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Häufige Irrtümer bei Schwerbehinderung – und wie Sie Ihre Rechte durchsetzen

Beschäftigte mit einer anerkannten Schwerbehinderung (GdB ≥ 50) und Gleichgestellte (GdB 30/40 mit Bescheid der Agentur für Arbeit) genießen 2025 besondere Schutzrechte im Arbeitsleben – von Zusatzurlaub bis zum besonderen Kündigungsschutz. Der nachfolgende Überblick, präsentiert von Bürger & Geld, dem Nachrichtenmagazin des Vereins Für soziales Leben e. V., erklärt die wichtigsten gesetzlichen Ansprüche, räumt mit häufigen Missverständnissen auf und zeigt Praxis-Tipps für die Durchsetzung der eigenen Rechte.

Rund zehn Prozent der Deutschen leben mit einer Schwerbehinderung, Tausende sind gleichgestellt. Für beide Gruppen gelten im Arbeitsleben gezielte Schutzrechte, um berufliche Teilhabe und nicht zuletzt auch Beständigkeit des Arbeitsplatzes zu sichern. Die Regelungen sind allerdings komplex und bergen viele Irrtümer. Was gilt ab 2025? Was müssen Arbeitgeber, Betroffene und Interessensvertretungen wissen, um Rechte auch tatsächlich durchzusetzen?

Wer gilt als (gleichgestellter) schwerbehinderter Beschäftigter?

Der Status „schwerbehindert“ ist erreicht, sobald ein Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50 festgestellt wird. Zuständig dafür sind die Versorgungsämter beziehungsweise die kreisfreien Städte und Kommunen, die auch einen Schwerbehindertenausweis ausstellen. Beschäftigte mit einem GdB von mindestens 30, aber unter 50, können sich auf Antrag bei der Agentur für Arbeit gleichstellen lassen. Diese Gleichstellung im Sinne des SGB IX ist Voraussetzung dafür, wenn der Arbeitsplatz ohne Gleichstellung nicht erlangt oder erhalten werden kann (vgl. §2 Abs.3 SGB IX).

Achtung!
Gleichgestellte Arbeitnehmer verfügen fast über die gleichen arbeitsrechtlichen Schutzrechte wie schwerbehinderte, etwa beim Kündigungsschutz und Fördermitteln, allerdings bestehen Unterschiede: Kein Anspruch auf Zusatzurlaub und keinen Schwerbehindertenausweis.

Besondere Schutzrechte ab 2025

1. Kündigungsschutz

  • Kündigungen: Für Schwerbehinderte und Gleichgestellte ist eine Kündigung durch den Arbeitgeber nur mit Zustimmung des Integrationsamtes möglich, sobald das Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate besteht (§168 SGB IX).
  • Wichtiger Hinweis: Der Schutz gilt sowohl bei ordentlichen als auch außerordentlichen Kündigungen. Ohne Zustimmung ist die Kündigung unwirksam.
  • Für Gleichgestellte: Der Kündigungsschutz gilt ebenso, sobald die Gleichstellung erfolgt ist.

2. Zusatzurlaub

  • Fünf zusätzliche bezahlte Urlaubstage pro Jahr für vollzeitbeschäftigte Schwerbehinderte; bei Teilzeit anteilig (§208 SGB IX).
  • Ausnahme für Gleichgestellte: Kein Anspruch auf Zusatzurlaub.

3. Mehrarbeit und Teilzeit

  • Schwerbehinderte und Gleichgestellte können verlangen, von Mehrarbeit/Überstunden freigestellt zu werden (§207 SGB IX).
  • Anspruch auf Teilzeitarbeit und auf angepasste Tätigkeiten, sofern dies aus gesundheitlichen Gründen erforderlich ist.

4. Arbeitsplatzgestaltung und Fördermittel

  • Anspruch auf individuell angepasste technische Ausstattung, ergonomische Umgestaltung und Hilfsmittel.
  • Bundesagentur für Arbeit und Integrationsamt gewähren bei nachgewiesenem Bedarf Zuschüsse, Anpassungen und begleitende Hilfen (etwa Arbeitsassistenz).

5. Schutz bei Bewerbungen und Beschäftigungsquote

  • Diskriminierungsverbot: Bewerber dürfen wegen einer Schwerbehinderung nicht benachteiligt werden (§164 SGB IX).
  • Unternehmen mit mindestens 20 Arbeitsplätzen sind gesetzlich verpflichtet, mindestens 5% der Stellen mit schwerbehinderten oder gleichgestellten Beschäftigten zu besetzen.
  • Bleibt dies aus, wird eine Ausgleichsabgabe fällig, die 2025 erstmals deutlich angehoben wurde (bis zu 815€/Pflichtplatz ohne Besetzung).

6. Mitbestimmung und Interessenvertretung

  • Ab fünf schwerbehinderten Beschäftigten im Betrieb ist eine Schwerbehindertenvertretung zu wählen, die die Rechte der Betroffenen wahrnimmt.
  • Die Schwerbehindertenvertretung arbeitet eng mit dem Betriebsrat und dem Inklusionsbeauftragten zusammen und schließt mit dem Arbeitgeber verbindliche Inklusionsvereinbarungen ab (§166 SGB IX).

Gleichstellung – Voraussetzungen und Antragsverfahren

  • Antragstellung erfolgt formlos bei der Agentur für Arbeit (mündlich, schriftlich oder online). Über das offizielle Portal der Bundesagentur für Arbeit lassen sich alle notwendigen Schritte digital erledigen – dort finden Betroffene auch aktuelle Hinweise und das genau passende Antragsformular.
  • Der Arbeitsplatz muss behinderungsbedingt gefährdet sein (beispielsweise häufige Fehlzeiten, geringe Belastbarkeit, bedingte Mobilität).
  • Nach erfolgreicher Prüfung gelten die Schutzrechte unmittelbar (ausgenommen Zusatzurlaub und bestimmte Nachteilsausgleiche).

