Viele Menschen engagieren sich im Ruhestand als pflegende Angehörige – und stehen dabei oft vor bürokratischen Hürden, wenn es um ihre Altersvorsorge geht. Ein aktuelles Urteil des Landessozialgerichts München sorgt nun für mehr Gerechtigkeit: Pflegende Rentner können jetzt fast ihre volle Rente beziehen und gleichzeitig von zusätzlichen Rentenbeiträgen der Pflegekasse profitieren. Dieser Artikel erklärt, warum das Urteil so bedeutend ist, wie der zugrundeliegende Streitfall ablief – und was pflegende Rentner jetzt wissen sollten.
99,99 % Rente ohne Verlust: Meilenstein-Urteil für pflegende Rentner
Das Urteil des Landessozialgerichts München vom 14.09.2021 hat wegweisende Bedeutung für Millionen Rentnerinnen und Rentner, die im Alter Angehörige pflegen. Künftig können pflegende Rentner auf 0,01 % ihrer Rente verzichten, um nahezu ihre volle Rente zu erhalten und trotzdem von Beitragszahlungen der Pflegekasse in die Rentenversicherung zu profitieren. Diese Möglichkeit war bislang von der Deutschen Rentenversicherung (DRV) verwehrt worden. Das Gerichtsurteil bringt erhebliche finanzielle Vorteile und mehr Sicherheit in der Altersvorsorge für pflegende Rentner.
Der Streitfall: Wie es zum Urteil kam
Die Verstorbene, deren Fall für das Urteil entscheidend war, war 1944 geboren und verstarb am 29.09.2019. Als sie ab 1.7.2017 einen nahen Angehörigen pflegte, wurde sie als nicht erwerbsmäßig tätige Pflegeperson nach § 3 Satz 1 Nr. 1a SGB VI erneut rentenversicherungspflichtig. Um ihre Rentenansprüche, die durch die Pflege weiter steigen könnten, optimal zu sichern, beantragte sie am 18.06.2017 ab sofort eine Teilrente von 99,94 % oder 99,99 %.
Die DRV lehnte ab und genehmigte nur eine 99 %-Teilrente mit der Begründung, Dezimalstellen seien nicht vorgesehen; maximal seien 99 % erlaubt (§ 42 SGB VI). Der Unterschied ist für Rentner durchaus relevant: Bei 99 % Teilrente ergibt sich ein unnötiger Verlust an Netto-Rente, der bei 99,99 % fast vollständig wegfällt.
Der Kläger, als Testamentsvollstrecker, klagte daraufhin und erhielt Recht beim Sozialgericht München. Die DRV legte Berufung ein, doch auch das Landessozialgericht München wies die Berufung zurück: Künftig können Versicherte Teilrenten beliebig mit Dezimalstellen beantragen, bis zu 99,99 % der Vollrente. Eine Revision wurde nicht zugelassen – das Urteil ist rechtskräftig und muss von den Rententrägern umgesetzt werden.
Die Hintergründe: Flexi-Rente, Pflege & gesetzliche Regelung
Das Flexi-Rentengesetz (seit 2017) ermöglicht es Rentnern, stufenlos zwischen 10 % und 99,99 % Teilrente zu wählen. Wer eine fast volle Rente (z.B. 99,99 %) bezieht, gilt technisch nicht als “Vollrentner”. Damit bleibt etwa beim Bezug von Pflegerente die rentenversicherungspflichtige Pflegeperson versicherungsaktiv: Die Pflegekasse zahlt weiterhin Beiträge, die zu einer Rentenerhöhung im Folgejahr führen.
Besonders pflegende Angehörige profitieren: Sie können nach Erreichen der Regelaltersgrenze die eigene Rente – bei minimalem Verzicht – weiter steigern. Der Verzicht auf nur 0,01 % der Altersrente reicht aus, damit die Pflegekasse weiterhin Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung für sie zahlt, was eine spätere Rentenerhöhung bringt.
Warum ist das Urteil so wichtig?
- Fast kein Rentenverlust: Bei einer 99,99 %-Teilrente verzichten Rentner nur auf ein Minimum der Rente, etwa 1 Euro bei 10.000 Euro Jahresrente.
- Rentensteigerung durch Pflegetätigkeit: Die Pflegekasse zahlt weiter Beiträge in die Rentenversicherung – diese erhöhen die eigene Rente ab dem Folgejahr.
- Rechtssicherheit: Die DRV muss Teilrenten jetzt mit Dezimalstellen bewilligen, frühere Ablehnungen können korrigiert werden.
- Nachholbarkeit: Wer bislang nur 99 % Teilrente erhielt, kann nun rückwirkend auf eine 99,99 %-Teilrente umstellen lassen, sofern die Frist gemäß § 44 SGB X noch nicht abgelaufen ist.
Was sollten pflegende Rentner jetzt tun?
- Antrag stellen: Teilrente bei der DRV einreichen – gezielt 99,99 % beantragen.
- Pflegekasse informieren: Nach Bewilligung die Pflegekasse benachrichtigen, damit diese weiter Beiträge zahlt.
- Unabhängige Beratung nutzen: Bei Unsicherheiten Rat bei Rentenberatern oder Sozialverbänden wie dem VdK einholen, um maximale finanzielle Vorteile zu sichern und keine Fehler bei der Antragstellung zu machen.
Fazit
Mit dem Urteil des Landessozialgerichts München sind pflegende Rentner endlich finanziell besser abgesichert. Statt auf ganze Prozentsätze verzichten zu müssen, können sie mit 99,99 % Teilrente fast ihre volle Rente beziehen und dennoch von weiteren Einzahlung der Pflegekasse in ihre Altersvorsorge profitieren – ein entscheidender Schritt für mehr Fairness und Anerkennung familiärer Pflegearbeit im deutschen Sozialrecht.