Das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen L 3 AS 91/17 klärt grundlegend den Umgang mit Mitwirkungspflichten und Mehrbedarfsanträgen bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II/Bürgergeld), wenn es um kieferorthopädische Behandlung von Kindern geht, etwa mittels Zahnspangen. Es steht für eine restriktive Auslegung der Anspruchsvoraussetzungen und betrifft speziell Bedarfsgemeinschaften mit Kindern.
Sachverhalt des Verfahrens
Im Zentrum des Verfahrens steht die Ablehnung eines Mehrbedarfsantrags für eine kieferorthopädische Behandlung eines Kindes durch das Jobcenter. Die Klägerin, Mutter eines Kindes mit Zahnfehlstellung, beantragte die Übernahme der Kosten, die im Rahmen einer kieferorthopädischen Therapie entstehen sollten. Das Jobcenter lehnte den Antrag mit Verweis auf fehlenden Härtefall ab. Zudem argumentierte die Behörde, dass eine Leistungskürzung für die gesamte Bedarfsgemeinschaft gerechtfertigt sei, wenn die Mutter ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachkommt.
Entscheidungsgründe des LSG Sachsen
Das Landessozialgericht Sachsen bestätigt mit Urteil vom 12.10.2023 die Auffassung des Jobcenters und äußert sich klar zu zwei Kernfragen:
- Kosten für kieferorthopädische Behandlung als Mehrbedarf:
Das Gericht erkennt die Kosten für eine reguläre kieferorthopädische Behandlung einer Zahnfehlstellung (KIG 2) nicht als Härtefallmehrbedarf nach § 21 SGB II an. Ein Anspruch besteht laut LSG Sachsen nur bei außergewöhnlichen, extremen Fällen, die medizinisch begründet sind und über das Übliche hinausgehen. Standardfehlstellungen rechtfertigen keine Übernahme durch das Jobcenter. - Mitwirkungspflicht in der Bedarfsgemeinschaft:
Das LSG Sachsen stellt klar: Eine Sanktion nach § 66 Abs. 1 SGB I darf ausschließlich gegen die Person verhängt werden, die tatsächlich ihre Mitwirkungspflicht verletzt hat. Eine Versagung der Leistungen gegenüber Familienmitgliedern, die selbst alle Mitwirkungspflichten erfüllt haben, ist unzulässig. Damit schützt das Gericht die Rechte von Kindern, Partnern oder weiteren Angehörigen, wenn nur einzelne Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft die Mitwirkung verweigern.
Bedeutung für die Praxis und Rückschlüsse
Das Urteil sorgt für Rechtssicherheit und unterstreicht die individuelle Prüfung bei mehrbedarfsbezogenen Anträgen. Besonders herauszustellen ist der Schutz vor Sippenhaft innerhalb der Bedarfsgemeinschaft: Wer keine eigene Pflichtverletzung begeht, darf nicht pauschal vom Leistungsbezug ausgeschlossen werden. Gleiches gilt für medizinische Mehrbedarfe – das LSG fordert einen strengen Nachweis der Notwendigkeit jenseits üblicher Therapien.
Zusammenfassung zum Zahnspangen -Urteil
Viele Familien stehen vor hohen Kosten, wenn ihre Kinder eine Zahnspange oder eine aufwändige kieferorthopädische Behandlung benötigen. Gerade für Beziehende von Grundsicherung oder Bürgergeld stellt sich die Frage, ob das Jobcenter die Ausgaben übernimmt. Das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen (L 3 AS 91/17) zeigt: Die gesetzliche Krankenversicherung trägt die wesentlichen Kosten nur bei gravierenden Fehlstellungen, während Jobcenter und Sozialhilfe Träger Zahlungen für kieferorthopädische Behandlungen in der Regel ablehnen. Lediglich in seltenen Härtefällen besteht überhaupt eine Chance auf Unterstützung – etwa wenn die Krankenkasse ausdrücklich eine medizinisch notwendige Behandlung nicht zahlt. Die Entscheidung des Gerichts bestätigt, dass einfache Zahnspangen und ergänzende Therapien (wie zahnfarbene Brackets oder Spezialdrähte) privat bezahlt werden müssen. Dieses Urteil bringt Rechtssicherheit, aber auch finanzielle Herausforderungen für viele Bedürftige.


