Vor dem Bundessozialgericht (BSG) in Kassel wurde über die Gewährung von 10 Euro Bürgergeld als Leistung für Bildung und Teilhabe für ein Kind verhandelt und entschieden.
Großer “Zirkus” , kleines Geld vor dem Bundessozialgericht
Das Jobcenter wollte die Kosten für ein schulisches Zirkusprojekt im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets nicht übernehmen. Die Mutter des betroffenen Kindes klagte und zog bis vor das Bundessozialgericht. Dieses gab ihr Recht. Mit dieser Entscheidung unterstrich das oberste deutsche Sozialgericht das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe von Bürgergeld-Empfängern am gesellschaftlichen Leben.
Sachverhalt der Bürgergeld – Klage
Die Schule des Mädchen führte während einer Projektwoche ein Zirkusprojekt für verschiedene Klassen durch. Für die Teilnahme wurde eine Gebühr von 10 Euro pro Kind erhoben. Da die Klägerin von SGB II Leistungen (Bürgergeld) abhängig war, beantragte sie beim Jobcenter, die Kosten zu übernehmen – als Teil des Bildungs- und Teilhabepakets. Das Jobcenter lehnte jedoch ab und begründete seine Entscheidung damit, dass der Wortlaut des Gesetzes (es geht um § 28 SGB II) nur Aufwendungen für Schulausflüge und Klassenfahrten abdeckt. Da das Zirkusprojekt jedoch auf dem Schulgelände durchgeführt werde, falle es nicht unter diese Vorschrift. Das erstinstanzliche Sozialgericht gab der Mutter des Kindes Recht, während das Landessozialgericht nach der vom Jobcenter eingelegten Revision pro Jobcenters entschied.
Kinderrechte in der Grundsicherung / Bürgergeld
Das Bundessozialgericht entschied in Bezug auf die Kostenübernahme von 10 Euro für Bürgergeld-Empfänger mit Kindern. Das oberste Sozialgericht sah den Bürgergeld-Anspruch der Mutter mit Kind auf Erstattung der Teilnahmegebühr begründet in § 30 in Verbindung mit 28 Absatz 2 SGB II.
Ausnahme: Nachträglicher Erstattungsanspruch für Bürgergeld Bezieher bei Vorleistung
Grundsätzlich gilt: Erst Antrag beim Jobcenter, dann bezahlen. Hiervon gibt es eine Ausnahme, geregelt in § 30 SGB II, wenn das Verfahren zu lange dauert und der Erfolg bei Zuwarten gefährdet ist. Es geht um Vorleistung des Bürgergeld-Beziehers bei berechtigter Selbsthilfe.
Die Mutter durfte also zunächst aus eigener Tasche bezahlen und dann die Erstattung vom Jobcenter verlagen
Leistungen für Bildung- und Teilhalbe
Obwohl das Projekt auf dem Schulgelände durchgeführt wurde, ist der Leistungsanspruch nach dem Bürgergeld-Gesetz nicht eingeschränkt, da dies eine planwidrige Verkürzung des Anspruchs darstellen würde.
Gemäß § 28 SGB II ist es ein zentrales Anliegen des Bürgergeld-Gesetzes, dass Kinder und Jugendliche gleichberechtigt an Bildung teilhaben können. Insbesondere an Schulen soll dies gewährleistet werden. Zusätzliche Ausgaben, die über die typischen Schulausgaben hinausgehen, sollen durch Unterstützung gedeckt werden. Das Zirkusprojekt, welches als “Lernen an einem anderen Ort” betrachtet werden kann, wurde von der Schule organisiert, um die soziale Teilhabe der Schulkinder im Klassen- oder Schulverband zu fördern.
Dementsprechend sei es unangemessen, die Bürgergeld-Empfängerin auf den Regelbedarf zu verweisen. Das Bundessozialgericht stellte klar, dass Bildungsbedarfe im schulischen Kontext gesondert neben dem Regelsatz erbracht werden müssen, um das Existenzminimum von Kindern und Jugendlichen zu sichern. Das ergibt sich aus § 28 SGB II.
Nicht anwendbar: Bagatellgrenze von 50 Euro
Im Rechtsstreit ging es 10 Euro. Im Bürgergeld-Gesetz gibt es die Bagatellgrenze von 50 Euro. Diese greift jedoch nicht, denn sie ist nur dann relevant, wenn es um Rückforderungen von zu Unrecht geleisteten Zahlungen des Jobcenters geht.
Im vorliegenden Fall ging es jedoch um einen Bürgergeld Anspruch einer Mutter mit Kind. Es gibt um Leistungen der Bildung und Teilhabe für ein Grundschulkind. Es ging um Bürgergeld-Zahlungen für Schulkinder, um einen primären Anspruch auf Bürgergeld, nicht um Rückzahlungen.
Zusammenfassung
Das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) in Kassel vom 8. März 2023 (Az.: B 7 AS 9/22 R) markiert einen wichtigen Erfolg für Familien im Bürgergeldbezug. Es stärkt die Rechte von Kindern auf Bildung und gesellschaftliche Teilhabe.
Der Fall
Eine alleinerziehende Mutter, die Bürgergeld bezieht, wollte die 10-Euro-Gebühr für ein schulisches Zirkusprojekt ihrer Tochter vom Jobcenter erstattet bekommen. Die Schule hatte das Projekt im Rahmen einer Projektwoche auf dem eigenen Gelände durchgeführt. Das Jobcenter lehnte ab – mit der Begründung, § 28 SGB II sehe nur Zuschüsse für Klassenfahrten oder Ausflüge außerhalb des Schulgeländes vor.
Die Mutter klagte und bekam in letzter Instanz vom Bundessozialgericht Recht. Das Gericht stellte klar, dass auch Veranstaltungen auf dem Schulgelände, die von der Schule organisiert werden und pädagogischen Zwecken dienen, als Schulausflüge im Sinne des § 28 Abs. 2 SGB II gelten können. Entscheidend sei der pädagogische Charakter und das Ziel der sozialen Integration, nicht der Ort.
Das Gericht betonte das Recht auf gleichberechtigte Bildungsteilhabe und hob hervor, dass Jobcenter solche Kosten übernehmen müssen, wenn es sich um ein offizielles schulisches Projekt handelt. Eine Ablehnung aus rein formalen Gründen – etwa weil es „auf dem Schulhof“ stattfindet – widerspricht dem Sinn des Gesetzes.
Das Urteil
- Stärkung der Kinderrechte: Bildung und Teilhabe gelten umfassend – unabhängig vom Ort der Veranstaltung.
- Signal für Jobcenter: Kosten analog zu Schulausflügen müssen übernommen werden, wenn eine schulische Verantwortung besteht.
- Rechtssicherheit: Eltern können künftig leichter auf Kostenerstattung klagen, auch bei niedrigen Beträgen wie 10 Euro.
Originalquelle des Urteils
Das Urteil kann im Volltext unter dem Aktenzeichen B 7 AS 9/22 R auf der offiziellen Webseite der deutschen Sozialgerichtsbarkeit eingesehen werden:
www.sozialgerichtsbarkeit.de/entscheidungen/174878