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Bürgergeld im Realitätscheck: Studie deckt massive Armutslücke und Entbehrungen auf!

In der aktuellen Sozialdebatte steht das Bürgergeld stark im Fokus politischer und medialer Auseinandersetzungen. Die Bundesregierung hat jüngst eine Reform hin zur einer neuen Grundsicheurng für Arbeitsuchende beschlossen. Darüber hinaus fordern einige Stimmen sogar Kürzungen und betonen angeblich „zu großzügige“ Leistungen. Eine neue Studie des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes arbeitet aber messerscharf heraus, wie weit das Bürgergeld inzwischen von der Realität und dem Anspruch auf eine menschenwürdige Grundsicherung entfernt ist. Kernfragen sind: Erfüllen die Leistungen ihren verfassungsmäßigen Auftrag – und was erleben Betroffene im Alltag wirklich? Einzelheiten zur Studie in nachfolgendem Artikel auf Bürger & Geld, dem Nachrichtenmagazin des Vereins Für soziales Leben e.V.!

Maßstäbe: Existenzminimum, SDGs und Vergleich mit der Armutsgrenze

Die Untersuchung legt als zentralen Maßstab das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum zugrunde, wie es 2010 durch das Bundesverfassungsgericht klargestellt wurde. Dies umfasst nicht nur reine Existenzsicherung, sondern auch volle gesellschaftliche Teilhabe. Ergänzt wird dieser Anspruch durch die Ziele der UN-2030-Agenda, insbesondere zum Abbau von Armut (SDG 1) und sozialer Ungleichheit (SDG 10). Ein Referenzwert ist die Armutsgrenze: Wer weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens zur Verfügung hat, gilt als arm.

Entwicklung der Bürgergeld-Leistungen: Nominale Anpassung, reale Stagnation

Der Regelbedarf für alleinstehende Erwachsene beträgt seit Anfang 2024 exakt 563 Euro pro Monat. Hinzu kommen Wohn- und Heizkosten, sofern sie als angemessen anerkannt werden. Die Entwicklung der Leistungen zeigt: Nominell sind die Bürgergeld – Leistungen über die letzten 15 Jahre gestiegen – von einem Gesamtbedarf (Regelbedarf plus Unterkunft/Heizung) von 644 Euro 2010 auf rund 907 Euro 2023. Allerdings fließt ein Großteil in gestiegene Wohnkosten, die für die Betroffenen keine wirkliche Verbesserung bedeuten.

Kaufkraftbereinigt bleibt der Wert aber seit den 1990ern auf gleichem Niveau. Während die Durchschnittseinkommen privater Haushalte real um etwa 30 Prozent stiegen, leben Bürgergeldbeziehende heute auf demselben Stand wie vor dreißig Jahren und sind vom gesellschaftlichen Wohlstandsgewinn komplett abgekoppelt.

Bürgergeld-Reform und Kaufkraftverluste: Nur teilweise Kompensation

Die Reformen der Jahre 2023 und 2024, mit Erhöhungen um jeweils über 10 Prozent, galten als Entlastung angesichts explodierender Energie- und Lebensmittelpreise. Im Ergebnis kompensierten diese Erhöhungen jedoch lediglich die massiven Kaufkraftverluste seit 2021. Für einen Singlehaushalt ergeben sich Kaufkraftverluste von bis zu 1.012 Euro allein in diesem Zeitraum. Trotz aller Anpassungen konnten also die Preissteigerungen nicht voll ausgeglichen werden – die Lebenslage der Betroffenen bleibt prekär.

Durch die gesetzlich festgelegten Nullrunden 2025 und 2026 wird sich die soziale Situation absehbar weiter verschärfen, weil erneut keine Anpassung an die Preisentwicklung erfolgt und die reale Versorgung mit grundlegenden Gütern sinkt.

Armutslücke: Bürgergeld unterhalb der Armutsschwelle

Der Abstand zwischen den Leistungen der Grundsicherung und der allgemeinen Armutsgrenze ist das zentrale Problem: 2023 lag der durchschnittliche Bürgergeldbedarf bei 907 Euro monatlich, die Armutsschwelle bei 1.381 Euro – eine Lücke von 474 Euro. Wer ausschließlich vom Bürgergeld lebt, bleibt damit deutlich unterhalb der gesellschaftlich anerkannten Armutsgrenze und kann am Leben in der Mitte der Gesellschaft nicht teilnehmen.

Die Studie belegt: Die Armutslücke ist seit 2010 kontinuierlich größer geworden und droht mit den kommenden Nullrunden weiter zu steigen. Selbst nach den kräftigen Erhöhungen der letzten Jahre blieb die Lücke praktisch unverändert – eine effektive Armutsbekämpfung findet nicht statt.

Materielle Entbehrung und Deprivation: Alltag unter Bürgergeld

Die Paritätische Studie liefert erstmals aktuelle Zahlen zur konkreten Lebenslage der Bürgergeldbezieher*innen. Der EU-Indikator „materielle und soziale Deprivation“ umfasst 13 Einzelelemente wie bezahlte Wohnung, Mahlzeiten, Ersatz von Möbeln und soziale Aktivitäten. Die Sonderauswertung des Statistischen Bundesamts zeigt: 2024 waren rund 50 Prozent aller Bürgergeld-Haushalte von materieller und sozialer Entbehrung betroffen, über 30 Prozent sogar von erheblicher Entbehrung (Verzicht auf sieben oder mehr Grundbedarfe).

