Hintergrund: Elternunterhalt seit dem Angehörigen-Entlastungsgesetz
Mit dem Angehörigen-Entlastungsgesetz von 2019 hat der Gesetzgeber festgelegt, dass Sozialhilfeträger nur noch auf Kinder mit einem Jahresbruttoeinkommen von über 100.000 Euro zurückgreifen dürfen, s. § 94 Abs. 1a SGB XII. Die zivilrechtliche Unterhaltspflicht gegenüber Eltern blieb aber grundsätzlich bestehen, so dass weiterhin Streit über Höhe und Berechnung des Selbstbehalts entbrannte.
Bislang wurde beim Elternunterhalt regelmäßig mit einem „Sockel-Selbstbehalt“ von 2.500 Euro netto plus der Hälfte des darüberliegenden Einkommens gerechnet, was je nach Fall zu teils erheblichen Zahlungsverpflichtungen führte. Genau an diesem Punkt setzt das OLG München an und orientiert sich stärker an der Rechtsprechung zum Ehegattenunterhalt.
Der Fall vor dem OLG München
Im entschiedenen Fall verlangte ein Sozialhilfeträger Elternunterhalt vom Sohn einer psychisch erkrankten Mutter, für die der Träger zuvor Leistungen in fünfstelliger Höhe übernommen hatte. Der Sohn verfügte über ein monatliches Nettoeinkommen von rund 5.300 Euro, zahlte hohe Miete, leistete zusätzliche Altersvorsorgebeiträge und bildete Sparrücklagen.
Das Amtsgericht hatte den Antrag auf Elternunterhalt abgewiesen, weil der Sohn trotz seines Einkommens nicht als leistungsfähig angesehen wurde; der Sozialhilfeträger legte dagegen Beschwerde ein. Das OLG München bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung und wies die Beschwerde des Sozialhilfeträgers zurück.
Kernaussage: Neuer Selbstbehalt von 5.500 Euro für Kinder
Der zentrale Punkt der Entscheidung: Das OLG München setzt den angemessenen Selbstbehalt beim Elternunterhalt für einen alleinstehenden Unterhaltspflichtigen auf 5.500 Euro netto im Monat fest. Grundlage ist die Annahme, dass ein Einkommen bis zur Höhe des doppelten Höchstsatzes der Düsseldorfer Tabelle typischerweise für den eigenen Lebensunterhalt vollständig verbraucht wird und keine zusätzlichen Vermögensrücklagen gebildet werden.
Damit knüpft das Gericht ausdrücklich an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Ehegattenunterhalt an und überträgt deren Leitgedanken auf den Elternunterhalt. Ergebnis: Wer als Single bis zu 5.500 Euro netto verdient, soll regelmäßig nicht zur Zahlung von Elternunterhalt herangezogen werden, weil der eigene Bedarf Vorrang hat.
Verhältnis zum Angehörigen-Entlastungsgesetz
Spannend ist die Frage, wie die 5.500 Euro zum 100.000-Euro-Grenzwert des Angehörigen-Entlastungsgesetzes stehen. Das OLG München betont, dass die gesetzgeberische Entscheidung, nur noch „leistungsstarke“ Kinder heranzuziehen, bei der Bemessung des Selbstbehalts berücksichtigt werden muss. Daraus leitet der Senat ab, dass der unterhaltsrechtliche Eigenbedarf deutlich höher anzusetzen ist als früher, um die Entlastungswirkung des Gesetzes praktisch wirksam werden zu lassen.
Später hat der Bundesgerichtshof zwar klargestellt, dass die 100.000-Euro-Grenze des § 94 Abs. 1a SGB XII als solche kein direktes unterhaltsrechtliches Berechnungsschema vorgibt, sondern ein sozialhilferechtlicher Maßstab bleibt. Gleichwohl bleibt die Entscheidung des OLG München ein wichtiges Signal dafür, dass Gerichte bei der Leistungsfähigkeit im Elternunterhalt heute deutlich restriktiver zugunsten der Kinder prüfen.
Bedeutung für unterhaltspflichtige Kinder
Für Kinder, die wegen im Pflegeheim lebender oder sozialhilfebedürftiger Eltern in Anspruch genommen werden, ist der neue Selbstbehalt ein massiver Schutzschirm. Wer als Alleinstehender netto unter 5.500 Euro verdient, kann sich nun wesentlich besser darauf berufen, nicht leistungsfähig zu sein – insbesondere, wenn zusätzlich hohe Wohnkosten, Altersvorsorge und weitere Verpflichtungen bestehen.
Auch für gutverdienende Berufstätige ändert sich die Verhandlungsposition: Selbst bei Einkommen knapp über dieser Schwelle bleibt regelmäßig ein großer Teil des Einkommens von Unterhaltsansprüchen der Eltern verschont. Das reduziert das Risiko, im Pflegefall der Eltern selbst finanziell überfordert zu werden, und stärkt die Planungssicherheit für eigene Altersvorsorge und Familienunterhalt.
Praxis-Tipp: Was betroffene Kinder tun sollten
Wer Post vom Sozialhilfeträger oder Jugendamt zum Elternunterhalt bekommt, sollte die neue Rechtsprechung des OLG München ausdrücklich anführen und den angesetzten Selbstbehalt prüfen lassen. Wichtig ist eine vollständige Aufstellung aller Einkünfte und Ausgaben – insbesondere Miete, Kredite, eigene Altersvorsorge und Unterhaltspflichten gegenüber Ehepartnern oder Kindern.
Da der Bundesgerichtshof den Selbstbehalt beim Elternunterhalt inzwischen weiter konkretisiert hat, lohnt sich zudem anwaltliche Beratung, um regionale Leitlinien und aktuelle Rechtsprechung optimal zu nutzen. Für viele Betroffene kann diese OLG-Entscheidung den Unterschied machen, ob überhaupt Elternunterhalt gezahlt werden muss – oder ob das eigene Einkommen vollständig im geschützten Bereich bleibt.


