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Neue Grundsicherung statt Bürgergeld: Arbeitsagentur warnt vor Chaos-Start

Die Bundesagentur für Arbeit unterstützt die Einführung der neuen Grundsicherung vom Grundsatz her, kritisiert aber vor allem den engen Zeitplan (1. Juli 2026), die technische Umsetzung und eine einseitige finanzielle Belastung der Behörde. Gleichzeitig warnt sie davor, dass überhastete Software­updates zu Fehlern bei Leistungsbescheiden und Verzögerungen in den Jobcentern führen können. Einzelheiten zur Stellungnahme der BA zum aktuellen Gesetzentwurf Grundsicherung für Arbeitsuchende auf Bürger & Geld, dem Nachrichtenmagazin des Vereins Für soziales Leben e.V.!

Was ist die neue Grundsicherung?

Die schwarz-rote Koalition will das Bürgergeld ab 2026 in eine „Neue Grundsicherung für Arbeitsuchende“ überführen, ohne das System vollständig neu zu erfinden. Kernpunkte sind schärfere Sanktionen, mehr Druck zur Arbeitsaufnahme und eine stärkere Priorität der schnellen Vermittlung in Arbeit.

Der Regelsatz bleibt zunächst auf Bürgergeld-Niveau, während bei Vermögen, Mitwirkungspflichten und Sanktionen deutlich nachgesteuert wird. Politisch wird die Reform als Signal verstanden, dass „Fordern“ wieder stärker in den Vordergrund rückt, nachdem das Bürgergeld stärker auf Absicherung und Kooperation setzte.

Was die BA grundsätzlich begrüßt

In ihrer offiziellen Stellungnahme betont die Bundesagentur für Arbeit, dass sie das Ziel einer Erneuerung der Grundsicherung und die Anpassung an den Arbeitsmarkt ausdrücklich befürwortet. Positiv bewertet sie, dass viele Vorschläge aus der Praxis – etwa zur stärkeren Verbindlichkeit bei Pflichten – aufgegriffen werden.

Auch die stärkere Fokussierung auf Arbeitsvermittlung und Qualifizierung passt zum Selbstverständnis der BA als Arbeitsmarktbehörde. Gleichzeitig sieht sie in verbindlicheren Regeln für Mitwirkung und Sanktionen die Chance, klare Rahmenbedingungen für Jobcenter und Leistungsberechtigte zu schaffen.

Zentrale Kritikpunkte der Bundesagentur

Die BA spricht natürlich nicht wörtlich von einem “Chaos-Start” der neuen Grundsicherung. Diesen Ausdruck hat unsere Redaktion gewählt, um die Kritik der Arbeitsagentur auf einen Punkt zu bringen.

Die BA kritisiert, dass der Gesetzentwurf die Behörde finanziell und organisatorisch einseitig belastet, ohne die dafür nötigen Ressourcen ausreichend mitzudenken. Zusätzliche Prüfpflichten, härtere Sanktionen und eine veränderte Rechtslage erzeugen in den Jobcentern mehr Aufwand, etwa durch neue Beratungspflichten, Widersprüche und Klagen.

Die Behörde warnt zudem davor, dass sich ohne zusätzliche Mittel die ohnehin angespannte Personalsituation in vielen Jobcentern weiter zuspitzt. Aus Sicht der BA besteht die Gefahr, dass Frontmitarbeiter die Reform unter großem Zeitdruck umsetzen müssen und dadurch Fehler, Überlastung und Frust zunehmen.

Problem Starttermin: Warum die BA bremst

Besonders kritisch sieht die Arbeitsagentur den politisch gewünschten frühen Starttermin der neuen Grundsicherung. In ihrer Stellungnahme macht sie deutlich, dass der Zeitplan extrem eng ist und kaum Raum für die notwendigen IT-Umstellungen, Tests und Schulungen lässt.

Konkret geht es um das Fachverfahren „Allegro“, das für die Leistungsberechnung genutzt wird und in mehreren Update-Schleifen an die neue Rechtslage angepasst werden muss. Bleibt dafür zu wenig Zeit, drohen nach Einschätzung der BA fehlerhafte Bescheide, manuelle Korrekturen und im schlimmsten Fall komplette manuelle Neuberechnungen von Ansprüchen – ein massiver Mehraufwand in den Jobcentern.

Schärfere Sanktionen – organisatorisches Risiko

Mit der neuen Grundsicherung sollen Sanktionen früher und härter greifen: Schon nach einmaligem Meldeversäumniss oder Ablehnung zumutbarer Arbeit können Kürzungen von jeweils 30 Prozent des Regelbedarfs verhängt werden. Zugleich bleibt der verfassungsrechtliche Rahmen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Leistungsminderungen bestehen, der Totalsanktionen (3 mal plus 1) enge Grenzen setzt.

Für die BA bedeutet dies einen Spagat: Einerseits soll sie Sanktionen schneller und konsequenter umsetzen, andererseits muss jeder Einzelfall rechtssicher dokumentiert und begründet werden. Die Behörde weist darauf hin, dass strengere Sanktionen die Prüf- und Begründungstiefe erhöhen und damit den Verwaltungsaufwand in den Jobcentern nochmals steigern.

