Der zugrundeliegende Sachverhalt des Bürgergeld Urteils
Dem Urteil des Landessozialgerichts lag folgender Sachverhalt (Fall) zugrunde: eine dreiköpfige Familie bezieht seit Juli Leistungen nach dem SGB II, Bürgergeld, (in Zukunft Neue Grundsicherung) vom Jobcenter. Im Februar des folgenden Jahres begann der Ehemann als Verkäufer in einem Lebensmittelladen zu arbeiten. Der Arbeitsvertrag sah ein monatliches Nettoeinkommen von 1.600 Euro vor. Das Jobcenter berücksichtigte jedoch fälschlicherweise 1.600 Euro brutto und berechnete die Leistungen auf Basis eines niedrigeren Nettoeinkommens von 1.276,40 Euro. In der Folge erhielt die Familie für zehn Monate mehr Bürgergeld als ihr eigentlich zugestanden hätte – insgesamt über 3.000 Euro.
Nachdem der Fehler auffiel, forderte das Jobcenter die Familie zur Rückzahlung auf. Die Familie klagte dagegen – zunächst erfolglos vor dem Sozialgericht Berlin, das von grober Fahrlässigkeit ausging. In zweiter Instanz gab das LSG Berlin-Brandenburg der Familie jedoch Recht und hob die Entscheidung auf.
Die rechtlichen Grundlagen des Jobcenter – Rechenfehler – Urteils
Maßgeblich rechtliche Entscheidungsgrundlage ist § 45 Abs. 2 SGB X: Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, wenn der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist jedoch ausgeschlossen, wenn der Begünstigte die Rechtswidrigkeit kannte oder grob fahrlässig nicht kannte.
Das LSG stellte klar, dass bei komplexen Berechnungen – wie der Unterscheidung zwischen Brutto- und Nettoeinkommen – von juristischen Laien keine vertieften Kontrollrechnungen erwartet werden können. Die Klägerin konnte nachvollziehbar darlegen, dass sie Schwierigkeiten mit Zahlen und Begriffen hatte. Das Gericht sah daher keine grobe Fahrlässigkeit und sprach der Familie den Vertrauensschutz zu.
Was heißt das Urteil nun für Bürgergeld Bezieher?
Das Urteil ist richtungsweisend für alle, die Bürgergeld beziehen. Es macht deutlich:
Jobcenter-Fehler müssen nicht von den Empfängern erkannt werden. Die Pflicht, Bescheide zu prüfen, bezieht sich vor allem auf offensichtliche Fehler, nicht auf komplexe Berechnungen.
Vertrauensschutz bleibt bestehen. Wer auf die Richtigkeit der behördlichen Berechnung vertraut, muss nicht für Rechenfehler der Verwaltung geradestehen.
Individuelle Urteilsfähigkeit ist entscheidend. Die Einschätzung zur groben Fahrlässigkeit richtet sich nach der persönlichen Urteilsfähigkeit und Erkenntnismöglichkeit des Empfängers.
Zusammenfassung: Bürgergeld Bezieher muss nicht besser rechnen können als das Jobcenter
Das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg (Az. L 3 AS 772/23) stärkt die Rechte von Bürgergeld-Empfängern und sorgt für Rechtssicherheit im Umgang mit behördlichen Fehlern. Leistungsbezieher müssen nicht für komplizierte Rechenfehler des Jobcenters haften, solange sie nicht grob fahrlässig handeln.