Zum Vergleich: In Haushalten ohne Bürgergeldbezug sind nur 8,9 Prozent materiell depriviert, und 4,6 Prozent erheblich depriviert. Die Zahlen dokumentieren eine massive soziale Spaltung.

Einzelaspekte der Deprivation (Ergebnisse 2024):

  • 86,6% der Bürgergeldbezieher können keine unerwarteten Ausgaben (z. B. Reparatur) stemmen.
  • 55,4% können abgenutzte Möbel nicht ersetzen.
  • 32,1% können nicht mit Freunden/Familie gemeinsam essen oder trinken.
  • 19,3% haben Zahlungsrückstände und können Rechnungen (Miete, Strom) nicht fristgerecht begleichen.
  • Über 30% müssen bei der Ernährung sparen, können sich keine vollwertigen Mahlzeiten leisten.
  • 16,7% können ihre Wohnung nicht ausreichend warm halten.

Auch andere regelmäßig abgefragte Entbehrungen – wie Freizeitaktivitäten, Internetanschluss, Ersatz von Kleidung – sind im Bürgergeldbezug sehr viel häufiger als im gesellschaftlichen Durchschnitt. Besonders bitter: Die Lebenslage bessert sich kaum nach den letzten Reformen, sondern bleibt auf extrem hohem Niveau der Deprivation.

Entwicklung über die letzten Jahre: Multiplikative Krisen und Trendwende

Historisch betrachtet, zeigte sich vor den aktuellen Krisen (Corona, Inflation, Energiepreise) ein positiver Trend: Materielle Entbehrung sank in SGB-II-Haushalten spürbar (z. B. PASS-Studie). Mit Einsetzen der multiplen Krisen ab 2020 und den massiven Preissteigerungen drehte sich die Entwicklung radikal – nicht nur materielle Entbehrung, sondern auch erhebliche Deprivation stiegen an und stabilisierten sich erst durch die Erhöhungen wieder auf hohem Niveau. Eine echte Verbesserung ist jedoch ausgeblieben.

Politische Konsequenz: Studie fordert strukturelle und dauerhafte Erhöhung

Die Autoren und der Paritätische Gesamtverband fordern deshalb eine strukturelle, dauerhafte und deutliche Erhöhung der Regelsätze sowie eine Anpassung der Grundsicherung an die gesellschaftliche, wirtschaftliche und rechtliche Realität. Die existierende Form des Bürgergelds wird als unzureichend bewertet – sie sichert zwar das physische Überleben, verfehlt aber den Anspruch auf soziale Teilhabe und Würde und widerspricht damit klar den Zielen der Vereinten Nationen und der Europäischen Union.

Fazit: Bürgergeld 2025 im Realitätscheck

Die Paritätische Expertise zeigt glasklar: Die soziale Schere geht weiter auseinander. Die Grundsicherung in ihrer aktuellen Form schützt nicht vor Armut und materieller Entbehrung – Hunderttausende Menschen erleben tagtäglich, dass ihnen elementare Bedürfnisse und gesellschaftliche Teilhabe verwehrt werden. Die Politik hat die Pflicht, endlich angemessen zu reagieren und eine Grundsicherung zu garantieren, die ihren Namen verdient.

Quelle

Der Artikel basiert auf den vollständigen Daten und Analysen der Paritätischen Studie „Bürgergeld im Realitätstest“, Oktober 2025. der-paritaetische.de

Redakteure

  • ik

    Sozialrechtsexperte und Redakteur

    Ingo Kosick ist ein renommierter Experte im Bereich des Sozialrechts in Deutschland. Er engagiert sich seit über 30 Jahren in diesem Feld und hat sich als führende Autorität etabliert. Als Vorsitzender des Vereins Für soziales Leben e.V., der 2005 in Lüdinghausen gegründet wurde, setzt er sich für die Unterstützung von Menschen ein, die von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen sind. Der Verein bietet über das Internet Informationen, Beratung und Unterstützung für sozial benachteiligte Menschen an.

    Ingo Kosick ist zudem ein zentraler Autor und Redakteur auf der Plattform buerger-geld.org, die sich auf Themen wie Bürgergeld, Sozialleistungen, Rente und Kindergrundsicherung spezialisiert hat. Seine Artikel bieten fundierte Analysen und rechtlich aufgearbeitete Informationen, die Menschen in schwierigen Lebenssituationen unterstützen sollen.

    Durch seine langjährige Erfahrung und sein Engagement hat Ingo Kosick maßgeblich dazu beigetragen, dass sozial benachteiligte Menschen in Deutschland besser informiert und unterstützt werden können.

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  • Peter Kosick
    Experte:

    Jurist und Redakteur

    Peter Kosick hat an der Universität Münster Rechtswissenschaften studiert und beide juristische Staatsexamen in Nordrhein-Westfalen mit Erfolg abgelegt. Er arbeitet als freiberuflicher Jurist, ist Autor verschiedener Publikationen und hält Vorträge im Bereich Arbeits- und Sozialrecht. Seit mehr als 30 Jahren engagiert er sich im sozialen Bereich und ist seit der Gründung des Vereins "Für soziales Leben e.V." dort Mitglied. Peter Kosick arbeitet in der Online Redaktion des Vereins und ist der CvD. Seinen Artikeln sieht man an, dass sie sich auf ein fundiertes juristisches Fachwissen gründen.

    Peter hat ebenfalls ein Herz für die Natur, ist gern "draußen" und setzt sich für den Schutz der Umwelt ein.

    Seine Arbeit im Redaktionsteam von buerger-geld.org gibt ihm das Gefühl,  etwas Gutes für das Gemeinwohl zu tun.

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