Mehr Bürokratie statt Entlastung?

Parallel kritisieren Kommunen und Landkreise, dass die neue Grundsicherung mit zusätzlichen Pflichten, Kooperationsplänen und engeren Fristen eher mehr als weniger Bürokratie schafft. Auch im wissenschaftlichen Umfeld wird darauf hingewiesen, dass die letzten Reformen bereits mehrfach die Richtung gewechselt haben und Beschäftigte in Jobcentern unter „ständigen Kurskorrekturen“ leiden.

Die BA knüpft daran an und warnt vor einem weiteren Reformschub ohne ausreichende Entlastung bei Parallelaufgaben und Dokumentationspflichten. Bleiben Personal- und IT-Fragen ungelöst, könnten aus Sicht der Behörde nicht nur Fehler zunehmen, sondern auch das Vertrauensverhältnis zu Leistungsberechtigten weiter leiden.

Konsequenzen für Leistungsbezieher

Für Leistungsberechtigte selbst kritisiert die BA weniger den Inhalt der Regelsätze, sondern vor allem die Risiken eines überhasteten Systemwechsels. Kommt es zu Softwareproblemen oder Überlastung der Jobcenter, drohen verspätete Bewilligungen, fehlerhafte Bescheide und ein höherer Klärungsbedarf – gerade für ohnehin finanziell fragile Haushalte eine große Gefahr.

Gleichzeitig müssen sich Betroffene auf strengere Sanktionen, mehr Nachweispflichten und eine noch stärkere Fokussierung auf schnelle Vermittlung einstellen. Sozialverbände warnen bereits, dass die neue Grundsicherung so eher zusätzliche Härten schafft, während die BA zumindest indirekt aufzeigt, dass die Verwaltungskapazitäten für diesen Kurswechsel nur begrenzt vorhanden sind.

Tabelle: Was die BA an der neuen Grundsicherung kritisiert

PunktGeplante neue GrundsicherungKritik der Bundesagentur für Arbeit
StartterminFrüher Start, politisch eng gesetzter Zeitplan. Zeit zu knapp für IT, Tests und Schulungen.
IT-System „Allegro“Mehrere Updates für neue Regeln notwendig. Risiko fehlerhafter Bescheide und manueller Neuberechnung. ​
Ressourcen & KostenZusätzliche Prüf- und Sanktionsaufgaben. Einseitige finanzielle und personelle Mehrbelastung.
SanktionenSchneller und härter, bis hin zum Totalentzug möglich. Mehr Prüfaufwand, Rechtsrisiken, mehr Streitfälle.
Bürokratie im JobcenterStrengere Pflichten, verbindlichere Kooperation. Gefahr zusätzlicher Bürokratie statt Entlastung.
Stabilität des SystemsErneuter Kurswechsel nach Bürgergeld-Reform. ​Reformdichte überfordert Strukturen und Personal.

Redakteure

  • ik

    Sozialrechtsexperte und Redakteur

    Ingo Kosick ist ein renommierter Experte im Bereich des Sozialrechts in Deutschland. Er engagiert sich seit über 30 Jahren in diesem Feld und hat sich als führende Autorität etabliert. Als Vorsitzender des Vereins Für soziales Leben e.V., der 2005 in Lüdinghausen gegründet wurde, setzt er sich für die Unterstützung von Menschen ein, die von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen sind. Der Verein bietet über das Internet Informationen, Beratung und Unterstützung für sozial benachteiligte Menschen an.

    Ingo Kosick ist zudem ein zentraler Autor und Redakteur auf der Plattform buerger-geld.org, die sich auf Themen wie Bürgergeld, Sozialleistungen, Rente und Kindergrundsicherung spezialisiert hat. Seine Artikel bieten fundierte Analysen und rechtlich aufgearbeitete Informationen, die Menschen in schwierigen Lebenssituationen unterstützen sollen.

    Durch seine langjährige Erfahrung und sein Engagement hat Ingo Kosick maßgeblich dazu beigetragen, dass sozial benachteiligte Menschen in Deutschland besser informiert und unterstützt werden können.

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  • Peter Kosick
    Experte:

    Jurist und Redakteur

    Peter Kosick hat an der Universität Münster Rechtswissenschaften studiert und beide juristische Staatsexamen in Nordrhein-Westfalen mit Erfolg abgelegt. Er arbeitet als freiberuflicher Jurist, ist Autor verschiedener Publikationen und hält Vorträge im Bereich Arbeits- und Sozialrecht. Seit mehr als 30 Jahren engagiert er sich im sozialen Bereich und ist seit der Gründung des Vereins "Für soziales Leben e.V." dort Mitglied. Peter Kosick arbeitet in der Online Redaktion des Vereins und ist der CvD. Seinen Artikeln sieht man an, dass sie sich auf ein fundiertes juristisches Fachwissen gründen.

    Peter hat ebenfalls ein Herz für die Natur, ist gern "draußen" und setzt sich für den Schutz der Umwelt ein.

    Seine Arbeit im Redaktionsteam von buerger-geld.org gibt ihm das Gefühl,  etwas Gutes für das Gemeinwohl zu tun.

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