Häufige Missverständnisse und rechtliche Stolperfallen

  • Gleichgestellte sind keine Schwerbehinderten im sozialrechtlichen Sinne: Kein Schwerbehindertenausweis, kein Anspruch auf bestimmten steuerlichen Vergünstigungen und Zusatzurlaub.
  • Das Integrationsamt muss vor jeder Kündigung gefragt werden, nicht erst im Streitfall.
  • Nicht jeder behinderte Arbeitnehmer ist gleichgestellt: Gleichstellung ist an Bedingungen gebunden (Arbeitgeber, Leistungsfähigkeit, Arbeitsplatzsituation).
  • Arbeitgeber dürfen nicht nach GdB im Lebenslauf fragen, sondern nur im Zusammenhang mit der Beschäftigungsquote und Rechteprüfung.

So setzen Betroffene ihre Ansprüche 2025 durch

  • Nachweis führen: Schwerbehindertenausweis oder Gleichstellungsbescheid vorlegen.
  • Frühzeitig mit dem Betriebsrat/Schwerbehindertenvertretung Kontakt aufnehmen.
  • Förderungen beantragen: Technische Hilfsmittel, Arbeitsplatzanpassungen und Zuschüsse bei der Agentur für Arbeit oder dem Integrationsamt.
  • Im Streitfall fachlichen Beistand suchen: Kontaktaufnahme mit Sozialverbänden oder spezialisierten Rechtsanwälten, wenn Ansprüche abgelehnt werden.

Aktuelle Neuerungen 2025

  • Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG): Ab 28. Juni 2025 müssen Online-Angebote und digitale Anwendungen auch für Menschen mit Behinderungen barrierefrei nutzbar sein. Gerade für Beschäftigte im Homeoffice und bei digitalen Arbeitsmitteln ergeben sich hier neue Zugangsrechte.
  • Erhöhte Ausgleichsabgabe: Unternehmen mit einer Beschäftigungsquote von null Prozent zahlen bis zu 720€ monatlich pro unbesetztem Pflichtarbeitsplatz. Die neue Staffelung tritt zum 31. März 2026 für das Jahr 2025 erstmals in Kraft.
  • Fördermöglichkeiten: Weitere Verbesserungen bei technischen Hilfsmitteln und Assistenzleistungen durch Integrationsämter und Arbeitsagentur.

Fazit

Für Beschäftigte mit einer anerkannten Schwerbehinderung und gleichgestellte Menschen gilt 2025 ein starkes Schutzregime im Arbeitsrecht, das sich weiter ausdifferenziert und verbessert hat. Von zusätzlichem Urlaub über verbesserten Kündigungsschutz bis hin zu umfassenden Fördermöglichkeiten: Die gesetzlichen Ansprüche sind klar geregelt, doch nicht immer werden sie im Arbeitsalltag korrekt umgesetzt. Betroffene sollten ihre Rechte kennen, aktiv Nachweise führen und bei Bedarf Unterstützung einfordern. Arbeitgeber wiederum sind verpflichtet, Inklusion zu fördern – und müssen bei Missachtung teils empfindliche Ausgleichsabgaben zahlen. Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz bringt zudem digitale Zugänglichkeit auf ein neues Niveau und erweitert die Teilhabemöglichkeiten.

Redakteure

  • Peter Kosick

    Jurist und Redakteur

    Peter Kosick hat an der Universität Münster Rechtswissenschaften studiert und beide juristische Staatsexamen in Nordrhein-Westfalen mit Erfolg abgelegt. Er arbeitet als freiberuflicher Jurist, ist Autor verschiedener Publikationen und hält Vorträge im Bereich Arbeits- und Sozialrecht. Seit mehr als 30 Jahren engagiert er sich im sozialen Bereich und ist seit der Gründung des Vereins "Für soziales Leben e.V." dort Mitglied. Peter Kosick arbeitet in der Online Redaktion des Vereins und ist der CvD. Seinen Artikeln sieht man an, dass sie sich auf ein fundiertes juristisches Fachwissen gründen. Peter hat ebenfalls ein Herz für die Natur, ist gern "draußen" und setzt sich für den Schutz der Umwelt ein. Seine Arbeit im Redaktionsteam von buerger-geld.org gibt ihm das Gefühl,  etwas Gutes für das Gemeinwohl zu tun.

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  • ik
    Experte:

    Sozialrechtsexperte und Redakteur

    Ingo Kosick ist ein renommierter Experte im Bereich des Sozialrechts in Deutschland. Er engagiert sich seit über 30 Jahren in diesem Feld und hat sich als führende Autorität etabliert. Als Vorsitzender des Vereins Für soziales Leben e.V., der 2005 in Lüdinghausen gegründet wurde, setzt er sich für die Unterstützung von Menschen ein, die von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen sind. Der Verein bietet über das Internet Informationen, Beratung und Unterstützung für sozial benachteiligte Menschen an. Ingo Kosick ist zudem ein zentraler Autor und Redakteur auf der Plattform buerger-geld.org, die sich auf Themen wie Bürgergeld, Sozialleistungen, Rente und Kindergrundsicherung spezialisiert hat. Seine Artikel bieten fundierte Analysen und rechtlich aufgearbeitete Informationen, die Menschen in schwierigen Lebenssituationen unterstützen sollen. Durch seine langjährige Erfahrung und sein Engagement hat Ingo Kosick maßgeblich dazu beigetragen, dass sozial benachteiligte Menschen in Deutschland besser informiert und unterstützt werden können.

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