Strengere Mitwirkungspflichten und Sanktionen
Kern der Reform ist die Verschärfung des Sanktionssystems. Wer künftig ohne triftigen Grund einen Termin im Jobcenter versäumt, muss mit einer sofortigen Kürzung des Regelsatzes um 30 Prozent rechnen. Bei einem zweiten Versäumnis folgt eine weitere Kürzung um 30 Prozent, beim dritten Termin werden die Leistungen vollständig gestrichen. Bleibt eine Person danach weiterhin untätig, werden auch Mietzahlungen direkt an Vermieter eingestellt – das Existenzminimum kann somit faktisch entfallen. Das bezeichnet man als die sog. “Dreimal plus eins” Regel.
Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) betonte, dass diese Maßnahmen „bis an die Grenze dessen gehen, was verfassungsrechtlich zulässig ist“. Härtefälle – etwa bei psychischen Erkrankungen – sollen zwar berücksichtigt werden, doch die Praxis der Jobcenter bleibt unklar. Zentrale Idee der Reform ist das Prinzip „Fördern und Fordern“ in verschärfter Form: Wer in Not ist, soll Unterstützung bekommen – wer sich verweigert, müsse spürbare Konsequenzen tragen.
Wegfall von Schonvermögen und Karenzzeit
Neben den Sanktionen plant die Regierung tiefgreifende Änderungen bei der Vermögensregelung. Das bisherige Schonvermögen – also finanzielle Rücklagen, die Bürgergeldempfänger behalten dürfen – soll künftig an die sogenannte Lebensleistung gekoppelt werden. Gleichzeitig entfällt die bisherige Karenzzeit, die vor allem in der Anfangszeit des Leistungsbezugs einen gewissen finanziellen Schutz bot. Damit wird es künftig für viele Leistungsbeziehende schwerer, Erspartes zu behalten, wenn sie auf staatliche Hilfe angewiesen sind.
Ziel sei laut Regierung, Missbrauch zu verhindern und die Eigenverantwortung zu stärken. Kritiker sprechen hingegen von einer faktischen Strafsteuer auf Armut: Wer sich über Jahre kleine Rücklagen erarbeitet habe, werde nun bestraft, sobald er in eine Notlage gerät.
Geringe Einsparungen, große politische Wirkung
Laut Pressemeldungen bringt die Reform aus fiskalischer Sicht „keine nennenswerten Einsparungen“. Zwar hatten Union und SPD gehofft, durch strengere Regeln Milliarden zu sparen, doch laut aktuellen Berechnungen könnten die Einsparungen im ersten Jahr lediglich rund 90 Millionen Euro betragen – statt der ursprünglich geplanten fünf Milliarden.
Ökonomen und das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) warnen zudem, dass harte Sanktionen langfristig eher zu höheren Kosten führen könnten – durch Obdachlosigkeit, Gesundheitsbelastungen und steigende Verwaltungsausgaben. Dennoch verfolgt die Regierung mit der Reform eine klare politische Botschaft: Härte gegenüber „Arbeitsverweigerern“ soll Vertrauen in den Sozialstaat zurückgewinnen.
Der politische Hintergrund: Merz und Bas im Gleichklang
Nach Monaten intensiver Verhandlungen präsentierten Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und Arbeitsministerin Bas eine schwarz-rote Einigung, die beide Lager zufriedenstellt. Für Merz ist die Reform ein Symbol für „Gerechtigkeit zwischen Arbeitenden und Nichterwerbstätigen“. Für Bas hingegen ist sie der Versuch, den Sozialstaat modern zu halten, ohne seine finanzielle Tragfähigkeit zu gefährden.
Der Begriff „Bürgergeld“, einst von der SPD als menschlicher Gegenentwurf zu Hartz IV eingeführt, soll verschwinden. Zukünftig wird die Leistung schlicht „Grundsicherung“ heißen – eine Rückkehr zu einem technokratischeren Begriff, der weniger gesellschaftliche Empathie, dafür mehr Verwaltungsdisziplin signalisiert.
Kritik von Gewerkschaften und Verbänden
Sozialverbände wie der Sozialverband Deutschland (SoVD), Für soziales Leben e.V., ver.di und die Diakonie warnen scharf vor den Folgen der Reform. Sie sprechen von einem „populistischen Ablenkungsmanöver“, das strukturelle Probleme wie Wohnungsmangel oder Niedriglöhne überdecke. Der Ökonom Marcel Fratzscher kritisiert, die geplanten Regelungen könnten „Armut und soziale Exklusion verstärken“, statt sie zu verringern.
Besonders drastisch äußerte sich DGB-Chefin Yasmin Fahimi: Man fokussiere sich auf ein „Mini-Problem“ von Arbeitsverweigerung und schaffe gleichzeitig Druck auf Millionen Menschen, die ohnehin in prekären Verhältnissen lebten. Sie forderte stattdessen Investitionen in Ausbildung, Industriepolitik und bezahlbaren Wohnraum – Bereiche, die langfristig mehr Beschäftigung schaffen als Strafen.
Auswirkungen auf Betroffene
Für die rund 5,5 Millionen Leistungsbezieher bedeutet die Reform eine deutliche Unsicherheitszunahme. Schon kleinere Versäumnisse können künftig existenzielle Folgen haben. Auch der Druck auf Jobcenter-Mitarbeitende wächst, weil sie Sanktionen nun schneller und konsequenter umsetzen müssen.
Die Regelsatz selbst soll zunächst nicht erhöht werden – 2025 und 2026 wird es eine zweite „Nullrunde“ in Folge geben, nachdem die Sätze 2023 und 2024 aufgrund der Inflation deutlich gestiegen waren. Damit sinkt die reale Kaufkraft vieler Leistungsbeziehender weiter.
Langzeitarbeitslose, Alleinerziehende und Menschen mit psychischen Erkrankungen gelten als besonders gefährdet. Experten befürchten eine Zunahme von Wohnungslosigkeit und Überschuldung, da Wohnkosten in Ballungsräumen kaum aus den gekürzten Leistungen bezahlt werden können.
Fazit: Rückkehr zu alten Mustern
Mit der Reform verabschiedet sich Deutschland weitgehend von der Bürgergeld-Idee, die auf mehr Vertrauen und Kooperation zwischen Jobcentern und Arbeitssuchenden setzte. Stattdessen kehrt das Land zu einem System zurück, das Leistungsbeziehende stärker kontrolliert und sanktioniert. Während Union und SPD die Maßnahmen als notwendigen Realismus verkaufen, sehen Kritiker darin ein Signal sozialpolitischen Rückschritts – mit hohen menschlichen Kosten.
Der neue Name „Grundsicherung“ steht somit sinnbildlich für die neue Richtung des Sozialstaats: weniger Empathie, mehr Disziplin, weniger Hoffnung – aber vielleicht mehr politische Zustimmung in einer Zeit zunehmender gesellschaftlicher Unsicherheit.