In 2025 entschied das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg unter dem Az. L 3 AS 772/23 einen Fall, der für viele Bürgergeld-Empfänger interessant sein dürfte, aber nicht nur für diese. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob eine Familie zu viel gezahltes Bürgergeld zurückzahlen muss, wenn das Jobcenter einen Rechenfehler begangen, brutto mit netto verwechselt hat. Das Gericht urteilte zugunsten der Familie und stärkte damit den Vertrauensschutz für Leistungsbezieher. Hier auf Bürger & Geld, dem Nachrichtenmagazin des Vereins Für soziales Leben e.V., erklären wir die Hintergründe des Urteils.
Der zugrundeliegende Sachverhalt des Urteils
Die dreiköpfige Familie bezieht seit Juli 2020 Arbeitslosengeld II, Leistungen nach dem SGB II (seit 2023: Bürgergeld) vom Jobcenter. Im Februar 2021 begann der Ehemann als Verkäufer in einem Lebensmittelladen zu arbeiten. Der Arbeitsvertrag sah ein monatliches Nettoeinkommen von 1.600 Euro vor. Das Jobcenter berücksichtigte jedoch fälschlicherweise 1.600 Euro brutto und berechnete die Leistungen auf Basis eines niedrigeren Nettoeinkommens von 1.276,40 Euro. In der Folge erhielt die Familie für zehn Monate mehr Bürgergeld als ihr eigentlich zugestanden hätte – insgesamt über 3.000 Euro.
Nachdem der Fehler auffiel, forderte das Jobcenter die Familie zur Rückzahlung auf. Die Familie klagte dagegen – zunächst erfolglos vor dem Sozialgericht Berlin, das von grober Fahrlässigkeit ausging. In zweiter Instanz gab das LSG Berlin-Brandenburg der Familie jedoch Recht und hob die Entscheidung auf.
Die rechtlichen Grundlagen
Maßgeblich rechtliche Entscheidungsgrundlage ist § 45 Abs. 2 SGB X: Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, wenn der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist jedoch ausgeschlossen, wenn der Begünstigte die Rechtswidrigkeit kannte oder grob fahrlässig nicht kannte.
Das LSG stellte klar, dass bei komplexen Berechnungen – wie der Unterscheidung zwischen Brutto- und Nettoeinkommen – von juristischen Laien keine vertieften Kontrollrechnungen erwartet werden können. Die Klägerin konnte nachvollziehbar darlegen, dass sie Schwierigkeiten mit Zahlen und Begriffen hatte. Das Gericht sah daher keine grobe Fahrlässigkeit und sprach der Familie den Vertrauensschutz zu.
Bedeutung für Bürgergeld-Empfänger
Das Urteil ist richtungsweisend für alle, die Bürgergeld beziehen. Es macht deutlich:
Jobcenter-Fehler müssen nicht von den Empfängern erkannt werden. Die Pflicht, Bescheide zu prüfen, bezieht sich vor allem auf offensichtliche Fehler, nicht auf komplexe Berechnungen.
Vertrauensschutz bleibt bestehen. Wer auf die Richtigkeit der behördlichen Berechnung vertraut, muss nicht für Rechenfehler der Verwaltung geradestehen.
Individuelle Urteilsfähigkeit ist entscheidend. Die Einschätzung zur groben Fahrlässigkeit richtet sich nach der persönlichen Urteilsfähigkeit und Erkenntnismöglichkeit des Empfängers.
Zusammenfassung: Bürgergeld Bezieher muss nicht besser als Jobcenter rechnen können
Das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg (Az. L 3 AS 772/23) stärkt die Rechte von Bürgergeld-Empfängern und sorgt für Rechtssicherheit im Umgang mit behördlichen Fehlern. Leistungsbezieher müssen nicht für komplizierte Rechenfehler des Jobcenters haften, solange sie nicht grob fahrlässig handeln.
Quelle: Landessozialgericht Berlin Brandenburg: https://sozialgerichtsbarkeit.brandenburg.de/sg/de/presseansicht/~16-04-2025-brutto-oder-netto-buergergeldempfaengerin-muss-nicht-besser-rechnen-koennen-als-das-jobce#