Warum das Recht auf Wohnen aktuell im Fokus steht
Deutschland erlebt 2025 einen historischen Höchststand der Wohnungslosigkeit. Laut Statistischem Bundesamt waren am 31. Januar 2025 rund 474.700 Menschen aufgrund von Wohnungslosigkeit untergebracht – ein Anstieg um 8 % gegenüber dem Vorjahr. Besonders alarmierend ist der hohe Anteil junger Menschen: 41 % der Untergebrachten sind unter 25 Jahre alt. Sozialverbände sprechen von einer strukturellen Krise und fordern entschlossenes politisches Handeln, um den Versorgungslücken und steigenden Mieten entgegenzutreten.
Gesellschaftliche und politische Dimensionen
Das Recht auf Wohnen ist völkerrechtlich längst anerkannt. Sowohl der UN-Sozialpakt als auch die Europäische Sozialcharta garantieren einen Anspruch auf angemessenen Wohnraum. In Deutschland ist das Recht auf Wohnen jedoch bisher nicht explizit im Grundgesetz verankert. Es ergibt sich nur indirekt aus der Menschenwürdegarantie (Art. 1 GG) und dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 GG). Und vor allem: Der deutsche Gesetzgeber hat sich mit der gesetzlich verankerten Übernahme der Kosten der Unterkunft nach dem SGB II (Bürgergeld) und SGB XII (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) lediglich für für eine Erfüllung des Anspruchs mittels eine Geldleistung entschieden.
Juristinnen und Aktivistinnen fordern daher eine Grundgesetzänderung – ein einklagbares subjektives Recht auf menschenwürdigen, diskriminierungsfrei zugänglichen und bezahlbaren Wohnraum. Bereits 2021 scheiterte ein entsprechender Gesetzentwurf der Linken im Bundestag an der nötigen Zweidrittelmehrheit. 2025 flammt die Debatte wieder auf, insbesondere zum Aktionstag der Wohnungslosen, als mehrere Abgeordnete die Aufnahme eines „neuen Art. 14a GG“ verlangen. Dieser sollte wie folgt lauten: Jeder Mensch hat das Recht auf menschenwürdigen, diskriminierungsfrei zugänglichen und einkommensgerechten Wohnraum.
Chancen und Herausforderungen einer Verfassungsänderung
Befürworter einer Aufnahme des Rechts auf Wohnen ins Grundgesetz argumentieren:
- Ein klarer Verfassungsauftrag würde Politik und Verwaltung verpflichten, gezielt gegen Wohnungsnot vorzubeugen und sozialen Wohnungsbau zu stärken.
- Wohnungslosenhilfe und Präventionsprogramme hätten eine juristische Basis für finanzielle und strukturelle Hilfen.
- Internationale Standards würden endlich auch national vollzogen, sodass alle Menschen unabhängig von Einkommen, Herkunft oder Aufenthaltsstatus einklagbaren Zugang zu angemessenem Wohnraum hätten.
Kritiker warnen vor möglichen Signalwirkungen:
- Die Verfassungsänderung allein löse kein Wohnraumproblem, solange Baupolitik, Mietrecht und soziale Leistungen nicht gleichzeitig gezielt reformiert werden.
- Kommunen befürchten Mehrbelastungen und weisen darauf hin, dass bestehende Notunterkünfte und Wohngeldgesetze bereits an der Belastungsgrenze arbeiten.
- Die bisherigen Ansätze sind vor allem bedarfsorientiert, und die praktische Umsetzung eines subjektiven Anspruchs könnte Gerichte überlasten, ohne die Ursachen der Wohnungslosigkeit nachhaltig zu bekämpfen.
Neue Initiativen und gesellschaftliche Debatte
2025 steht der „Nationale Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit“ im Mittelpunkt der politischen Agenda, der das Ziel verfolgt, Wohnungs- und Obdachlosigkeit bis 2030 abzuschaffen. Bundesministerien, Sozialverbände und Vertreter:innen der Kommunen plädieren für mehr Sozialwohnungen, eine Stärkung der Präventionsarbeit und die bessere Hilfe für Jugendwohnungslose. Die Linkspartei, flankiert von Stimmen aus SPD und CSU, fordert die Verfassungsreform als Symbol und Hebel für tiefgreifende Veränderungen im Wohnungsmarkt.
Rechtliche Grundlagen und internationale Perspektive
Während das Grundgesetz in Art. 13 nur den Schutz der Wohnung – also den Schutz vor staatlichen Eingriffen – kennt, verpflichten zahlreiche internationale Verträge und einige Landesverfassungen bereits zur Sicherung von Wohnraum als Bestandteil des Existenzminimums. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach klargestellt: Aus dem Sozialstaatsprinzip ergibt sich die Pflicht des Staates, ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen – und dazu zählt zwingend angemessener Wohnraum.
Fazit: Kann ein Grundrecht auf Wohnen Wohnungslosigkeit beenden?
Die aktuelle Krise zeigt: Ohne politischen Willen und verbindliche rechtliche Vorgaben ist Wohnungslosigkeit auch in wohlhabenden Ländern wie Deutschland nicht vom Tisch. Die Forderung, das Recht auf Wohnen ins Grundgesetz zu schreiben, unterstreicht die Dringlichkeit einer nachhaltigen und solidarischen Wohnraumpolitik. Aber sie ist erst der erste Schritt: Entscheidend bleiben mutige Investitionen, rechtliche Konkretisierungen und gesellschaftlicher Zusammenhalt, damit „Obdachlosigkeit ade“ nicht bloß ein Slogan bleibt, sondern Realität wird.