fand keine Erhöhung statt und auch 2026 wird es keine Anhebung des Regelsatzes geben, sog. Nullrunde 2026.
Der Kläger rügte, dass diese Regelsätze die Preissteigerungen und besonders den Zeitraum ab Mitte 2021 mit massiver Inflation nicht abbilden. Er berief sich dabei auf Gutachten und Stellungnahmen, etwa des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, der für Single-Haushalte einen Regelsatz von 725 € plus Stromkosten als angemessen bezeichnet. Der Kläger forderte im Verfahren, die Regelsätze an die tatsächliche Preisentwicklung anzupassen und eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zu prüfen.
Inhalt und Begründung des Urteils
Das LSG Münschen wies die Berufung des Klägers ab. Das Gericht entschied:
- Die gesetzlichen Regelungen zur Festlegung der Regelbedarfe für 2022–2024 seien nicht verfassungswidrig.
- Die Regelsätze seien nicht evident unzureichend und deckten das menschenwürdige Existenzminimum angemessen ab.
- Wesentliche Preissteigerungen seien im Jahr 2022 unter anderem durch eine Einmalzahlung von 200 € („Pandemie-Ausgleich“), den Entfall der EEG-Umlage, die Strom- und Gaspreisbremse sowie weitere staatliche Maßnahmen berücksichtigt worden.
- Der Gesetzgeber habe im September 2022 Maßnahmen ergriffen, um den Anpassungsmechanismus zu verbessern und die Preisentwicklung bei der Fortschreibung der Regelsätze zu berücksichtigen.
Das Gericht betont, dass laut Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber ein weiter Spielraum bei der Ermittlung und Anpassung der Grundsicherungsleistungen zusteht. Eine materielle Kontrolle der Regelsätze erfolgt demnach nur darauf, ob die Leistungen evident unzureichend sind – was im vorliegenden Fall nicht festgestellt werden konnte.
Bedeutung für Betroffene und Sozialpolitik
Das Urteil bedeutet für aktuelle wie zukünftige Leistungsbezieher, dass keine Rückwirkende oder zusätzliche Anpassung der Regelsätze für 2022 bis 2024 erfolgt. Die Bundes- und Landessozialgerichte gehen davon aus, dass die Sozialhilferegelungen – inklusive einmaliger Corona- und Inflationsausgleiche – ausreichen, um das Existenzminimum zu sichern. Damit bleibt das aktuelle System der Fortschreibung der Regelsätze und die Einmalzahlungen weiter als verfassungskonform bestätigt.
Allerdings ist darauf hinzuweisen: Die Revision zum Bundessozialgericht ist zugelassen worden, das Thema bleibt also höchstrichterlich in Bewegung.
Argumentation des Klägers im Detail
Der Kläger stützte seine Forderung auf das Urteil des BVerfG von 2014, demzufolge bei außergewöhnlichen Preissteigerungen eine einmalige Anpassung der Regelbedarfe nicht erst mit der nächsten turnusgemäßen Fortschreibung erfolgen darf. Nach seiner Auffassung reichten die bereits getroffenen Maßnahmen nicht aus; die Regelsätze seien zu spät und zu gering angepasst worden. Das LSG sah jedoch in den ergriffenen staatlichen Hilfen und gesetzgeberischen Maßnahmen keine offensichtliche Unterdeckung des Existenzminimums und verneinte einen unmittelbaren verfassungsrechtlichen Änderungsbedarf.
Zusammenfassung: Regelsatz Grundsicherung / Bürgergeld verfassungskonform – kein Anspruch auf 725 Euro Regelsatz plus Stromkosten!
Das Urteil L 8 SO 108/23 bestätigt die bestehende Systematik der Regelsatzermittlung und -fortschreibung bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung als verfassungskonform für 2022 bis 2024. Für betroffene Haushalte bedeutet das, dass die derzeit festgelegten Leistungen bestehen bleiben, solange keine höchstrichterliche abweichende Entscheidung erfolgt. Die Revision zum Bundessozialgericht könnte in Zukunft jedoch neue Maßstäbe setzen – die Entwicklung bleibt für Sozialpolitiker und Leistungsbezieher gleichermaßen relevant.
Quelle
Landessozialgericht Münschen, Entscheidung L 8 SO 108/23 – sozialgerichtsbarkeit.de