Die geplante Einführung der Neuen Grundsicherung ab 2026 bringt tiefgreifende Veränderungen für Millionen Menschen in Deutschland. Besonders umstritten ist die Möglichkeit, Leistungen bei wiederholter Arbeitsverweigerung vollständig zu streichen. Diese Pläne stoßen auf erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken und werfen zentrale Fragen zur Menschenwürde und zum Sozialstaatsprinzip auf.
Was ist geplant? Schärfere Sanktionen und Leistungsentzug
Mit dem Auslaufen des Bürgergelds und der Einführung der Neuen Grundsicherung setzt die Bundesregierung auf ein System mit strengeren Regeln und Sanktionen. Wer sich weigert, zumutbare Arbeit anzunehmen oder die Mitwirkungspflichten verletzt, muss künftig mit schnelleren und härteren Sanktionen rechnen – bis hin zum kompletten Entzug der Leistungen. Der Koalitionsvertrag 2025 sieht vor, dass Jobcenter und Arbeitsagenturen die Betroffenen intensiver betreuen und bei wiederholter Verweigerung die Grundsicherung vollständig streichen können.
Verfassungsrechtliche Bedenken: Was sagt das Bundesverfassungsgericht?
Juristinnen und Sozialverbände schlagen Alarm: Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 2019 entschieden, dass das Existenzminimum auch bei Sanktionen nicht unterschritten werden darf. Kürzungen von mehr als 30 Prozent des Regelsatzes wurden als unzulässig bewertet. Eine vollständige Streichung der Leistungen widerspricht nach Ansicht vieler Experten dem Grundgesetz, insbesondere Artikel 1 (Menschenwürde) und Artikel 20 (Sozialstaatsprinzip). Die Richter betonten, dass der Staat zwar Mitwirkungspflichten einfordern und Sanktionen verhängen darf, das absolute Existenzminimum aber nicht antasten darf.
„Eine Kürzung des Regelsatzes um mehr als 30 Prozent ist demnach nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.“
Die politische Debatte: Disziplinierung oder Unterstützung?
Kritiker sprechen von einem „Roll-back in die Hartz-Ära“ und befürchten, dass die Reform Erwerbslose vorrangig disziplinieren statt unterstützen soll. Befürworter argumentieren, dass schärfere Sanktionen notwendig seien, um die Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme zu erhöhen. Die CDU betont, dass bei einer Totalverweigerung zwar die Grundsicherung gestrichen werden soll, aber weiterhin Kosten für Wohnung und Heizung übernommen werden. Partner und Kinder sollen keinen Schaden nehmen.
Stimmen aus der Praxis und juristische Einschätzungen
Sozialverbände und Richtervereinigungen warnen vor den Folgen für besonders schutzbedürftige Gruppen, etwa Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen. Auch aus der Praxis der Jobcenter gibt es Zweifel, ob eine vollständige Streichung umsetzbar und mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Die Bundesregierung ist gefordert, einen Ausgleich zwischen „Fordern und Fördern“ zu schaffen und dabei die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts strikt zu beachten.
Vergleich mit bisherigen Urteilen
Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Urteilen betont, dass Sanktionen verhältnismäßig sein müssen. Eine vollständige Streichung des Existenzminimums wurde ausdrücklich abgelehnt. In Härtefällen – etwa bei Krankheit oder besonderen Lebenslagen – sind Sanktionen ohnehin ausgeschlossen. Die geplanten Regelungen stehen daher auf juristisch wackeligem Boden und könnten erneut vor Gericht landen.
Blick ins Ausland: Wie regeln andere Länder Sanktionen?
Ein europäischer Vergleich zeigt, dass viele Länder zwar Mitwirkungspflichten und Sanktionen kennen, aber das Existenzminimum meist nicht vollständig entzogen wird. Deutschland steht mit seinen Plänen für eine Totalstreichung im internationalen Vergleich besonders im Fokus.
Fazit:
Die geplante vollständige Streichung der Grundsicherungsleistungen ab 2026 ist hoch umstritten und birgt erhebliche verfassungsrechtliche Risiken. Ob die Reform in dieser Form Bestand haben wird, dürfte letztlich erneut das Bundesverfassungsgericht entscheiden.