Das Bundessozialgericht (BSG) hat in seiner Entscheidung unter dem Az B 4 AS 6/23 R über die Rückforderung von Sozialleistungen nach dem SGB II, seinerzeit „Hartz IV“ bzw. „Grundsicherung für Arbeitsuchende“, heute Bürgergeld, im Zusammenhang mit EU-Bürgern geurteilt. Das Urteil klärt, ob und in welchem Umfang vorläufig erbrachte Leistungen zurückgefordert werden dürfen, wenn sich später herausstellt, dass kein Anspruch bestand. Dieser Artikel auf Bürger & Geld erklärt den Sachverhalt und die Entscheidungsgründe des BSG.
Worum ging es bei der Gerichtsentscheidung?
Die Klägerin und ihr verstorbener Ehemann, beide spanische Staatsangehörige, hielten sich seit Januar 2013 in Deutschland auf und lebten gemeinsam in einem Haushalt. Im März 2015 beantragten sie beim kommunalen Jobcenter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Da beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) eine entsprechende Rechtssache anhängig war, gewährte das Jobcenter vorläufig Leistungen bis Februar 2016.
Nachdem der EuGH am 15. September 2015 geurteilt hatte, setzte das Jobcenter die Leistungen für März bis September 2015 endgültig auf null Euro fest und forderte von der Klägerin und ihrem Ehemann die Rückzahlung der bereits erhaltenen Leistungen: 3.777,83 Euro von der Klägerin und 4.958,04 Euro (davon 1.188,95 Euro für Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge) von ihrem Ehemann. Die Klägerin und ihr Ehemann klagten gegen diese Rückforderung.
Entscheidungsgründe des Bundessozialgerichts
Das BSG musste klären, ob das Jobcenter die vorläufig erbrachten Leistungen zurückfordern darf und ob ein Erstattungsanspruch gegen den beigeladenen Landkreis als Sozialhilfeträger besteht.
Erstattungsanspruch des Jobcenters
Das BSG stellte fest, dass der Beklagte (das Jobcenter) grundsätzlich einen Anspruch auf Erstattung der vorläufig erbrachten Leistungen hat, wenn die endgültige Entscheidung keinen Leistungsanspruch feststellt (§ 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 328 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 SGB III). Dies gilt unabhängig davon, ob die vorläufige Bewilligung ursprünglich rechtmäßig war. Die Klägerin haftet als Erbin ihres verstorbenen Ehemanns für dessen Nachlassverbindlichkeiten.
Kein vorrangiger Erstattungsanspruch gegen den Sozialhilfeträger
Das BSG wies die Auffassung des Landessozialgerichts zurück, wonach ein vorrangiger Erstattungsanspruch gegen den beigeladenen Landkreis als Sozialhilfeträger nach § 107 SGB X bestehe. Gegen diesen hätten die Klägerin und ihr Ehemann einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 23 SGB XII in gleicher Höhe wie die vom Jobcenter erbrachten Leistungen nach dem SGB II gehabt.Die Kenntnis des Jobcenters von den Leistungsvoraussetzungen kann dem Sozialhilfeträger jedoch nicht zugerechnet werden. Ein Erstattungsanspruch gegen den Sozialhilfeträger besteht nur, wenn diesem die Voraussetzungen für seine Leistungspflicht bekannt waren – was hier nicht der Fall war.
Keine Erstattung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen
Das BSG entschied, dass die an den Gesundheitsfonds gezahlten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung nicht von der Klägerin als Erbin zurückgefordert werden dürfen. Diese Beiträge werden nicht als Leistung an den Leistungsberechtigten erbracht, sondern sind eine Zahlung des Jobcenters an den Fonds. Die Versicherungspflicht besteht unabhängig davon, ob die Leistungen später zurückgefordert werden (§ 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V).
Zusammenfassung zum Rückforderunsanspruch des Jobcenters bei vorläufigen Leistungen
Das BSG bestätigt, dass Jobcenter vorläufig erbrachte Leistungen nach dem SGB II grundsätzlich zurückfordern dürfen, wenn sich später herausstellt, dass kein Anspruch bestand. Ein vorrangiger Erstattungsanspruch gegen den Sozialhilfeträger, gegen den an sich auch ein Anspruch bestanden hat, besteht nicht, wenn diesem die Leistungsvoraussetzungen nicht bekannt waren. Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung dürfen nicht zurückgefordert werden.